+++ Meinung +++
Gesellschaftlich besteht noch immer Nachholbedarf in vielen Toleranzfragen. Dessen ungeachtet lohnt es, darauf zurückblicken, wie weit wir mittlerweile gekommen sind – und sei es nur, um zu realisieren, wie erschreckend nah zahlreiche erschütternde Einstellungen zeitlich liegen: Es ist gerade einmal 45 Jahre her, seit sich der Bayerische Rundfunk demonstrativ weigerte, einen ARD-Fernsehfilm über eine gleichgeschlechtliche Liebesgeschichte auszustrahlen.
Besagter Film wurde von Wolfgang Petersen inszeniert, hört auf den Titel „Die Konsequenz“ und zeigt auf, dass die Reaktion des Bayerischen Rundfunks leider nur die Spitze des Eisberges ist. Er basiert auf dem gleichnamigen, autobiografischen Roman des Schauspielers Alexander Ziegler, mit dem er die Zeit hinter Gittern verarbeitete, die er aufgrund seiner Homosexualität verbringen musste. Anlässlich seines 45-jährigen Jubiläums erschien „Die Konsequenz“ kürzlich erstmals auf Blu-ray – und zwar in limitierter Stückzahl.
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Zusätzlich zum Blu-ray-Debüt bekam „Die Konsequenz“ auch eine erneute DVD-Veröffentlichung spendiert. Erstmals erschien der Film 2008 auf DVD, und zwar im Rahmen eines Wolfgang-Petersen-Box-Sets, das auf dem Gebrauchtmarkt allerdings regelmäßig für dreistellige Summen weggeht.
Das ist "Die Konsequenz"
Der Schauspieler Martin Kurath (Jürgen Prochnow) macht im Gefängnis Bekanntschaft mit Thomas Manzoni (Ernst Hannawald), dem Sohn eines seiner Aufseher. Sie entwickeln einen guten Draht zueinander und ziehen nach Martins Haftentlassung als Paar zusammen. Das erzürnt Thomas' Eltern, woraufhin sie eine Einweisung ihres Kindes in eine Erziehungsanstalt bewirken, um ihm seine sexuelle Neigung auszutreiben...
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Wäre „Die Konsequenz“ kein Film von 1977, sondern einer aus dem Jahr 2022, wäre er kein derartiger Skandalfilm, dass sich der Bayerische Rundfunk aus dem bundesdeutschen ARD-Signal ausklinkt und ein Alternativprogramm zeigt. Aber es würde wohl ähnlich wie bei „Call Me By Your Name“ oder zuletzt „Licorice Pizza“ durchaus zu Debatten über den Altersunterschied zwischen den Hauptfiguren kommen. Doch theoretisches Diskussionspotential hin, reeller Skandal über den Umgang mit dem Film her:
Obwohl „Die Konsequenz“ mit dem Ausklinken des Bayerischen Rundfunks und lautstarken Zensur-Aufforderungen denkwürdige negative Reaktionen hervorrief, ließ sich das Drama nicht von ihnen überschatten. Auf die TV-Ausstrahlung folgten eine lukrative Kinoauswertung, der Film wurde ins Ausland verkauft (unter anderem in die USA, noch bevor Petersen sie mit „Das Boot“ in seinen Bann ziehen sollte) und wurde mit Auszeichnungen bedacht – wie etwa dem Grimme-Preis in Bronze.
Leistungen, die nicht allein da herrühren, dass eine nicht-scheltende Darstellung von Homosexualität bloß sechs Jahre nach Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ noch immer Seltenheitswert hatte: Auch heute noch berührt „Die Konsequenz“, insbesondere dank des Schauspiels von Prochnow und Hannawald. Sie verkörpern ihre Figuren mit enormer Selbstverständlichkeit und kehren mühelos die widersprüchlichsten Facetten ihrer Charaktere nach außen. In einer Minute stolz, in der nächsten völlig verschämt, mal zurückhaltend, mal stürmisch und ungeduldig – aber niemals fahrig, geschweige denn beliebig.
Petersens Regieführung unterstreicht diese Vielschichtigkeit in der Figurenzeichnung: „Die Konsequenz“ ist nahbar und empathisch gefilmt, ohne zu verkitschen, geschweige denn die erdrückende gesellschaftliche Ablehnung auszublenden, der Homosexuelle damals ausgesetzt waren. Die Bildsprache ist deutlich, gleitet aber auch nahtlos zwischen sanften, annähernden Kamerabewegungen und rauen, distanzierten Motiven. So, als wolle Petersen die Zwischenmenschlichkeit der Hauptfiguren und die gesellschaftliche Dringlichkeit dieser Geschichte über ein homophobes System mit gleicher Prägnanz vermitteln.
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