+++ Meinung +++
„Das Dschungelbuch“ von 1967 hatte in Deutschland schätzungsweise gut 27 Millionen Kinobesucher und damit so viele wie kein anderer Film. Er gehörte zu den Filmen, bei denen ich völlig zu Unrecht vermutet habe, dass sie heute nur noch aus Gründen der Nostalgie gelobt werden.
Ich dachte mir: „Klar, alle mögen ‚Probier’s mal mit Gemütlichkeit‘ und die anderen Songs. Aber alles dazwischen ist mittlerweile wahrscheinlich angestaubt.“
Von wegen! Oder wie der Kollege Christoph Petersen schreiben würde: aber Pustekuchen!
Zwar offenbart Moglis künftige Frau am Schluss des Films ein arg altmodisches Verständnis von Geschlechterrollen, wenn sie ihn mit ihrem lieblichen „Ich koch’ für uns daheim“-Gesang aus dem Urwald ins Menschendorf lockt, aber davon abgesehen ist „Das Dschungelbuch“ ein taufrischer Film.
Nur 79 Minuten Film – und alles gesagt
Mit nicht mal 80 Minuten Laufzeit (die Sing- und Tanznummern eingerechnet) fällt „Das Dschungelbuch“ – wie viele Disney-Klassiker – recht kurz aus. Dennoch hatte ich am Ende das Gefühl, eine komplette Geschichte erzählt bekommen zu haben, anstelle der befürchteten Nummernrevue.
Das Remake von 2016 dauert knapp eine halbe Stunde länger als der Zeichentrickfilm von 1967, weil mehr Wolfsszenen drin sind und der böse Tiger Shir Khan einen größeren Part hat. Für mich sind diese inhaltlichen Erweiterungen vor allem dazu da, nach außen hin zu rechtfertigen, warum das Remake existiert – aber keine der Extra-Szenen brauche ich wirklich.
„Das Dschungelbuch“-Regisseur Wolfgang Reithermann und die Autoren bewiesen dagegen einen beachtlichen Mut zur Lücke. Nicht nur haben sie sich aus Rudyard Kiplings berühmter Buchvorlage eh nur einen kleinen Teil herausgepickt, sie haben diesen Teil auch noch gestrafft:
Moglis Aufwachsen bei den Wölfen etwa ist kaum zu sehen. Richtig los geht’s erst, wenn der Menschenjunge von Panther Baghira in Richtung Menschendorf geführt wird, ohne dass er das weiß.
Ich muss auch überhaupt nicht sehen, wie Mogli über die Jahre Teil der Wolfsfamilie wird, um zu verstehen, dass er im Dschungel bleiben will. Auf dem Weg, den er mit Baghira zurücklegt, sehe und spüre ich das auch so, etwa wenn das Menschenkind sich wie selbstverständlich in eine Truppe lustig marschierender Elefanten eingliedert.
Baghira oder Balu?
Ja, die schmissigen, eingängigen Songs sind so dermaßen großartig, dass ein paar Sekunden „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“ einen kompletten, ansonsten versauten Tag retten können. Der Clou beim Zeichentrick-„Dschungelbuch“ besteht für mich aber darin, dass ich mich kaum entscheiden kann, ob ich Baghira Recht geben soll oder Balu.
Baghira ist die Stimme der Vernunft: Mogli gehört nicht in den Dschungel, weil es da zu gefährlich für ein Menschenkind sei, vor allem wegen des menschenhassenden Tigers Shir Khan. Balu dagegen lebt nach dem Motto „wird schon werden“. Beide Einstellungen könnten Mogli zu einem glücklichen Leben verhelfen.
Schließlich entscheide ich mich dafür, dass Mogli bei den Menschen wahrscheinlich besser dran ist (das Filmende wurde ja auch entsprechend inszeniert). Gleichzeitig denke ich mit ein bisschen Wehmut an den fröhlichen Dschungelalltag, ans Bananenpflücken und Ameisenschlecken.
Was Disney-Verhältnisse angeht, werde ich mit bemerkenswert ambivalenten Gefühlen und Gedanken aus dem Film entlassen. Wäre es vielleicht doch besser gewesen, wenn Mogli im Dschungel geblieben wäre?
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