+++ Meinung +++
Im April 2019 wurde bekannt, dass sich „Phantastische Tierwesen 3“ massiv verzögern wird. Statt im November 2020 soll der Fantasy-Film erst im November 2021 in die Kinos kommen. Wegen Corona könnte es eine weitere Verschiebung geben – die aber nicht davon ablenken sollte, dass die wahren Probleme dieser Reihe nichts mit der globalen Pandemie zu tun haben.
Es hilft, Warners Stellungnahme zur Startverschiebung 2019 in eine Sprache ohne PR-Floskeln zu übersetzen. Im Original lautet das Statement:
„Wir sind begeistert über die ‚Tierwesen‘-Reihe und haben vollstes Vertrauen in sie. Wir glauben, dass das neue Veröffentlichungsdatum den Filmemachern die Zeit und den Raum geben wird, ihre Kunst vollständig zu entfalten und unseren Fans den bestmöglichen Film zu liefern.“
Übersetzt lautet das Statement:
„Die ‚Tierwesen‘-Reihe läuft überhaupt nicht so, wie wir uns das in unserer Verblendung vor Projektstart ausgemalt haben. Unser Vertrauen ist zu einem großen Teil dahin. Wir hoffen, dass das neue Veröffentlichungsdatum den Filmemachern die Zeit und den Raum geben wird, zu retten, was noch zu retten ist.“
Warner ist enttäuscht
2011 ging die „Harry Potter“-Reihe im Kino mit „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 2“ zu Ende (der heute ab 20:15 Uhr auf ProSieben läuft). Warner wollte unbedingt weitere Filme aus J.K. Rowlings magischer, faszinierender Welt, um an den Erfolg anzuknüpfen. Aber obwohl das Prequel „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ ein sympathischer Film ist und gute Kritiken sowie Zuschauerbewertungen bekam, blieb er finanziell hinter den Erwartungen des Studios.
Mit weltweit 814 Millionen Dollar liegt der erste „Tierwesen“ nur auf Platz 8/10 der nach Einnahmen geordneten „Potter“-Filme. Weniger spielten lediglich „Harry Potter und der Gefangene von Azkaban“ (796 Millionen Dollar) – und „Phantastische Tierwesen 2: Grindelwalds Verbrechen“ ein, der mit 653 Millionen Dollar das Schlusslicht bildet (bei Kritikern und Zuschauern kam er außerdem deutlich schlechter weg als der erste „Tierwesen“).
Probleme mit dem Personal
Wenn die Einnahmen einer Filmreihe dermaßen einbrechen, vor allem im zweiten von fünf geplanten Filmen, wird ein Studio nervös. Ist ja auch klar: Teure Produktionen der Preisklasse um die 200 Millionen Dollar sind gigantische Wetten, an deren Erfolg Wohl und Wehe einer ganzen Firma hängen können. Diese Wetten sind riskant (selbst wenn gerade kein Virus die Kinos leerfegt).
Kopfzerbrechen bereiten dürfte auch die Entscheidung, Johnny Depp als großen Gegenspieler Grindelwald in Stellung zu bringen – ausgerechnet Ende 2016, nachdem die Vorwürfe seiner Ex-Frau Amber Heard die Runde gemacht hatten, wonach der Schauspieler ihr gegenüber gewalttätig gewesen sein soll.
Nun kann man Warner damit verteidigen, dass die Vorwürfe gegen Depp bei Warner wahrscheinlich nicht rechtzeitig vor der Produktion bekanntgewesen sind (man konnte außerdem nicht auf dem Zettel haben, dass dem Credence-Darsteller Ezra Miller später ebenfalls gewalttätiges Verhalten vorgeworfen werden sollte und J.K. Rowling nun nach kontroversen Tweets in der Kritik steht, sich gegen Trans-Menschen zu richten).
