+++ Meinung +++
Manchmal kann einem zu viel Pedanterie einen Film ruinieren. Bei „Die Turteltauben“, der neuen Komödie auf Netflix, war das für mich ein kleines Stück weit der Fall, hat mich eine Szene doch so richtig aus dem Film gerissen, zumindest kurz.
Als die Hauptfiguren Leilani (Issa Rae) und Jibran (Kumail Nanjiani) gerade ihre von Missverständnissen geprägte Flucht vor der Polizei beginnen, machen sie in einem typisch amerikanischen, familienfreundlichen Diner Station, wo zu ihrem Bedauern kein Alkohol ausgeschenkt wird. Also trinken sie stattdessen jeder einen Milchshake.
Die Milchshake-Debatte in den USA …
Stellvertretend für die vielen alltäglichen Diskussionen des sich gerade trennenden Paares entbrennt ein Gespräch darüber, warum man in diesen Lokalitäten zusätzlich zum Milchshake im Glas immer noch den bei der Herstellung entstandenen Mehranteil im silbernen Mixbecher bekommt.
Dieses US-Phänomen dürfte den meisten Zuschauern in Deutschland ziemlich wenig bedeuten.
In den USA allerdings hat die Frage, warum das nur bei Milchshakes und nicht – wie Jibran auch anmerkt – zum Beispiel bei Suppen so gemacht wird, in Sozialen Medien eine durchaus lebhafte Diskussion angestoßen, denn diese Frage scheint wirklich sehr viele Amerikaner zu beschäftigen.
Die Webseite Slate.com hat sogar einen ausführlichen Hintergrundartikel über die sehr „komplizierte“ Antwort geschrieben.
Doch mich beschäftigte diese Frage beim Schauen von „Die Turteltauben“ schnell überhaupt nicht mehr, denn ich dachte mir nur: Warum zur Hölle sind da plötzlich Pommes???
… und der Pommes-Fehler
Das Gespräch zwischen Leilani und Jibran ist inszenatorisch ziemlich simpel gestrickt: Schnitt – Gegenschnitt und so weiter. Abwechselnd blickt man über die Schulter einer Figur auf das Gegenüber. Anfangs stehen vor beiden die vollen Milchshake-Gläser. Doch von einer Szene zur nächsten ist das nicht mehr so.
Nach einer Einstellung, bei der Leilanis Körper den Blick auf den Tisch verdeckt, sehen wir über Jibrans Schulter plötzlich einen Teller voller Pommes zwischen den beiden, der sich auch in Rekordgeschwindigkeit leert, während weiter über den Milchshake gesprochen wird.
Nach dem Film musste ich mich erst einmal auf die Suche machen, ob nur mir dieser offensichtliche Fehler untergekommen ist, doch auch der britischen Kritikerin Hanna Ines Flint ist er direkt aufgefallen und sie hat den Anfang der Szene direkt abgefilmt:
Es handelt sich auch um einen klaren Filmfehler (einen sogenannten Kontinuitätsfehler), da das nahtlos fortlaufende Gespräch keinen Raum gibt, um zwischen zwei perspektivwechselnden Schnitten ein Abräumen der Milchshakegläser und Servieren der Pommes einzubauen.
Ich bin da leider etwas pedantisch und war durch diesen Fehler erst einmal für eine Minute aus der Diskussion raus, musste mich quasi neu in den Film einfinden (was mir zum Glück auch schnell wieder gelang). Das ist eine Eigenschaft, die ich gerne ablegen würde, und vielen dürfte der Fehler auch gar nicht aufgefallen sein. Doch wie kommt es überhaupt zu einem solchen Fehler?
Vielleicht sogar Absicht?
Bei einem Filmdreh werden meist verschiedene Varianten einer Szene gedreht. Manche Schauspieler steigern sich mit vielen Takes, laufen sich quasi warm, vor allem hilft es aber auch, um verschiedene Varianten zu probieren. Im Schnitt kann man sich dann – gerade, wenn umfangreich mit Schnitt-Gegenschnitt gearbeitet wird – aus den verschiedenen Takes die beste Szene zusammenbasteln.
Vielleicht kam Kumail Nanjianis Spruch bei Take 5 am besten rüber, aber Issa Raes Antwort war bei Take 3 besser. Also setzt man es einfach so zusammen. Dumm nur ist, wenn zwischendrin jemand auf die Idee kommt, doch mal etwas anderes zu probieren – und Pommes statt Milchshakes auf den Tisch zu stellen. Dann kann man die Pommes-Takes und die Milchshakes-Takes eigentlich nicht mehr miteinander mischen…
Die TurteltaubenDass genau dies nun doch passiert ist, kann ein simpler, trotz so vieler Spezialisten am Filmset menschlicher Fehler gewesen sein, aber vielleicht auch pure Absicht. Wir wissen zumindest, dass es Filmemacher da draußen gibt, welche die Meinung vertreten, dass der bessere Moment die Kontinuität trumpft.
Ergo: Wenn die besten Aufnahmen teilweise mit Milchshake und teilweise mit Pommes entstanden sind, dann mischen die das halt, auch wenn sie dadurch einen Fehler einbauen.
Den nehmen sie lieber in Kauf, als eine Szene zu nutzen, die eine Spur schlechter ist als die beste Variante. Und schließlich wissen sie, dass das Gros der Zuschauer den Geisterhand-Wechsel von Milchshake zu Pommes so oder so übersehen wird. Und bei den wenigen, die es wie mich kurz aus dem Film reißt, hofft man, sie mit dem nächsten Witz wieder reinzuholen.
"Die Turteltauben" auf Netflix, "The Big Sick" auf Amazon
„Die Turteltauben“ sollte übrigens ins Kino kommen, landete aber wegen den lange Zeit Corona-bedingt geschlossenen Lichtspielhäusern direkt bei Netflix. Dort ist die Komödie im Abo abrufbar.
Für Regisseur Michael Showalter und seinen Hauptdarsteller Kumail Nanjiani ist es übrigens nicht die erste Zusammenarbeit. Die beiden machen schon seit mehreren Jahren viel zusammen – allen voran den oscarnominierten „The Big Sick“, der ausgerechnet für den größten Netflix-Konkurrenten Amazon Prime Video entstand, dort auch im Abo enthalten ist* (und übrigens auch ein paar Kontinuitätsfehler hat).
Dabei handelt es sich um die filmische Aufarbeitung der wahren Geschichte von Kumail Nanjiani und seiner Frau und Co-Autorin Emily V. Gordon.
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