Ab und an könnte man den Eindruck bekommen, dass die Welt nur noch „Disney“ oder „Minions“ denkt, sobald das Wort „Animationsfilm“ fällt. Dabei gibt es doch neben gelben Dingsbumsen und Mäusen in kurzen Hosen noch andere unsterbliche Figuren in diesem Bereich. „Wallace & Gromit“ und „Shaun das Schaf“ dürften dabei zu den international bekanntesten Knet-Animationsfiguren überhaupt gehören und erdacht wurden sie von dem Engländer Nick Park. Vier Oscars hat er mit seinen Stop-Motion-Filmen für das berühmte Aardman Animation Studio schon eingeheimst und nun kommt mit „Early Man - Steinzeit bereit“ seine jüngste Regiearbeit hierzulande in die Kinos. Wir haben uns mit ihm zusammengesetzt und ein wenig über die Steinzeit, die Zukunft des Stop-Motion-Films und Fußball gesprochen.
FILMSTARTS: Nick, stell dir doch mal vor, du würdest in der Steinzeit leben. Was wärst du dann: Jäger oder Sammler?
Nick Park: Oh Gott – vielleicht beides? Allerdings mag ich es, Angeln zu gehen, also wäre ich vermutlich irgendwo unterwegs und würde fischen. Das dürfte mich zum Jäger machen.
FILMSTARTS: Wie seid ihr überhaupt darauf gekommen, die Geschichte in der Steinzeit spielen zu lassen? Und wie kam der Fußball dazu?
Erster prähistorischer Underdog-Sportfilm
Nick Park: Wir sind immer auf der Suche nach Projekten, von denen wir glauben, dass sie gut zur Stop-Motion-Animation passen würden. Und ich persönlich war der Auffassung, dass sich Höhlenmenschen wunderbar dafür eignen würden, sie als Knetfiguren darzustellen. Ich mag das geerdete und doch derbe Gefühl, das sie vermitteln und ich liebe die Texturen, das Fell. Außerdem sind sie alle ein wenig dumm, was gut für die komödiantischen Elemente war. Für das Fußballelement haben wir uns entschieden, weil wir dachten, es würde alles noch schrulliger machen. Ich habe jedenfalls noch nie einen prähistorischen Underdog-Sportfilm gesehen.
Early Man - Steinzeit bereitFILMSTARTS: Du hast ja in „Early Man“ dem Wildschein Hognob deine Stimme geliehen. Wie bist du nur auf die Idee gekommen, den Part zu übernehmen?
Nick Park: Das war gar nicht so geplant gewesen und ist eher aus Zufall so gekommen, denn eigentlich wollte ich jemanden dafür engagieren. Als wir mit der Produktion begannen, haben wir jede Szene als Storyboard gezeichnet und sie dann mit Musik und ersten Stimmdarbietungen zusammengeschnitten. Dafür haben wir nur die Dialogzeilen abgelesen und später sollten unsere Stimmen von den Darstellern ersetzt werden. Ich habe also Hognob in dieser frühen Phase gesprochen und das fanden die Leute um mich herum aber so gut, dass ich den Part jetzt auch im finalen Film innehabe.
FILMSTARTS: Einer der Fußballer, gegen die Steinzeitmensch Dug und seine Freunde antreten müssen, ist ein großer, blonder Typ namens Jürgend. Ist sein Erscheinungsbild von Jürgen Klinsmann inspiriert? Oder vielleicht von wem anders?
Nick Park: Keiner der Fußballer sollte echten Athleten ähnlich sehen und wir haben auch aus rechtlichen Gründen darauf geachtet. Außerdem hätten solche Anspielungen schnell wieder veraltet sein können. Mir ist allerdings schon bewusst, dass es einen Jürgen Klinsmann gibt, aber unser Jürgend sieht schon anders aus. Er ist aber trotzdem Deutscher und in Wahrheit wurde er nur wie alle anderen Figuren im Film erfunden, wobei wir zumindest ab und an verschiedene Teilaspekte von berühmten Profikickern genommen haben, um aus ihnen etwas Eigenes zu machen.
