+++ Meinung +++
Als Berliner hatte ich das Privileg, Dominik Grafs „Fabian Oder der Gang vor die Hunde“ im altmodischen, gleichwohl mit bequemen und verstellbaren Sitzen ausgestatteten Delphi-Filmpalast sehen zu können. Ich fuhr am vergangenen Sonntag mit dem Fahrrad ins Kino, fuhr durch den Tiergarten und dann am Bahnhof Zoo vorbei bis fast direkt vor die ausladende Leinwand des Berliner Traditionskinos, in großer Vorfreude auf den Film und im vollen Bewusstsein, dass ich ein verdammtes Glück habe, einen Prachtfilm wie „Fabian“ auf die bestmögliche Art genießen zu können.
Wer als Film-Fan auf dem Land wohnt oder in einer kleinen Stadt, der wird wahrscheinlich gar kein Kino in der Nähe haben, das einen so relativ kleinen Start wie „Fabian“ überhaupt zeigt. Mir ist also im tiefsten Herzen bewusst, dass ich als Berliner Kino-Fan ein privilegierter Sack bin. Umso mehr möchte ich allen anderen Film-Freunden zurufen: Wenn ihr die Möglichkeit habt, dann schaut diesen Film auf der großen Leinwand.
Denn „Fabian Oder der Gang vor die Hunde“ dauert fast drei Stunden und wenn man ihn zu Hause guckt, bietet er jede Menge Zeit für Unterbrechungen von klingelnden Paketboten, nervenden Katzen und natürlich dem Smartphone. Diesem Film aber, diesem Rausch der Bilder solltet ihr euch ohne Störung ausliefern, konzentriert im Dunkel eines Saals vor einer riesigen Projektion. Es sind Filme wie „Fabian“, die mich zwei Corona-Lockdowns lang haben hoffen lassen, dass die Kinos überleben werden.
Der "Mad Max: Fury Road" unter den deutschen Slacker-Filmen
Der von Tom Schilling gespielte Slacker in „Fabian“ wäre am liebsten ein Autor und an Talent mangelt es ihm nicht, gleichwohl arbeitet er bis zur Entlassung als Werbetexter und entlastet seine schwermütige Seele in den Clubs und Bordellen des Berlins der 1930er, als die Goldenen Zwanziger nur noch eine blasse Erinnerung sind und Deutschland kurz vor der Machtübernahme durch Hitlers Nationalsozialisten steht. Dominik Graf lädt seine Verfilmung des berühmten Kästner-Romans dabei mit einer Energie auf, die für noch mal drei Stunden Laufzeit gereicht hätte:
Jede Szene der schnell geschnittenen, mit flinker Kamera gefilmten Slacker-Handlung hat eine unbändige Dringlichkeit, die ich in dieser Intensität zuletzt in „Mad Max: Fury Road“ gespürt habe, einem apoklyptischen Action-Film, der außerdem noch mit „Fabian“ gemeinsam hat, dass beide Filmemacher – George Miller und Dominik Graf – zum Zeitpunkt der jeweiligen Dreharbeiten schon Ende 60 waren. Ist das etwa das Alter, an dem meisterhafte Regisseure noch mal richtig aufdrehen? Das könnte man jedenfalls denken, wenn Dominik Graf, der Mann hinter „Im Angesicht des Verbrechens“ und jeder Menge guten TV-Krimis, jemals langsam gewesen oder geworden wäre.
Graf und Kästner passen wie Arsch auf Eimer
„Fabian“ pulsiert nur so vor Lebensenergie und Wut, weil Graf die frühen 1930er nicht als verstaubte Vergangenheit zeigt, sondern als greifbares, vom Lebensgefühl her gar nicht so weit von heute entferntes Gestern, und weil Tom Schillings verzweifelter Drifter bei all seinem Schwermut trotzdem voller Leben steckt. Damit ist Graf, der dem „Fabian“-Abspann nach eine freie Adaption des Kästner-Romans gedreht hat, in seiner ganzen inszenatorischen Einzigartigkeit und bei allen inhaltlichen Abwandlungen der Geschichte trotzdem ganz nah dran an der Vorlage, die er außerdem durch eingestreute, aus dem Off gesprochene Beschreibungen aus dem Buch mit ins Kino holt:
Erich Kästners präziser, lakonischer Schreibstil ergänzt sich mit Dominik Grafs brodelnder, inszenatorischer Wucht.
Drei Stunden „Fabian“ sind Film als Rauschzustand, aber völlig ohne Kater: Nach der Vorführung radelte ich privilegierter Berliner Sack mit einem Glücksgefühl wieder nach Hause, wie ich es mir nur im Kino abholen kann.