In „Blinded By The Light“ erzählt Gurinder Chadha basierend auf den Erlebnissen des Journalisten Sarfraz Manzoor die Geschichte des Teenagers Javed (Viveik Kalra). Dieser wächst als Sohn pakistanischer Einwanderer im Großbritannien der 1980er Jahre auf. Als er eines Tages die Musik von Bruce Springsteen entdeckt, ermutigt ihn dies, trotz aller Widerstände seiner Familie und der Gesellschaft seinen Traum zu verfolgen.
„Blinded By The Light“ ist „eine ganz wunderbare Coming-Of-Age-Geschichte, nach der man völlig beschwingt das Kino verlässt“, wie wir in unserer FILMSTARTS-Kritik feststellen. Obwohl es ein herausragender Wohlfühl-Film mit ganz viel Musik ist, gibt es auch politische Untertöne, die allein schon dadurch entstehen, dass Javed zur Zeit der Thatcher-Regierung aufwächst und mit Rassismus konfrontiert wird. Obwohl die Geschichte in den 80er-Jahren spielt, kann man wunderbar Parallelen zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage ziehen – nicht alle waren geplant. So waren die ersten Debatten über den Brexit zwar ein Anlass, den Film zu machen, doch von Boris Johnson als britischem Premierminister ahnte damals natürlich niemand etwas, wobei gerade dazu nun eine Stelle im Film perfekt passt.
Und so geht es auch in unserem Interview mit Regisseurin Gurinder Chadha („Kick It Like Beckham“, „Der Stern von Indien“) deutlich mehr um Politik, als es von uns geplant war. Aber keine Sorge: Natürlich sprechen wir auch über Bruce Springsteen und wollten von der Filmemacherin wissen, wie er auf den Film reagiert hat.
Gurinder Chadha im Interview
FILMSTARTS: Dass dein Film so großartig geworden ist, liegt nicht nur an den Schauspielern und deiner starken Regie, sondern natürlich auch an der unglaublichen Kraft der Musik von Bruce Springsteen. Warum sprechen diese Songs eines alten amerikanischen Rockers zu so vielen Menschen, von einem pakistanischen Einwandererkind im Großbritannien der 80er bis hin zu mir, einem deutschen Journalisten in der Gegenwart?
Gurinder Chadha: Bruce singt eigentlich seit 50 Jahren über dieselben Dinge, aber eben über sehr wichtige Dinge. Er singt über die einfachen Menschen und ihre Probleme. Das sind Arbeiter, ob entlassen oder noch in Lohn und Brot, Flüchtlinge, Migranten bis hin zu Veteranen, die im Krieg waren und zurückgekommen sind. Es sind normale, anständige Menschen, die einfach nur ein ordentliches Leben führen wollen. Das Besondere an Bruce ist, dass er diese Menschen nicht romantisiert. Er macht immer deutlich, dass das Leben eine Anstrengung ist, gibt aber Hoffnung: Am Ende kann jeder sein persönliches „Promised Land“ [Anm.: der Titel eines Springsteen-Hits] finden. Und damit können sich dann sehr viele Menschen identifizieren.
FILMSTARTS: Hoffnung ist ein gutes Stichwort, denn mir scheint es, dass „Blinded By The Light“ auch deshalb so eine unglaubliche Wirkung entfaltet, weil du, obwohl es eine Geschichte aus den 80ern ist, eine Story erzählst, die perfekt in unsere Zeit passt.
Gurinder Chadha: Genau das hat kürzlich eine Frau zu mir gesagt. Sie kam im Anschluss an eine Vorführung auf dem American Film Festival im texanischen Dallas zu mir und meinte: „Dieser Film kommt genau zur richtigen Zeit, denn wir sind aktuell in einer ‚kollektiven Depression‘“, und ich dachte nur: „Wow, das ist ein guter Ausdruck!“ Und es stimmt: Aktuell geht eine Menge in der Welt vor, was sehr viele Menschen sehr traurig macht. Personen, die Teilung und Hass propagieren, bekommen sehr viel Sendezeit. Die Menschen, die auf der anderen Seite stehen und die meiner Ansicht nach in der Mehrheit sind, haben das Gefühl, dass ihre Ansicht nicht so sehr artikuliert wird. Das wollte ich machen.
Mein Film soll sagen: Haltet mal eine Minute inne. Das ist die Welt, an die wir glauben, das ist die Welt von Bruce – gesehen durch die Augen eines 16 Jahre alten pakistanischen Jugendlichen in England. Und plötzlich bekommst du dadurch eine universale Vision, mit der du dich überall auf der Welt identifizieren kannst.
Donald Trump & Boris Johnson: Den Zeitgeist getroffen!
FILMSTARTS: Und die genau den Zeitgeist trifft, was du ja so nicht ahnen konntet. Man kann Parallelen zu Donald Trump ziehen. Seit wenigen Tagen ist hier bei euch in Großbritannien Boris Johnson im Amt und da fallen überall natürlich sofort die Vergleiche zur dunklen Thatcher-Ära, die in deinem Film eine wichtige Rolle spielt. Die Kamera fängt an einer Stelle sogar groß ein Thatcher-Plakat ein, auf dem sie für Einheit plädiert, obwohl sie die Gesellschaft damals spaltete – exakt so wie Johnson nun.
Gurinder Chadha: Eine gewisse Aktualität ist natürlich beabsichtigt. Ich wollte „Blinded By The Light“ eigentlich nicht als nächsten Film machen. Doch dann kam es zur Brexit-Kampagne und das war wirklich eine richtig harte Zeit für mich. Ich war geschockt, wie stark hier in Großbritannien die Fremdfeindlichkeit aus den verschiedensten Richtungen zunahm. Leute hatten plötzlich das Gefühl, im Bus alte schwarze Frauen, die seit 40 Jahren für den National Health Service arbeiteten und schon ewig hier lebten, anbrüllen zu können. Ich beobachtete selbst hier im liberalen London einen Zusammenbruch der Gesellschaft, wie ich sie bislang kannte.
Ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen und meine Stimme sind nun einmal meine Filme. Also habe ich das Drehbuch, das wir schon seit Jahren entwickelt hatten, genommen und mir nur gedacht: „Das fühlt sich plötzlich wieder so unglaublich relevant an!“ Ich musste „Blinded By The Light“ als Reaktion auf all diesen Hass rund um den Brexit zu meinem Film darüber machen.
Was ich damals aber natürlich noch nicht ahnte: Wie relevant dies nun nur ein paar Jahre später auch für so viele andere Länder auf der Welt ist, speziell natürlich für die USA. Die nun so deutliche Parallele habe ich nie beabsichtigt. Ich habe ja gerade nicht die Thatcher-Zeit so stark in den Mittelpunkt gestellt, gehe kaum auf die Politik selbst ein, sondern beschreibe nur, was für den Hintergrund nötig ist, genug, um zu verstehen, was damals los war. Es gab in den 80ern eine Teilung der Gesellschaft und es ist natürlich ein ziemlich interessanter Zufall, dass Johnson nun plötzlich über Einheit spricht und genau die Kampagne von Thatcher wieder aufgreift. Und ich hoffe, mein Film kann ein bisschen vereinigen. Mein Patenkind ist ein Tory, vergöttert Thatcher und ist glühender Boris-Johnson-Fan – ja, ich weiß, da habe ich in der Erziehung irgendwie versagt – aber auch ihm hat der Film gefallen.