„Der Glöckner von Notre-Dame“ (1996)
Vorlage: „Notre-Dame von Paris“ von Victor Hugo (Roman, 1831)
Was war mal die Aussage: Durch das Verflechten mehrerer Einzelschicksale von Figuren aus Adel, Klerus und Unterschicht erschafft Victor Hugo einen literarischen Querschnitt der Stadt Paris. Einer seiner Handlungsstränge befasst sich mit dem buckligen Glöckner Quasimodo und seiner Liebe zu der Zigeunerin La Esmeralda. Die junge Schönheit ist die Einzige, die Quasimodo nicht behandelt, als wäre er ein garstiges Monster – obwohl sie sich trotzdem vor seinem Aussehen ekelt. Romantisches Interesse hegt sie stattdessen für den stattlichen, aber charakterlosen Hauptmann Phoebus. Zu den Verehrern der Tänzerin gesellt sich zudem Quasimodos Ziehvater, der Kirchendiakon Claude Frollo. Da dieser aber keine realistische Chance bei ihr hat, entschließt er sich, die 16-Jährige an den Galgen zu bringen und seinen sexuellen Frust so aus der Welt zu schaffen. Als die Zigeunerin der Hexerei bezichtigt wird, liefert Frollo sie der Staatsgewalt aus. Phoebus macht sich nicht den Stress, dem Geistlichen in dieser Angelegenheit zu widersprechen und so wird die Hinrichtung durchgeführt. Quasimodo tötet daraufhin Frollo und wacht bis zu seinem eigenen Tod an La Esmeraldas Grab.
Das Buch befasst sich mit der Korruption hinter der Fassade der Tugendhaftigkeit. Sowohl Frollo als auch Phoebus haben zwar ein strahlendes Image, sind jedoch extrem fehlerbehaftete Figuren. La Esmeralda selbst lässt sich blenden von der Schönheit des Hauptmannes und ignoriert die aufrichtige Liebe Quasimodos. Die gesellschaftskritische Geschichte endet für alle Beteiligten tragisch.
Was wurde dann draus gemacht: In der Disney-Version siegt am Ende selbstverständlich das Gute. Quasimodo und Esmeralda überleben ihre Auseinandersetzung mit Frollo und gehen am Ende in gegenseitigem Respekt getrennte Wege. Lebemann Phoebus, der in der Vorlage keine Party auslässt und ständig versucht, seine Verlobte zu betrügen, ist hier ein ehrenhafter Geselle, der sich im Laufe des Abenteuers Esmeraldas Zuneigung verdient. Ihre Liebe für den Soldaten verliert dadurch natürlich jegliche Tragik. Der Zeichentrickfilm ist ein sozialromantisierendes Märchen.
Was finden wir besser: Das deprimierende Ende des Originals eignet sich natürlich nicht für einen Kinderfilm, weshalb die narrativen Änderungen hier schon Sinn ergeben. Legt man Wert auf ein akkurates Porträt der Standesverhältnissen im Spätmittelalter, sollte man von Disneyfilmen wohl sowieso besser generell die Finger lassen.