Heftiger Eingriff bei Netflix: Vor dem Start der dritten Staffel „Tote Mädchen lügen nicht“ hat Netflix den Selbstmord von Hauptfigur Hannah Baker (Katherine Langford) aus der ersten Staffel der Hitserie entfernt. Der Akt wurde bisher in Episode 13 der ersten Staffel detailliert gezeigt, in der neuen Schnittfassung der Folge wird jetzt stattdessen weggeschnitten. Die dreiminütige Sequenz, in der Hannah sich in der Badewanne die Pulsadern öffnet, wurde komplett entfernt, stattdessen sieht der Zuschauer nun nur noch die Reaktion ihrer Eltern. Da die Handlung der Serie nach Hannahs Selbstmord spielt und bereits von vornherein bekannt ist, was Hannah sich angetan hat, fehlen dem Zuschauer auch nach dem Eingriff keine wichtigen Informationen, auf künstlerischer und politischer Ebene ist die Änderung des Senders dennoch bemerkenswert.
Für die grafische Darstellung des Suizids der Minderjährigen erntete Netflix bei der ersten Veröffentlichung der Serie viel Aufsehen aber auch harsche Kritik von vielen Zuschauern, die der Serie vorwarfen, jugendgefährdend oder Selbstmord verherrlichend zu sein. Den Eingriff begründet Netflix mit folgendem Statement:
„Wir haben von vielen jungen Leuten gehört, dass ‚Tote Mädchen lügen nicht‘ sie ermutigt hat, ein Gespräch über schwierige Themen wie Depressionen und Selbstmord anzustoßen und sich Hilfe zu suchen – oft zum ersten Mal. In Vorbereitung auf den Start der dritten Staffel im Spätsommer, haben wir den fortlaufenden Diskurs über die Serie aufmerksam verfolgt. Auf den Rat unserer medizinischen Experten, unter ihnen Dr. Christine Moutier, Chief Medical Officer bei der American Foundation of Suicide Prevention, haben wir zusammen mit Serienschöpfer Brian Yorkey und den Produzenten entschieden, die Szene, in der sich Hannah das Leben nimmt, aus Staffel eins zu entfernen.“
Entscheidung mit Folgen
Der nachträgliche Eingriff in die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ kommt mit reichlich Ballast daher: Einerseits ist es natürlich das gute Recht der Produzenten und des Serienschöpfers, nachträgliche Veränderungen an ihrem eigenen Werk vorzunehmen, manche würden die Entscheidung aufgrund des Kontexts sogar als moralisch richtig und verantwortungsbewusst einordnen. Auf der anderen Seite löscht Netflix, da es sich um eine Eigenproduktion handelt, die exklusiv auf der Streamingplattform angeboten wird, auch die ursprüngliche Version der Serie komplett. Es gibt also, sofern Netflix die Möglichkeit nicht in Zukunft doch noch anbietet, keinen legalen Weg, die Original-Episode in ihrer damals intendierten Fassung zu sehen.
Die Entscheidung von Netflix könnte gravierende Folgen für die Zukunft des Streamings haben. Mit dem Rückgang von physischen Medien und dem Komfort von Streaming- und Download-Inhalten könnte uns eine Zeit bevorstehen, in der die Konservierung von Kunst schwerer und schwerer wird. Die Original-Version von „Star Wars“, die von 20th Century Fox und Disney seit dem Ende der 90er-Jahre nicht mehr angeboten wird, ist beispielsweise immer noch in Umlauf, da Fans die Filme auf DVD, VHS und Laserdisk besitzen und mittels moderner Gerätschaften digitalisieren und verbreiten können. Das ist zwar auch nicht optimal und an der Grenze der Legalität, gewährleistet aber, dass diese Fassung der Saga nicht einfach vom Erdboden verschwindet. Filmarchive und Museen leisten dahingehend natürlich ebenfalls höchst notwendige Arbeit.
Wem gehören Filme?
Die Frage, die sich Nutzer in Zukunft stellen müssen, ist die, ob wir Dinge, die wir digital erwerben, überhaupt noch besitzen. Wo Abonnenten von Netflix ausschließlich für das Recht bezahlen, die Bibliothek des Anbieters zu nutzen, gibt es auf Amazon und Co. auch die Möglichkeit, zum Streaming angebotene Filme und Serien zu kaufen. Was passiert, wenn sich ein Portal entscheidet, nachträglich den Inhalt eines Werks zu verändern, für das man bereits Geld bezahlt hat? Hat der Käufer einen Anspruch auf das Produkt, das er damals erworben hat oder werden in Zukunft alle Rechte bei Produzenten und den Betreibern der Streamingseiten liegen?
Die Videospielindustrie muss sich bereits seit längerem mit diesen Fragen auseinandersetzen und könnte ein Indikator sein, wohin sich Streaming und andere digitale Film- und Serienangebote in Zukunft entwickeln könnten. Dort wird ganz selbstverständlich durch Updates und nachträglich hinzugefügte Inhalte in Werke eingegriffen, ohne dass der Käufer irgendetwas daran ändern oder Ansprüche geltend machen kann. Womöglich könnte „Tote Mädchen lügen nicht“ also erneut eine Diskussion anstoßen, die diesmal allerdings nicht direkt mit dem Inhalt der Serie zu tun hat.
Staffel drei von „Tote Mädchen lügen nicht“ startet voraussichtlich noch im Sommer 2019. Einen genauen Starttermin gibt es noch nicht.
Suizid ist kein Ausweg. Wenn deine Gedanken darum kreisen, dir das Leben zu nehmen, dann empfehlen wir dringend, dass du das Gespräch mit anderen Menschen suchst. Sprich mit deiner Familie oder deinen Freunden, einem Arzt oder Psychologen oder mit einer anderen Vertrauensperson darüber. Wenn du anonym bleiben willst, dann gibt es mehrere Angebote der TelefonSeelsorge, die nicht nur kostenfrei, sondern auch absolut vertraulich sind (und zum Beispiel auch nicht auf der Telefonrechnung auftauchen). Unter den Nummern 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 wird dir geholfen. Alternativ kann man sich auf der Webseite der TelefonSeelsorge auch einen Chattermin vereinbaren oder die Mailberatung in Anspruch nehmen. Auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention gibt es zudem eine Übersicht über weitere Beratungsstellen.
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