Gleich für ihre allererste Kinorolle in „12 Years A Slave“ wurde Lupita Nyong’o mit einem Oscar als Beste Nebendarstellerin ausgezeichnet. Es folgten Blockbuster-Auftritte in „Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht“ (als orangene Alienpiratin Maz Kanata), „Das Dschungelbuch“ (als Moglis Wolfsmutter Raksha) sowie in „Black Panther“ (als wakandianische Kriegerin Nakia). Zum ersten Mal in einer Hauptrolle sieht man sie nun aber erst in „Wir“ – dafür aber dann auch gleich doppelt: Nyong’o verkörpert darin nämlich nicht nur die Familienmutter Adelaide Wilson, sondern auch deren heiser-krächzende Doppelgängerin Red, die eines Nachts mitsamt ihrer Doppelgänger-Familie plötzlich mit Scheren bewaffnet vor der Tür steht.
FILMSTARTS: Was hast du beim ersten Lesen des Drehbuchs gedacht, als du erfahren hast, dass du zwei so unterschiedliche Figuren in einem Film spielen sollst?
Lupita Nyong’o: Ich war aufgeregt, aber natürlich auch etwas eingeschüchtert. Ich hatte vorher noch nie ein Drehbuch zu einem Horrorfilm gelesen. Es war ziemlich beängstigend und mir war schnell klar, dass dort zwei sehr unterschiedliche, aber auch sehr tiefgründige Frauen beschrieben wurden. Außerdem wusste ich, dass mehr dahintersteckt und dass Jordan Peele in seinen Filmen Themen behandelt, die über das hinausgehen, was auf dem Papier steht.
Das steckt unter der Oberfläche von "Wir"
FILMSTARTS: Welche Themen sind das denn für dich?
Lupita Nyong’o: Im Kern geht es in „Wir“ darum, dass wir selbst unser schlimmster Feind sind. Wir neigen oft dazu, die anderen als Monster zu bezeichnen: die Menschen, die in einem anderen Land leben oder in einer anderen Kultur. Die Menschen, die eine andere Religion haben oder einer anderen politischen Gruppierung angehören. Die Menschen des anderen Geschlechts. Dabei übersehen wir aber manchmal das Monster, das in uns selbst heranwächst.
FILMSTARTS: Kann also unter Umständen jeder zum Monster werden?
Lupita Nyong’o: Auf jeden Fall. Es gibt ein Monster in jedem von uns, da bin ich mir sicher. Eine Art Schatten unserer selbst, den wir lernen zu kontrollieren, weil es bestimmte menschliche Eigenschaften gibt, die von der Gesellschaft mehr wertgeschätzt werden als andere. Also gestalten wir unsere Persönlichkeit so, dass wir in unserem spezifischen Umfeld überleben können. Aber wenn es hart auf hart kommt, sind wir alle dazu fähig, finstere Dinge zu tun. Wenn diese Dunkelheit in uns, dieser Schatten unserer selbst, unterdrückt und ignoriert wird, kann es sein, dass er sich nach außen projiziert und große Zerstörung in der Welt anrichtet.
Die größte Herausforderung
FILMSTARTS: Wie hast du diese dunklen, unterdrückten Gefühle in deine Rolle als böse Doppelgängerin einfließen lassen?
Lupita Nyong’o: Ein Film wie dieser gibt einem die Erlaubnis, solche Gefühle, Gedanken und Handlungen offenzulegen und es ist ein großartiger Weg, um seine eigenen inneren Dämonen auszuleben und einen Nutzen aus der negativen Energie zu ziehen. Das ist die Macht der Kunst. Du kannst dort eine Menge Schmerz hineinstecken und dadurch Schönheit erschaffen. In diesem Fall musste ich mir selbst die Erlaubnis geben, die dunklen Orte in mir aufzusuchen, von denen ich mich normalerweise fernhalte.
FILMSTARTS: Was war deine größte Herausforderung bei „Wir“?
