+++ Meinung +++
„Die Bestie“, „Verirrte Kugel“, „Red Dot“ und wie sie alle heißen: Mittlerweile findet sich eine ganze Schar von exklusiven europäischen Action-Thrillern auf Netflix, die vor einigen Jahren vermutlich einfach Direct-to-Homevideo erschienen wären. Und ja, ich finde es auch toll, dass internationale Filmemacher dank des Streaming-Riesen eine Chance auf der weltweiten Bühne bekommen – nur zeigt mir die Erfahrung leider, dass die wenigsten von ihnen diese Chance auch nutzen.
Filme, die sich etwas Neues trauen und auch tatsächlich im Gedächtnis bleiben, sind nämlich nur selten darunter. Wer sich genau das etwa von „Sentinelle“ (seit 5. März auf Netflix) erhofft, in dem Bond-Girl Olga Kurylenko („Ein Quantum Trost“) einen auf Liam Neeson macht, dürfte ebenfalls enttäuscht werden. Bis auf eine zumindest hier und da bemühte Hauptdarstellerin und ein, zwei stark inszenierte Szenen hat man alles aus dem Rache-Reißer nämlich schon zigmal besser gesehen und dementsprechend auch direkt wieder vergessen, sobald der Abspann läuft. Wenigstens lässt der noch nicht mal 80 Minuten auf sich warten.
Darum geht’s in "Sentinelle"
Soldatin Klara (Olga Kurylenko) erleidet im Zuge eines Kriegseinsatzes ein schweres Trauma, woraufhin sie in ihre französische Heimat versetzt wird. Geplagt von ihren schrecklichen Erinnerungen, versucht sie dort, wieder einen klaren Kopf zu bekommen – bis sie eines abends mit ihrer Schwester Tania (Marilyn Lima) ausgeht und diese schließlich verprügelt und vergewaltigt wird.
Kurzerhand nimmt Klara das Gesetz in die eigene Hand, um den Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Und ihre Spur führt schon bald zu einem dubiosen Russen, dem Sohn eines einflussreichen Oligarchen an der Riviera…
08/15-Action, 08/15-Thrill
Der Film beginnt mit einem Verhör – in dem es offensichtlich um Leben und Tod geht. Wie ein solches Szenario von der ersten Minute für Hochspannung sorgen kann, zeigte J.J. Abrams vor einigen Jahren etwa in „Mission: Impossible 3“. „Sentinelle“-Regisseur Julien Leclercq („Erde und Blut“) hingegen verpasst es von Anfang an, seinem Film auch nur einen Hoch von Spannung oder Dynamik zu vermitteln.
Auch im darauffolgenden Einsatz, in dem eine spektakuläre Zeitlupenszene fast an die Eröffnung in „Tödliches Kommando - The Hurt Locker“ erinnert, stellt Klara mit einer derartigen Gleichgültigkeit beiläufig fest, dass es „ein Problem“, sodass die Dringlichkeit dieser Feststellung direkt flöten geht. Wenn den Soldaten im Einsatz bzw. der Protagonistin schon „egal“ ist, wenn Gefahr droht – warum sollte es mich dann als Zuschauer interessieren?
Was folgt, ist eine in den besten Momenten einfallslose und in den schlimmsten Momenten hirnverbrannte Schnitzeljagd, in der klischeehafte Figuren, an den Haaren herbeigezogene Handlungsstränge und fürs Genre eben übliche Szenen nach Schema F abgefrühstückt werden – einfach, das eben so sein muss. Steht halt so im Drehbuch. Und wer die eingangs erwähnten Filme ebenfalls gesehen hat, darf sich einmal mehr auf einen kläglichen Versuch einstellen, inhaltliche Schwachstellen mit brutalen Actioneinlagen zu kaschieren, denen es aber an der nötigen Wucht fehlt. Dann lieber „Atomic Blonde“.
Der Gipfel wird schließlich mit einer wenig nachvollziehbaren Enthüllung und einem Bösewicht, der einem völlig haltlos vor die Füße geworfen wird, erreicht – das aber immerhin schon nach gut 75 Minuten. Im Gegensatz zu vielen, vielen anderen Netflix-Filmen hat „Sentinelle“ nämlich zumindest ein Problem nicht: Überlänge. Doch egal ob nun drei Stunden oder nicht einmal eineinhalb, verschenkte Zeit bleibt am Ende auch verschenkt.
Das geht besser: Alternativen auf Netflix
Ihr habt eine Schwäche für europäisches Spannungskino oder einfach für packende Verbrecherjagden? Dann gibt es auf Netflix für euch einige Highlights, die sich auch wirklich lohnen – von starken Hollywood-Kinofilmen bis hin zu Eigenproduktionen des Streamers. Unter anderem:
„Prisoners“ – Hugh Jackman nimmt das Gesetz im Thriller von Meister-Regisseur Denis Villeneuve („Blade Runner 2049“) nach dem Verschwinden seiner Tochter selbst in die Hand
„Wind River“ – Marvel-Stars Jeremy Renner und Elizabeth Olsen ermitteln im Film von Autor Taylor Sheridan („Sicario“) nach einem grausamen Mord im verschneiten Wyoming.
„Bis zum Untergang“ – In dem französisch-kanadischen wird das Überlebenscamp im verschneiten Hinterland zum Überlebenskampf.
„Der Schacht“ – Der spanische Netflix-Hit verbindet Spannung mit Sozialkritik – für Fans von klaustrophobischen Mystery-Geschichten wie „Cube“ oder auch „Lost“.
Und für alle, die auf auf besonders ausgeklügelte und wendungsreiche Geschichten abfahren, hat FILMSTARTS-Redakteur Ben noch einen ganz besonderen Film in petto:
Mehr Twists gehen nicht: Dieses geniale Netflix-Highlight ist völlig durchgeknallt und super spannend!