Die Besonderheit von Knetfiguren
FILMSTARTS:Im Film gibt es die Figur Goona, die den Steinzeitmenschen das Fußballspielen beibringt und sie ist eine Frau, die versucht, sich in einem von Männern dominierten Umfeld zu behaupten. War das eine bewusste Entscheidung, sie so zu zeigen?
Nick Park: Unsere Entscheidung hatte jedenfalls nichts mit dem aktuellen gesellschaftlichen Klima mit zum Beispiel #MeToo zu tun, aber es ist gut, dass der Film in dem Aspekt vom Timing her da reinpasst. Wir fanden es jedoch schlichtweg für die Story interessant, eine weibliche Hauptfigur zu haben. Wir hatten die Idee, dass die Höhlenmenschen einen Trainer gebrauchen könnten, der ihnen mit dem Fußball hilft und Energie und Wissen zum Sport vermittelt. Und wir fanden es einfach spannender, wenn es sich dabei um eine Frau als um einen Mann handeln würde, denn das wäre einfach viel gewöhnlicher.
FILMSTARTS:Was macht eigentlich Stop-Motion-Animation für dich so besonders? Gibt es etwas, das nur durch die darin zum Einsatz kommenden Knetfiguren vermittelt werden kann?
Nick Park: Naja, wenn man wollte, könnte man eigentlich heutzutage alles mit Hilfe des Computers machen. Ich denke, ich liebe es einfach, mit Knete zu arbeiten und es geht nicht darum, verschiedene Filmtechniken miteinander abzuwägen. Ich glaube jedenfalls, dass Stop-Motion-Animatoren einfach das Gefühl von echten Materialien zu schätzen wissen, die ein authentisches Gefühl vermitteln. Wenn ich zum Beispiel an Gromit aus „Wallace & Gromit“ zurückdenke – er ist quasi aus der Knete geboren worden und ich habe die Puppe selber bewegt. Es ist, als würde man seine eigene Seele direkt mit seinen Händen in sie fließen lassen. Natürlich braucht man auch gewisse Fähigkeiten und viel Übung dafür. Aber etwas passiert dabei – und so habe ich zum Beispiel Gromits Seele gefunden, indem ich zum Beispiel einfach seine Augenbraue etwas bewegt habe.
Ich glaube, ich hätte sie niemals gefunden, wenn ich an einem Computer gesessen hätte, der zu allem imstande ist. Außerdem erinnert mich Stop-Motion-Animation an die Filme von damals, dem alten „King Kong“ aus den 30ern und die Filme, an denen Ray Harryhausen gearbeitet hat. Ich habe „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“ gesehen, als ich elf Jahre alt war und ich war ein riesengroßer Dinosaurier-Fanatiker zu der Zeit. Durch den Film wuchs in mir der Wunsch, eigene Stop-Motion-Filme zu machen.
Viele Angebote, einen Realfilm zu drehen
FILMSTARTS: Lee Unkrich, der Regisseur von „Toy Story 3“ und „Coco“, hat erst kürzlich gesagt, dass er sich mehr Realfilm-Regisseure wünscht, die den Sprung in den Animationsfilm wagen, ähnlich wie es Wes Anderson mit „Der fantastische Mr. Fox“ oder jetzt „Isle Of Dogs“ getan hat. Unkrich ist der Meinung, dass beide Felder nicht so stark voneinander abgegrenzt sein sollten, da sie ohnehin sehr ähnlich sind. Wie siehst du das?
Nick Park: Ich sehe seinen Punkt. Man kann wirklich den Eindruck bekommen, dass Animation ein vergleichsweise sehr spezialisierter Bereich ist, in dem nur bestimmte Leute tätig sind. Ich selber habe nie das Gefühl gehabt, dass es mehr Regisseure, die vornehmlich Realfilme machen, im Animationsfilmsektor geben sollte. Aber warum nicht? Ich mache jedenfalls für mich selbst keinen Unterschied und denke, dass es am Ende auf die Idee ankommt und ob sie eher für Live-Action, Computer-, Stop-Motion-Animation oder sogar Mischformen geeignet ist.
FILMSTARTS: Hast du selber jemals darüber nachgedacht, einen Realfilm zu drehen?