Lupita Nyong’o: Am schwersten war es, zwei Charaktere in einem Film zu spielen, die quasi das direkte Gegenteil voneinander sind. Also musste ich beide zugleich verurteilen, aber auch verteidigen können, was sehr verwirrend war. Ich musste die beiden mit fast schon mathematischer Präzision voneinander abgrenzen, um mich von einem Moment auf den anderen in die jeweilige Rolle versetzen zu können. Das war eine der Herausforderungen. Rein körperlich war es natürlich auch sehr schwer, die Stimme für Red hinzubekommen. Das ist bisher eine meiner größten Leistungen als Schauspielerin, weil ich zuvor nie die Chance hatte, so wild mit meiner Stimme zu spielen. Ich habe mich dabei von einer Krankheit namens Spasmodische Dysphonie inspirieren lassen, die durch ein Trauma entsteht und Krämpfe in den Stimmbändern verursacht.
FILMSTARTS: Wie viel Zeit hattest du denn beim Dreh, um zwischen den beiden Figuren hin und her zu wechseln?
Lupita Nyong’o: Es kam nicht oft vor, dass ich beide an einem Tag spielen musste. Meistens spielte ich die eine Figur an einem Tag und am nächsten drehten wir dieselbe Szene nochmal mit der Doppelgängerin.
So tickt Regisseur Jordan Peele
FILMSTARTS: Wie war die Arbeit mit Jordan Peele – und welche Rolle hat „Get Out“ bei deiner Entscheidung gespielt, für „Wir“ zuzusagen?
Lupita Nyong’o: Es war sehr aufregend, mit Jordan zu arbeiten. Ich würde es wieder und wieder und wieder tun. Ich würde sogar nur kurz reinkommen und eine einzige Zeile für Jordan aufsagen, wenn er mich darum bitten würde. Eben weil er auch „Get Out“ gemacht hat. Dieser Film war erstaunlich, er war unterhaltsam und weltbewegend. Ich habe ihn fünf Mal in einem Monat geschaut und fand es toll, wie er mit diesem Monster namens Rassismus umgeht, das uns jeden Tag ins Gesicht starrt. Er hat das so fantasievoll in einen Horrorfilm eingewebt und er traut seinem Publikum zu, schlau genug zu sein, ihn zu verstehen. Er lässt viel Raum für Interpretationen und liebt es, wenn seine Filme auch noch außerhalb des Kinos in den Köpfen der Zuschauer bleiben und ein kultureller Austausch stattfindet.
FILMSTARTS: Sowohl „Get Out“ als auch „Wir“ haben sowohl gruselige als auch komische Elemente. Wie findet man die Balance zwischen diesen eigentlich so verschiedenen Genres?
Lupita Nyong’o: Es ist ein schmaler Grat zwischen Tragödie und Komödie. Aber Jordan, der ja schon Erfahrungen in beiden Genres gesammelt hat, ist in der Lage, auf diesem Grat zu wandern, ohne das eine Seite die andere gefährdet. Sowohl in Horrorfilmen als auch in Komödien gibt es gewisse emotionale Auslöser – ganz egal, ob man das kreischt oder lacht. Jordan Peele nutzt das, um die Intensität seiner Filme zu steigern. In diesem Film ist Adelaide für die Spannung verantwortlich, während ihr Ehemann Gabe eher die komischen Momente beisteuert. Winston Duke und ich mussten uns gegenseitig unterstützen und verstehen, welche Funktion wir in der Geschichte einnehmen, um der Erzählweise nicht zu schaden.
Angst vor dem eigenen Spiegelbild
FILMSTARTS: Wie gruselig ist es eigentlich, einen Horrorfilm zu drehen? Besonders nach „Wir“ muss es sich doch komisch anfühlen, sich im Spiegel zu sehen...
Lupita Nyong’o: Bei diesem Film war der Dreh selbst tatsächlich überhaupt nicht gruselig, weil es keine Monster gibt bzw. wir selbst die Monster darstellen. Wenn wir Angst spielten, hatten wir nicht wirklich Angst, weil wir nur grüne Punkte und Platzhalter vor uns hatten. Es war sehr interessant zu sehen, wie der Horror erst nachträglich im Schnitt dazu kam. Allerdings entwickelte ich tatsächlich ein bisschen Panik vor meinem eigenen Spiegelbild. Nicht unbedingt, wenn ich bewusst in einen Spiegel geschaut habe. Aber wenn ich an einem vorbeiging, von dem ich nicht wusste, dass er da war, dann machte mir das schon Angst.
„Wir“ läuft seit dem 21. März 2019 in den deutschen Kinos.
Wir