+++ Meinung +++
Zieht man direkt in die luxuriöseste Villa der Stadt? Oder räumt man erst mal alle Konservendosen aus dem nächsten Supermarkt aus? Das Gedankenexperiment, was man wohl als erstes anstellen würde, wenn man von einer Sekunde auf die nächste plötzlich der letzte Mensch auf dem Planeten wäre, ist derart populär, dass es in der Popkultur in all ihren Ausformungen (Bücher, Filme, Videospiele) immer und immer wieder durchexerziert wird ...
... von der Sitcom „The Last Man On Earth“ mit Will Forte bis hin zu solchen Science-Fiction-Klassikern wie „The Last Man On Earth“ (1964) oder „Quiet Earth - Das letzte Experiment“ (1985).
Ein faszinierendes Gedankenspiel
In „In My Room“ ist es der freiberufliche Kameramann Armin (Hans Löw), der nach einem miesen Tag, bei dem er im Bundestag immer wieder den Einschalt- und Ausschaltknopf an seiner Kamera verwechselt, plötzlich als (vermeintlich) letzter Mensch auf dem Planeten aufwacht – während die Motorräder der Verschwundenen noch auf der Autobahn herumliegen und ihre Hunde in den Vorgärten bellen!
„In My Room“ läuft am heutigen 15. Februar 2022 um 23.50 Uhr auf DAS ERSTE.
Es bieten sich im Film sofort zahlreiche Erklärungen für das spurlose Verschwinden der Menschen an – aber Armin hält sich gar nicht lange mit solchen Fragen auf. Stattdessen fackelt er das Haus seiner Jugend ab und beginnt fortan ein Leben als Kartoffelbauer und Tierzüchter...
Darum lohnt sich "In My Room"!
Regisseur Ulrich Köhler nutzt das bekannte Szenario für eine konsequente, dabei niemals platte Männlichkeitsstudie: Armin schnappt sich etwa direkt einen Polizei-Sportwagen und rast damit über die Straßen, wobei die Kamera frontal durch die Windscheibe filmt – quasi eine hochtourig visualisierte Midlife-Crisis! Später jagt er einen Hund, der ihm ein neugeborenes Zicklein weggeholt hat, und er baut einen kleinen Staudamm mitsamt Stromgenerator im nahegelegenen Fluss – und deutlich schlanker und muskulöser ist er irgendwann auch.
Aber die neugefundene Männlichkeit wird auf die Probe gestellt, als die Italienerin Kirsi (Elena Radonicich) auftaucht. Das Haus ist so weit fertig, Bäume gibt es eh genug, also fehlt noch das Baby. Aber wie die beiden letzten Menschen des Planeten hier umeinanderkreisen, sich notgedrungen anziehen, aber trotz der Situation auch wieder abstoßen, ist absolut faszinierend – mit einer Auflösung, die es vielleicht vor #MeToo so nicht gegeben hätte, die aber trotzdem perfekt in die Zeit passt.
Der schönste Moment: Nicht erst seit „Dawn Of The Dead“, in dem sich die Protagonisten vor einem Zombiemob in ein riesiges Kaufhaus flüchten, gehört der unbändige Konsumrausch in einem verlassenen Einkaufstempel in Endzeitfilmen einfach zum guten Ton! Auch in „In My Room“ gibt es eine solche Szene – allerdings nicht in einem Supermarkt, sondern in einer Videothek.
Ein Held, der sich in einer verlassenen Welt nicht sattfrisst, sondern sattsieht – ein ungemein sympathischer Gedanke...
Dies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.