Nick Park: Ja, das habe ich schon oft und ich wurde in der Vergangenheit auch gefragt, ob ich einen solchen Film machen möchte. Aber ich denke einfach, dass es so viele Leute gibt, die es schon sehr gut machen und in der Stop-Motion-Animation haben Leute wie ich und andere unser eigenes Feld, wo wir eine eigene Stimme haben und wo wir für unsere Techniken anerkannt sind. Ich wurde allerdings in Live-Action geschult und vielleicht habe ich so zumindest eine Live-Action-Perspektive, die ich in den Animationsfilm mit einbringe – wir behandeln unsere Filme ja auch wie solche. Zum Beispiel, was das Licht angeht, die Kameraarbeit und auch die Geschichte.
Bezüglich Letzterem sind wir ja von dem weggegangen, was die Leute sonst immer mit Animationsfilmen verbunden haben und Pixar hat das ebenfalls so gemacht: Auf einmal gab es keine Märchen oder Gesangsnummern mehr und wir haben stets auf ein erwachsenes Publikum hingearbeitet. Ich denke, ich wurde auch insgesamt mehr vom Realfilm beeinflusst. Bei „Wallace & Gromit“ kommen dann diese Welten aber mitunter zusammen und es finden sich Einflüsse von Bugs Bunny und Alfred Hitchcock wieder.
FILMSTARTS:Du hast ja aber gerade erwähnt, dass ihr im Stop-Motion-Animationsbereich eure eigene Spielwiese habt, auf der ihr euch etabliert habt. Aber was passiert denn nun, wenn ein „Außenseiter“ wie Wes Anderson mit einem eigenen Stop-Motion-Film um die Ecke kommt? Ist man da erstmal skeptisch?
Nick Park: Ich denke, es ist gut, wenn so viele Künstler in der Branche dabei sind. Je mehr, desto besser!
Stop-Motion-Film stirbt nicht aus
FILMSTARTS: Wie sieht die Zukunft von Stop-Motion-Filmen aus? Ich denke nämlich, das breite Publikum nimmt viel stärker die computeranimierten Filme wahr und man könnte zumindest den Eindruck bekommen, dass es nur sehr wenige Studios wie Aardman oder Laika gibt, die Stop-Motion-Animation machen. Ist das Genre vorm Aussterben bedroht?
Nick Park: Als vor 20, 30 Jahren die computeranimierten Filme wie „Toy Story“ aufkamen und größer wurden, haben wir uns permanent gefragt, wie viel Zeit uns noch bleiben würde. Wir sind aber schon sehr davon überrascht, dass es neben uns immer noch andere Studios gibt, die Stop-Motion machen und es werden heute mehr solcher Filme als damals produziert. Stop-Motion scheint gerade wieder zu gedeihen, aber ich weiß nicht, wie lange das noch anhalten wird. Am Ende kommt es darauf an, ob die Leute ins Kino gehen, um solche Filme zu sehen und deshalb müssen wir gute Geschichten erzählen, unterhaltsam sein und originell bleiben. Ich bin aber wirklich überrascht, dass wir immer noch in der Stärke wie jetzt mitmischen können. Und ich denke es liegt auch daran, dass es so viel mehr computeranimierte Filme und Filme im Allgemeinen gibt – wir stechen aus der Menge heraus, weil unsere Filme so anders aussehen. Deshalb ist es dann auch so gut, jemanden wie Wes Anderson dabei zu haben oder Laika.
FILMSTARTS: Kannst du uns was Neues zu „Shaun das Schaf – Der Film 2“ mitteilen?
Nick Park: Das Team steckt mitten in den Dreharbeiten und alle geben mächtig Vollgas, aber mehr weiß ich ehrlich gesagt auch nicht, weil ich noch nicht so sehr in dem Prozess involviert bin.
FILMSTARTS: Wer wird die kommende Fußball-Weltmeisterschaft gewinnen?
Nick Park: Die Höhlenmenschen! Nein, das ist eine gute Frage. Ich denke, England würde es mal wieder guttun, sie haben auch schon seit mehr als 50 Jahren nicht mehr gewonnen.
„Early Man - Steinzeit bereit“ startet am 26. April 2018 hierzulande in den Kinos.