Netflix bietet Filmemacher*innen aus aller Welt regelmäßig die Möglichkeit, sich auf der internationalen Bühne zu beweisen. Und dass der Streaming-Riese dabei besonders gerne in spanische Thriller-Kost zu investieren scheint, ist wohl kein Zufall. Filme wie „Das Waisenhaus“, „Der unsichtbare Gast“ oder „Julia's Eyes“ waren riesige Erfolge weit über die Landesgrenzen hinaus und machten das spanische Spannungskino weltweit populär. Kein Wunder also, dass hier nun auch Netflix seine Chance wittert.
Man gab der Heist-Serie „Haus des Geldes“ ein neues Zuhause und machte sie zum globalen Megahit, und auch „Der Schacht“ avancierte 2020 zu einem waschechten Publikumsliebling. Seitdem folgten zahlreiche weitere exklusive Netflix-Thriller aus Spanien – von „Der Sanitäter“ bis „Dein Zuhause gehört mir“. Die meisten davon fliegen bis heute aber eher unterm Radar der Standard-User*innen, ganz einfach, weil sie einfach nicht originell genug sind oder schlicht nicht das Momentum hatten, um zum richtigen Zeitpunkt zu erscheinen und einen Hype auszulösen. „Die Einöde“ bringt nun aber durchaus Potenzial mit, an seinem Startwochenende unter den Top 10 auf der Plattform zu landen. Unabhängig davon, wie gut der Film am Ende beim Publikum ankommt…
+++ Meinung +++
"Der Babadook" trifft "The Wind" trifft …
Ja, sowohl der Trailer zu „Die Einöde“ als auch der finale Film wecken den Eindruck, dass man das alles so oder so ähnlich schon mal gesehen hat – in Filmen wie „The Wind“, „Der Babadook“, „Slender Man“ oder auch „The Witch“. Aber gut: besser gut kopiert als schlecht selbst erfunden. Ein Mutter-Sohn-Gespann (gespielt von Inma Cuesta und Asier Flores), das mit einem finsteren Dämon konfrontiert wird, ist also nicht gerade neu, bietet aber eben auch reichlich Raum für ein angsteinflößendes Szenario zwischen Familien-Albtraum und übernatürlichem Schauermärchen.
„Die Einöde“ ist ziemlich genau das, was der Trailer verspricht. Wer sich also einen brachialen, ausufernden, flotten Monster-Reißer erhofft, der am Ende womöglich auch noch richtig Laune macht, dürfte eher enttäuscht werden. Ja, vereinzelte Gewaltspitzen dürften all jene, die kein Blut sehen können, szenenweise durchaus mitnehmen. Abgesehen davon aber ist „Die Einöde“ eine schaurige Mär zwischen Psycho-Horror und Familiendrama, die sich am Ende deutlich länger als 92 Minuten anfühlt. In Anbetracht dieser knackigen Laufzeit hat der Film so schlicht zu viele Längen.
Während das Debüt von Regisseur und Autor David Casademunt inhaltlich also ein wenig unausgegoren daherkommt, liegt die große Stärke von „Die Einöde“ in seiner Bildsprache. Visuell nämlich ist der Film ein absoluter Genuss.
Casademunt hat ein unglaubliches Gespür für die Kraft der Bilder, nutzt sein malerisches Setting in der titelgebenden Einöde, um nicht nur die unendliche Weite der Natur zu zelebrieren, sondern zugleich auch die Gefahr des Fremden zu symbolisieren. Stimmungsvolle Landschaftsaufnahmen, unheilvoller Nebel, traumhafte Sonnenauf- und Sonnenuntergänge verschmelzen mit dem Klangteppich des pfeifenden Windes zu einer mal melancholisch-beruhigend anmutenden, mal rauschhaft-aufregenden Welt, die einen in seinen Bann zieht.
„Die Einöde“ ist durchaus atmosphärischer Kammerspiel-Horror, der am Ende nichtsdestotrotz hinter seinen Möglichkeiten bleibt. Die stimmungsvollen Bilder sind prachtvoll und das Highlight des Films, gleichzeitig drängen sie das Publikum aber gewissermaßen auch in die Beobachterrolle. Wie in einem Museum, in dem man ein Gemälde bewundert. Tatsächlich in die Geschichte abzutauchen, das Leid und die Hoffnung der Figuren am eigenen Leib zu erfahren, fällt da schon wesentlich schwerer.