Mit einem kolportierten Budget von mehr als 200 Millionen Dollar (manche Quellen sprechen sogar von annähernd 300 Millionen), wäre „Mulan“ einer der teuersten Filme des Kinojahres gewesen. Inzwischen hat Disney allerdings entschieden, den Blockbuster aufgrund von Corona in vielen Ländern inklusive Deutschland direkt auf Disney+* zu veröffentlichen – um auf diese Weise das Mega-Budget mit einer neuen Strategie trotz der Kinobeschränkungen wieder reinzuholen.
Als wir uns bereits im vergangenen Januar mit Regisseurin Niki Caro in London getroffen haben, war die (Kino-)Welt aber noch in Ordnung – und so haben wir auch über das gesprochen, was in letzter Zeit leider oft ein wenig kurz kommt. Nämlich den Film selbst…
FILMSTARTS: Ich glaube, dass viele Leute von „Mulan“ ein Live-Action-Remake des Disney-Zeichentrickfilms erwarten. Dabei ist dein Film vielmehr eine neue Interpretation der klassischen chinesischen Legende. Wie kam es zu der Entscheidung?
Niki Caro: Das wussten wir von Anfang an. Denn durch die Realfilm-Adaption ergab sich schließlich erst die Möglichkeit, auch genau das zu sein – real! Wir wollen zeigen, wie es sich wirklich für eine Frau anfühlte, eine Reise durch ganz China auf sich zu nehmen, um in den Krieg zu ziehen. Wir wussten von Anfang an, wo wir mit unserem Film hinwollen.
Was ist mit Mushu?
FILMSTARTS: Stand denn jemals zur Debatte, Mushu trotzdem zurückzubringen? Der kleine Drache war immerhin der Publikumsliebling des Zeichentrickfilms…
Niki Caro: Nein, das war kein Thema für uns. Das hätte da einfach nicht gepasst.
FILMSTARTS: Dafür gibt es jetzt andere mystische Wesen im Film…
Niki Caro: Genau, wir haben eine magische Kreatur, die aber weiblich ist. Das ist auch eine kleine Hommage an Mushu: Auf der rechten Seite des Kaisers sitzt ja ein männlicher Drache, während der Phoenix zu seiner Linken für die weibliche Seite steht. Diese Figur repräsentiert zum einen den Einfluss der Vorfahren in unserem Film – gleichzeitig aber auch die starke Verbindung, die Mulan zu ihrem Vater hat.
FILMSTARTS: Ein Unterschied zum Zeichentrickfilm ist auch, dass Mulan jetzt eine Schwester hat…
Niki Caro: Ja, genau. Das ist eine wirklich tolle Rolle! Sie ist zwar nicht besonders groß, für die Geschichte aber nichtsdestotrotz sehr, sehr wichtig.
Erwachsener als der Zeichentrickfilm
FILMSTARTS: Der Ursprung der Ballade um Hua Mulan geht bis ins 5. Jahrhundert zurück. Später entwickelte sich aber auch noch eine modernere Version, die in einem tragischen Selbstmord endet…
Niki Caro: Oh, ja. Ich weiß! Aber keine Sorge, das machen wir nicht! Wir haben uns für ein hoffnungsvolleres Ende entschieden [lacht] – emotional, aber eher aufbauend und nicht so niederschmetternd.
FILMSTARTS: Es gibt in deinem Film außerdem auch keine Gesangseinlagen, dafür aber epische Kampfszenen. Ist der Film überhaupt noch für Kinder?
Niki Caro: Ja, der Film ist tatsächlich für jeden. Er ist in ein paar Punkten vielleicht etwas anspruchsvoller als der Zeichentrickfilm, aber ansonsten genauso für jedermann. Wir haben der Geschichte einfach ein zeitgemäßes Update verpasst.
FILMSTARTS: Aber wie stellt man es an, Kämpfen und Schlachten die nötige Wucht zu verpassen und deren oft schrecklichen Folgen zu vermitteln, ohne die Gewalt auch tatsächlich explizit zu zeigen?
Niki Caro: Es ist schon ein unglaublicher Balanceakt, etwas zu zeigen, das echt und schrecklich wirken soll, ohne allzu grafisch zu werden. Für mich war die Kampfkunst der Schlüssel, weil diese Art von Kämpfen einfach unglaublich schön und elegant ist. Und was die Schlachten angeht, die sehe ich wie das Naturschauspiel, wenn aus einem Vulkan Rauch aufsteigt. Denn der genügt bereits, um zu wissen, was gerade im Inneren vor sich geht. Und so zeigen auch wir Kämpfe, die zwar schreckliche Folgen haben, gleichzeitig aber aus der Entfernung wunderschön aussehen.
Mehr China wagen
FILMSTARTS: Wo wir schon bei Balanceakten sind: Du bist Neuseeländerin und machst einen amerikanischen Film über eine chinesische Legende. Gerade die Sehgewohnheiten zwischen Zuschauern aus den USA und China unterscheiden sich zum Teil stark. War es schwierig, den Ansprüchen auf beiden Seiten gerecht zu werden?
Niki Caro: Da hast du absolut Recht. Trotzdem geht es mir zuallererst immer um die Wahrheit, die in einer Geschichte liegt und die Emotionen der Figuren. Wenn eine Geschichte aus menschlicher Sicht wahrhaftig ist, dann ist sie das für Leute in Deutschland, Neuseeland oder in jedem anderen Land. Nur darauf kommt es in Wirklichkeit an.
