Es gibt einige Filme, die legendärerweise nie vollendet wurden. Sei es aus Geldmangel, wegen einer Kette an Unglücksfällen oder aufgrund von immensen Strittigkeiten hinter den Kulissen. Und dann gibt es „Argo“. Nicht Ben Afflecks mit dem Oscar für den besten Film gekrönter Thriller „Argo“, sondern die gleichnamige Produktion, von der er inspiriert wurde.
Falls über eurem Kopf nun riesige Fragezeichen schweben, steht zu befürchten, dass ihr den gewitzten und spannenden Geiselnahme-Thriller, bei dem Affleck nicht nur Regie führte, sondern auch eine tragende Rolle gespielt hat, noch nicht kennt. Glücklicherweise lässt sich das aber mühelos beheben: Die packende Produktion mit „Breaking Bad“-Star Bryan Cranston sowie den Leinwandlegenden John Goodman und Alan Arkin ist aktuell unter anderem auf Netflix (aber auch auf Sky Ticket*) verfügbar.
Basierend auf wahren Ereignissen: Das ist "Argo"
4. November 1979, die iranische Revolution erreicht ihren Siedepunkt: Militante Studenten stürmen die US-Botschaft in Teheran und nehmen 52 Geiseln. Sechs Amerikanern gelingt es allerdings, zu entkommen und sich in der kanadischen Botschaft zu verschanzen. Aber selbst dort schweben sie in Lebensgefahr, weshalb der CIA-Befreiungsspezialist Tony Mendez (Ben Affleck) einen riskanten Plan schmiedet, um seine Landsleute nach Hause zu bringen:
Er will gemeinsam mit seinem Team im Iran vermeintliche Film-Dreharbeiten inszenieren und bei der Heimreise die auf der Flucht befindlichen Botschaftsmitarbeiter*innen als Mitglieder der Filmcrew ausgeben. Doch damit das gelingt, muss erst einmal glaubwürdiger Produktiontrubel rund um den fiktiven Film „Argo“ erzeugt werden. Nur so lassen sich die Ex-Geiseln unauffällig aus dem Land schaffen, ohne dass die iranische Regierung Verdacht schöpft …
Ein Hoch auf/für Affleck
Ben Afflecks öffentliches Ansehen macht ähnlich abrupte Auf-und-Ab-Bewegungen wie ein Jo-Jo: Witzfigur der Filmnation, Fanliebling, Prügelknabe, umjubelter Filmemacher, verteidigter Underdog, bemitleideter Star, und so weiter, und so weiter. 2007 etwa begann für Affleck ein Aufwärtstrend: Als Schauspieler als Kassengift verschrien, startete er eine ernstzunehmende Regiekarriere. Der Entführungsthriller „Gone Baby Gone“ wurde als sehenswerter Geheimtipp gehandelt, schon drei Jahre später sorgte er mit dem Gangster-Thrillerdrama „The Town“ für Furore. Und wieder zwei Jahre später? Da erntete „Argo“ hervorragendes Presseecho und wurde als ernstzunehmender Kandidat in mehreren Oscar-Kategorien gehandelt.
Am Morgen der Academy-Award-Nominierungen lagen für Affleck Freud und Leid jedoch denkbar nah beieinander: Zwar erhielt „Argo“ sieben Nominierungen, darunter als bester Film, aber die von der Presse so intensiv gelobte Regieführung Afflecks blieb unbeachtet. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten: Stars wie Bradley Cooper und Regiegrößen wie Quentin Tarantino bezeichneten dies als schockierenden Snub, während Affleck selbst es in Interviews mit Humor nahm. Schlussendlich winkten „Argo“ drei Trophäen: Die Oscars für den besten Film, den besten Schnitt und das beste adaptierte Drehbuch.
Leider sollte „Argo“ vorerst Afflecks Höhepunkt bleiben – sein Nachfolgefilm „Live by Night“ wurde weitestgehend mit Missachtung gestraft, auf Afflecks nächste Regiearbeit müssen Fans seither warten. Dafür war Affleck in der Zwischenzeit wieder einmal alles mögliche: Wandelnder Witz der Yellow Press, Darling der Klatschpresse, Kassengift und schauspielerischer Kritikerliebling in mal mehr, mal weniger gelungenen Filmen. Vielleicht wird Affleck eines Tages seine dornigen Erfahrungen mit der Filmbranche und dem Kinopublikum in einer Satire verarbeiten? Das Talent dazu hätte er, wie er bereits in den spaßigsten Abschnitten von „Argo“ bewiesen hat.
Drama, Satire, Thriller
Zwischen der beklemmenden Schilderung, wie 1979 im Iran die Stimmung überkochte, und der fesselnd inszenierten Flucht aus dem Iran, zeigt Affleck in „Argo“, wie der verrückte, wahrhaftige Plan mit dem Fake-Film entstand. Affleck lässt diese Sequenzen mit leichtfüßigem Witz ablaufen und verteilt genüsslich Seitenhiebe in Richtung Hollywood sowie der dort umherstolzierenden Egos. In diesen Passagen glänzen John Goodman als zugespitzte Version des realen Effekt-Make-up-Experten John Chambers und Alan Arkin als fiktionaler Filmproduzent Lester Siegel. Beide verleihen mit großem Eifer und noch größerer Selbstüberzeugung dem unechten, zwecks Befreiungsmission angegangenen Filmprojekt Glaubwürdigkeit.
Es ist beeindruckend, wie Affleck als Regisseur im Mittelteil von „Argo“ satirischen Biss auf die Eitelkeiten im Showbiz, leichtfüßige Situationskomik und knallige Oneliner vereinen kann, ohne der Thriller-Handlung zu schaden. Denn sobald es in „Argo“ wieder ernst wird, schnellt der Puls hoch. Wir sind hautnah dabei, wie der von Affleck nuanciert verkörperte, reale CIA-Agent Tony Mendez im Iran die örtlichen Behörden täuschen, die zu rettenden Personen beruhigen, ruhig, aber bestimmt Befehle erteilen und letztlich die brenzlige Heimkehr meistern muss. Größte Anspannung entsteht dabei aber, ganz nach alter Hollywood-Schule, in den kleineren Momenten.
Gewiss: Der unvermeidliche Lauf gegen die Zeit am Flughafen, der das große Finale von „Argo“ ausmacht, ist dank des geschliffenen Filmschnitts spektakulär. Jedoch wäre er nicht so packend, hätte das Skript von Chris Terrio („Zack Snyder's Justice League“) bis dahin nicht bereits solch eine gute Grundlage geschaffen: Die Figuren sind zwar keine hochkomplexen Charaktere, die genaustens beleuchtet werden – jedoch allesamt scharf umrissen.
Sie agieren glaubhaft – mit lebensnahen Schwächen sowie Stärken. Und wie die sich als Filmcrew ausgebenden Geiseln auf der Flucht mit Mimik, Gestik und dem bedachtsam gewählten Wort aus der Gefahrenzone manövrieren müssen, ist voller Detailbeobachtungen. Die Frage, wer wie lange die Maskerade aufrecht erhalten kann, entwickelt gerade dadurch solche Zündkraft – Hochspannung garantiert!
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