Um sich zu beweisen und weil sie das Geld gut gebrauchen kann, meldet sich die Schülerin Vee (Emma Roberts) bei dem verrückten Underground-Online-Spiel „Nerve“ an, bei dem die Mitspieler gewisse Mutproben für das abstimmende Publikum absolvieren müssen. Ihre erste Aufgabe ist es, einen fremden Jungen im Restaurant zu küssen. Sie wählt Ian (Dave Franco), der gerade zufällig (?) wegen einer anderen „Nerve“-Aufgabe vor Ort ist. Weil die Zuschauer finden, die beiden würden ein gutes Paar abgeben, sollen die Teenager fortan die Herausforderungen gemeinsam bewältigen. Schnell steigen Vee und Ian zu den meistgelikten Spielern auf - aber die Aufgaben werden immer radikaler und gefährlicher…
Was ist das für ein abgefucktes Spiel?!
Die Regeln von „Nerve“ sind ganz einfach: Wenn man die App startet, kann man sich entweder als Player oder als Watcher anmelden. Die Spieler akzeptieren Mutproben und Herausforderungen von den Zuschauern und kassieren dafür Geld. Je mehr Watcher einem speziellen Spieler gerade zusehen, desto riskanter werden die Aufgaben - desto mehr Geld gibt es aber auch zu verdienen.
Die Regeln: Alle Mutproben müssen mit dem Handy aufgezeichnet werden. Das gesamte Geld ist verloren, wenn der Spieler versagt, aussteigt oder der Polizei von dem illegalen Spiel erzählt. Um es also kurz zusammenzufassen: Anonyme Menschen bestimmen mithilfe einer App über das Leben von anderen Menschen, die ihre gesamte Identität offenlegen und im besten Fall Geld dafür kassieren. Das hört sich im ersten nach einem interessanten soziologischen Gedankenexperiment an. Und ja, interessant ist es allemal. Aber nur in Gedanken findet es schon lange nicht mehr statt.
"Nerve" gibt es inzwischen längst auf Instagram
Der Sommer 2017 wurde von der Trend-App „Pokémon Go“ geprägt: Menschen spazierten auf ihr Handy starrend wie Zombies durch die Gegend, wobei die App mit seinen Kampfarenen und Pokémon-Jagdgebieten den Weg der Nutzer ein gutes Stück weit mitbestimmte – Unternehmen wie Cafés sollten sich sogar eine Arena kaufen können, um auf diese Weise mehr Kunden für sich zu gewinnen. Denn wenn man die ganze Zeit an dem Ort abhängen muss, um seine Kämpfe bestreiten zu können, dann kauft man sich eben noch einen Kaffee.
Aber gut, das ist eben nur eine sehr indirekte Art der Nutzersteuerung. Viel weiter gehen hingegen einige heutige Influencer auf Instagram, die es nämlich ihren Followern überlassen, über ihren genauen Tagesablauf zu bestimmen: In Insta-Storys werden dann Fragen darüber gestellt, was oder wie man etwas als nächstes tun soll - und die Follower dürfen zwischen verschiedenen Antwortmöglichkeiten entscheiden und damit den Tagesverlauf bestimmen. Fast genau wie in „Nerve“ also, selbst wenn es dabei in der Regel nicht solche extremen Mutproben wie im Film zu absolvieren gilt.
Aber das soll natürlich nicht heißen, dass es nicht doch ein paar Influencer/Spinner gibt, die für ein paar Follower mehr den größten (und notfalls auch gefährlichsten) Scheiß machen – nur findet man diese in der Regel eben nicht auf Instagram, sondern auf YouTube. Dort gibt es unzählige Mutproben-Videos, die von kleinen Streichen über sexuelle Belästigungen und andere Straftaten bis hin zu potentiell lebensgefährlichen Challenges reichen. Wir erinnern uns nur an die Tide-Pod-Challenge, bei der YouTuber sich dabei gefilmt haben, wie sie Waschmittel-Tabs in den Mund nehmen – ein kurzer, aber heftiger Hype, der sogar tatsächlich Todesopfer gefordert hat.
Um es kurz zu machen: Das Internet und die schnelle Chance auf Ruhm scheint auch noch den letzten Funken gesunden Menschenverstand aus manchen Leuten herauszuprügeln. Und immer, wenn ein Film wie „Nerve“ aktuelle Online-Trends zu überhöhen und ins Absurde zu übertreiben versucht, dann kann man sich fast schon sicher sein, dass der Wahnsinn der Leinwand oft nur wenige Wochen oder Monate später schon wieder vom Wahnsinn des Netzes überholt wird.
Sehenswert ist der Film übrigens trotzdem, selbst wenn er im Vergleich zu den wahren Abgründen der Welt der Online-Videos inzwischen fast schon ein wenig harmlos wirkt:
Nerve