FILMSTARTS: Du bist bisher eher für kleinere Filme bekannt. Wie kam es denn dazu, dass Disney in dir die richtige Regisseurin für „Mulan“ sah?
Niki Caro: Nun, ich habe schon zuvor mit Disney gearbeitet [Anm.d.Red.: bei „City Of McFarland“]. Aber das ist trotzdem eine sehr gute Frage. Denn es lief ungefähr so: Sie mochten meine Idee, die ich für den Film hatte und gaben mir ein paar Monate Zeit und ein paar Leute, um ihnen zu zeigen, was ich damit vorhatte. Ich wusste, ich muss diese Chance nutzen und sie überzeugen, dass ich nicht etwa einen kleinen, total finsteren Film machen wollte. Ich dachte mir nur: „Ich werde euch schon zeigen, wie groß die Vision in meinem Kopf ist.“ Und von da an waren wir uns einig, in welche Richtung „Mulan“ gehen soll.
Die Action: Spektakulär, aber bodenständig
FILMSTARTS: Wie war es denn für dich, zum ersten Mal derart aufwändige Actionszenen zu drehen?
Niki Caro: Ich hatte so viel Spaß dabei! Es ist einfach großartig, eine Geschichte anhand von Action zu erzählen. Mir kam es vor allem darauf an, Mulan eben nicht als eine Art Superheldin darzustellen. Sie fliegt also nicht ständig an irgendwelchen Seilen herum. Sie ist einfach eine Frau, die nicht nur viel Kraft in ihrem Körper, sondern vor allem auch einen starken Geist hat.
FILMSTARTS: Und die Kraft weiß sie auch einzusetzen. Die Actionszenen haben es wirklich in sich…
Niki Caro: Ja, unser Stunt-Koordinator Ben Cooke hat wirklich tolle Arbeit geleistet. Er hat die Kampfchoreografien immer erst geplant und mir vorgestellt, bevor wir sie dann schließlich gemeinsam weiterentwickelt haben. Und dann hatten wir natürlich das Glück, für die Umsetzung auf einige chinesische Kampfsportmeister zurückgreifen zu können. Es ist wirklich, wirklich beeindruckend, wozu sie in der Lage sind.
FILMSTARTS: Neben Liu Yifei, Donnie Yen und Jason Scott Lee hast du unter anderem auch den großen Jet Li für deinen Film bekommen. War es schwierig, ihn für „Mulan“ zu gewinnen? Er dreht ja auch nicht mehr so viele Filme wie früher…
Niki Caro: Das stimmt – und dass er dabei ist, haben wir tatsächlich seiner Tochter zu verdanken, die ihm verklickerte, dass er die Rolle unbedingt annehmen müsse. Und was kann es schon für einen besseren Grund geben, als der eigenen Tochter damit einen Wunsch zu erfüllen? [lacht]
Nächster Halt: Marvel?
FILMSTARTS: Inwiefern war es für dich denn Neuland, so einen großen Blockbuster zu drehen? War das im Endeffekt dasselbe in grün, nur eben ein paar Nummern größer?
Niki Caro: Die Grundregeln des Storytelling bleiben dieselben. Was sich ändert, ist lediglich die Dimension und der Aufwand. Du musst deine Charaktere einfach lieben und deine Geschichte gut erzählen, darum geht es im Kern – und zwar immer.
FILMSTARTS: „Mulan“ ist einer der größten (Action-)Filme, die Disney jemals produziert hat. Ich würde behaupten, damit hast du mehr als nur einen Fuß in der Tür, um in Zukunft vielleicht auch weitere Actionfilme für das Studio zu machen. Ich denke da an Marvel & Co…
Niki Caro: Warum nicht! Was mir am wichtigsten ist, ist der persönliche Bezug zu einer Story, einer Figur. Da muss einfach eine ganz besondere Verbindung da sein – und dann ist mir ganz egal, wo die Geschichte spielt.
Frauen erobern die Blockbuster-Welt
FILMSTARTS: Es gab bereits mehrere „Mulan“-Filme, allesamt inszeniert von Männern. Glaubst du, dass du als Frau vielleicht eine neue Perspektive mitbringst?
Niki Caro: Das hoffe ich, ja. Ich hoffe, dass ich dieser über 1.500 Jahre alten Geschichte mit meinem Film einen frischen und vor allem zeitgemäßen Anstrich verpassen kann.
FILMSTARTS: Was momentan auffällt: Immer mehr Frauen bekommen die Chance, Blockbuster zu drehen, die sich dann allerdings auch um Frauen drehen – von „Wonder Woman 2“ und „Birds Of Prey“ über „Black Widow“ bis hin zu „Mulan“. Es fühlt sich aber immer noch so an, als wäre man in Hollywood noch nicht bereit dafür, einer Frau auch mal männliche Helden wie James Bond zu überlassen. Siehst du das auch so? Wäre das für dich der nächste Schritt?
Niki Caro: Ich hoffe, dass das der nächste Schritt ist! Denn genau mit diesen Filmen beweisen wir eben, dass wir genauso in der Lage sind, solche Filme zu machen.
„Mulan“ läuft ab dem 4. September 2020 auf Disney+.
Der Preis für "Mulan" steht fest: So viel müssen Disney+-Kunden in Deutschland extra zahlen*Bei diesem Link zu Disney+ handelt es sich um einen Affiliate-Link. Mit dem Abschluss eines Abos über diesen Link unterstützt ihr FILMSTARTS. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.