Es ist einer der kühnsten und spektakulärsten Schauspielstunts der vergangenen Jahre: Gary Oldman („The Dark Knight“, „Dame, König, As, Spion“) spielt die britische Politiker-Ikone Winston Churchill! Rein äußerlich haben die beiden Personen absolut gar nichts gemeinsam und doch schaffte es Regisseur Joe Wright („Stolz & Vorurteil“, „Abbitte“), Oldman den Boden für eine furiose Galavorstellung zu bereiten, die bereits mit einem Golden Globe für Oldman belohnt wurde und bei der auch der Oscar nur noch eine reine Formsache sein dürfte (das Interview haben wir einen Tag nach Bekanntgabe der Golden-Globe-Nominierung geführt).
„Die dunkelste Stunde“ schildert die entscheidenden Kriegsmonate ab Mai 1940, wo der politisch in der Vergangenheit gescheiterte Winston Churchill (Gary Oldman) aus der Not heraus und in aussichtsloser Lage zum britischen Premierminister berufen wird und verzweifelt nach der Möglichkeit eines Befreiungsschlags sucht. Langsam rauft sich der als cholerisch und ausschweifend lebend berüchtigte Churchill mit König George VI. (Ben Mendelsohn) zusammen und rüttelt das britische Volk vor allem mit seinen rhetorisch brillanten Reden auf.
FILMSTARTS: Ich habe gehört, dass du während der Dreharbeiten zu „Die dunkelste Stunde“ insgesamt 200 Stunden in der Maske verbracht hast. Eine unglaubliche Zahl.
Gary Oldman: Ja, das stimmt. 200 Stunden kommt hin.
FILMSTARTS: Was hast du in dieser ganzen Zeit getan? Gelesen, dich irgendwie beschäftigt?
Gary Oldman: Nein, das kann man nicht. Man muss einfach absolut still dasitzen und den Anweisungen der Make-Up-Artists folgen. Sie bewegen deinen Kopf mal ein Stückchen hier hin oder dort hin. Man muss ruhig bleiben. Du kannst dich nicht bewegen oder auch nur reden.
FILMSTARTS: Dein Make-Up ist verdammt gut. Man sieht keine Übergänge der prothetischen Maske auf deinem Gesicht…
Gary Oldman: Ja, genau, die Übergange verschwinden.
Oldman und Wright fasziniert von Winston Churchill
FILMSTARTS: Wie fühlst du dich, wenn du eine überlebensgroße Person wie Winston Churchill spielst?
Gary Oldman: Wie ich mich fühle? Oh, ich fühle mich hervorragend.
FILMSTARTS: Warum?
Gary Oldman: Ich habe ihn geliebt und mich in seiner Gesellschaft sehr wohl gefühlt. Man stellt ihn sich so als mürrischen Typen vor, der in der Downing Street in seinen Pantoffeln herumschlurft, überall mit seiner Zigarrenasche herumsaut und dabei alle anbrüllt. Den Churchill, den ich mir auf Originalaufnahmen angesehen habe und der mir ins Auge gesprungen ist, war hingegen ein Mann von großer Energie, mit einem ständigen Funkeln in den Augen, und einem Grinsen. Er sah für mich wie ein frecher Schuljunge aus. Aber das stand so auch im Drehbuch. Du kannst die Figur bis zu einem gewissen Punkt mitentwickeln, aber du musst dich letztendlich in den Dienst des Drehbuchs stellen. Wir wollten unbedingt diesen humorvollen Unterton reinbringen, der bereits am Anfang zu spüren ist.
Joe Wright: Ja, genau. Und dann wird die zweite Hälfte zu einer Art politischem Thriller. Aber Churchill hat diese enorme, manische Energie. Er denkt mit 500 Meilen pro Stunde. Da ist es für alle anderen um ihn herum schwer, da noch mitzukommen. Er hatte 100 Ideen am Tag, 99 davon waren furchtbar, aber manchmal hatte er einfach geniale Einfälle. Dieses Chaos führte ihn auch in den Zusammenbruch, den er hatte, die Depressionen.
Die Last der überlebensgroßen Vorlage
FILMSTARTS: Gary, wie war dein Ansatz: Churchill imitieren oder etwas Eigenes kreieren?
Gary Oldman: Es muss ultimativ eine Kreation sein, keine Imitation! Wir haben aber nicht improvisiert, ich musste innerhalb der Parameter der Geschichte agieren, die wir erzählen. Ich konnte da nicht einfach mit meiner Figur den wilden Mann spielen.
FILMSTARTS: War es schwer, eine Ikone wie Winston Churchill als tatsächlichen Menschen zu zeigen?
Joe Wright: Du musst die Ikone wirklich vergessen. Eine ähnliche Frage stellte sich mir schon bei „Stolz und Vorurteil“: Wie gehe ich mit der Verantwortung um, so ein großartiges Stück Literatur [von Jane Austen] zu behandeln? Du musst das einfach vergessen und dich voll und ganz auf die Details, die Besonderheiten der Figuren und die Geschichte konzentrieren. Dieser Fokus auf Einzelheiten wird dich von der Last der übergroßen Vorlage befreien. Wenn man dreht, arbeitet man sich Stück für Stück voran. Wenn du aber auf die Aufgabe als Ganzes schaust, wirst du überwältigt. Aber wenn du nur an diese Szene, diese Dialogzeile denkst: „Wie mache ich dies oder das. Wie drücke ich es auf der Leinwand aus?“ Dann spürt man, wie man etwas nach und nach erschafft.
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