Aber im Grunde lenken die aktuellen Personalprobleme nur davon ab, dass der größte Fehler ganz am Anfang der Produktion gemacht wurde. Hat wirklich jemals irgendein Warner-Produzent gedacht, wenn er ganz, ganz ehrlich mit sich selbst war, dass es eine gute Idee ist, die „Potter“-Filme mit einer Reihe fortzusetzen, die „Phantastische Tierwesen“ heißt – und fünf (!) Teile lang ist?
Aber die aktuellen Probleme sind nicht mal das Schlimmste
Das finanzielle Fundament vieler Filmstudios hängt von großen Marken ab. Ob das wirklich so sein muss, ist eine andere Frage. Fakt ist: Viele Kinozuschauer schauen gerne „Star Wars“, „Marvel“ oder „Harry Potter“ – und in der Logik eines Studios wie Warner bedeutet das: Es müssen weitere „Harry Potter“-Filme gedreht werden, selbst wenn „Harry Potter“ zu Ende ist.
Anstatt also das Ende der „Potter“ Reihe zu akzeptieren, wurde ganz tief in die Bücherkiste gegriffen und ein Buch namens „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ rausgekramt. Gegen dieses Buch wirkt „Der Hobbit“, den Warner und Peter Jackson auf drei Filme auswalzten, wie ein sechsbändiges Epos. J.K. Rowlings „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ ist ein fiktives Schulbuch, das als Ergänzung der „Harry Potter“-Bücher gedacht war. Plötzlich sollte es nicht einen, nicht drei, sondern fünf Filme tragen.
Nun ist J.K. Rowling, die als Drehbuchautorin aller Filme engagiert wurde, eine meisterhafte Geschichtenerzählerin – deren Stärke auch darin besteht, ihre Erzählung über Zauberer mit der tatsächlichen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu verzahnen. Die „Potter“-Bücher laden dazu ein, sich in eine Welt der Magie zu denken, doch gleichzeitig kennen wir Leser alle diese Welt, weil wir dieselbe Historie teilen.
Die Hogwarts-Schüler fehlen
Aber zum einen hatte Rowling vor „Phantastische Tierwesen 1“ keine Erfahrung darin, Drehbücher zu schreiben. Zum anderen ist spätestens nach „Phantastische Tierwesen 2“ klar, wie sehr Harry Potter und die anderen Zauberschüler von Hogwarts fehlen.
Vielleicht hatte Rowling tatsächlich eine zumindest grobe Idee davon, wie sich die Geschichte entwickeln sollte, bevor sie einen Vertrag über nicht einen, nicht drei, sondern fünf „Tierwesen“-Filme unterschrieb (ich glaube, dass sie das nicht hatte, aber egal). In jedem Fall wird bereits in „Phantastische Tierwesen 2: Grindelwalds Verbrechen“ deutlich, dass es im Grunde nicht um den sympathisch verplanten Tierforscher Newt Scamander (Eddie Redmayne) geht, dem im ersten Film so lustig die magischen Tiere ausgebüxt sind.
Es geht stattdessen um die Probleme der guten Magier mit Grindelwald und seinen bösen Magiern, den Nazis der Zauberwelt (wobei die echten Nazis auch noch irgendwie vorkommen müssen). Schön und gut – aber wer da eigentlich die Hauptfiguren sind, ist nicht so ganz klar. Kein Vergleich zu den „Potter“-Büchern und -Filmen, wo die ganze weitverzweigte Handlung stets um Harry, Hermine, Ron und die anderen Schüler der Zauberschule Hogwarts kreiste.
Diese Figuren waren schon für sich genommen toll, Hogwarts war für sich genommen ein faszinierender Ort, und gleichzeitig der Ausgangspunkt, um den großen Kampf zwischen guten und bösen Zauberern zu verstehen (in „Grindelwalds Verbrechen“ kommen Hogwarts und einige der Bewohner dagegen vor allem deswegen vor, damit sich „Potter“-Fans an die Abenteuer von Harry & Co. erinnert fühlen).
Und dann nennt man das Ganze auch noch „Phantastische Tierwesen“, obwohl weder das so betitelte Buch super bekannt ist, noch es bei den Filmen in erster Linie um phantastische Tierwesen geht.
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