Jon Spaihts ist aktuell der Go-to-Guy, wenn es um phantastische (Zukunfts-)Stoffe geht. Der New Yorker verdankt seinen Durchbruch dem Drehbuch zu „Passengers“, obwohl die Verfilmung noch gar nicht in den Kinos erschienen ist (die Erklärung gibt es im Interview). Nach „The Darkest Hour“ katapultierte ihn sein Script zu Ridley Scotts „Alien“-Prequel „Prometheus“ in die Hollywood-A-Liga. Zurzeit läuft der von Spaihts mitverfasste „Doctor Strange“ erfolgreich in den Kinos.
FILMSTARTS: Wann hast du „Passengers“ eigentlich geschrieben? Das Skript erschien ja schon 2007 auf der Black List der besten unverfilmten Drehbücher…
Jon Spaihts: Kurz davor, das Skript war brandneu, als es auf der Black List erschien. Anschließend zirkulierte es durch Hollywood.
FILMSTARTS: In die Verfilmung waren viele Parteien involviert: Keanu Reeves, die Weinstein-Brüder, dann wollte es Universal machen – das war doch sicher wie eine Achterbahnfahrt all die Jahre hindurch… wobei das ja in Hollywood letztendlich auch nichts Ungewöhnliches ist.
Jon Spaihts: Ja, das stimmt. Aber es ist halt gleich auf mehreren Ebenen ein sehr herausfordernder Film. Er spielt komplett auf einem luxuriösen Raumschiff – es gibt nicht viele nicht-teure Wege, das zu realisieren. Es ist aber auch ein Film, der zwischen den Genres wechselt – es gibt eine große, dramatische Liebesgeschichte, dann ist er sehr lustig, es ist ein Überlebensabenteuer, es hat eine epische Größe… und zugleich einen sehr kleinen Cast. Sowas hat es in der Form noch nicht gegeben. Und genau dieses Risiko hat viele Major-Studios verschreckt.
FILMSTARTS: Woher hast du die Inspiration für dein Drehbuch bezogen?
Jon Spaihts: Ich war interessiert an Geschichten über Isolation. Als ich das erste Mal über eine Story nachdachte, ging es um eine Person, die ganz allein im Weltall strandet – als Motiv: Das hat mein Herz als Schreiber sofort erwärmt. Ich wollte es angehen. Wenn Science-Fiction funktioniert, kann sie uns Bilder visualisieren, die wir uns schon immer im Kopf vorgestellt haben. Wir haben apokalyptische Gefühle, manchmal denkt man, der Himmel fällt herab, die Welt steht in Flammen, wir verwandeln uns in Eis, werden in zwei Teile geteilt oder unser Herz ist gebrochen, wir verlieren einen Job, wir sind gezwungen umzuziehen, werden krank – wir haben all diese Erfahrungen und Vorstellungen. Science-Fiction kann diese Gefühle ausdrücken – filmisch und visuell.
Ich glaube, die Idee von „Passengers“ funktionierte genau deshalb. Niemand von uns war jemals in einer isolierten Umgebung auf einem Raumschiff, aber jeder, der mal verliebt war, kann sich vorstellen, dass zwei Verliebte auf eine Reise gehen können, die niemals endet. Wir können alle beurteilen, wie viel man innerhalb einer Liebesbeziehung vergeben kann, wie viel man dem anderen zeigen und was man verheimlichen sollte. Und obwohl das Weltraumsetting der Geschichte abstrakt bleibt, ist der emotionale Kern komplett nachfühlbar.
FILMSTARTS: Im Moment gibt es eine kleine Renaissance von Raumfahrt-Filmen wie „Gravity“, „Der Marsianer“ oder „Interstellar“. Woher kommt dieses wiederentdeckte Interesse deiner Meinung nach?
Jon Spaihts: Das ist eine gute Frage. Ein Aspekt ist die Technologie, denn die Raumfahrt beginnt gerade auch in der realen Welt sehr interessant für eine breitere Masse zu werden. Wir reden nicht mehr nur über längere Aufenthalte im Erdorbit, sondern über Reisen zu anderen Planeten. Dazu gibt es Astronauten in der Internationalen Raumstation, durch die modernen sozialen Medien sind wir direkter mit ihnen verbunden als jemals zuvor. Das ist mehr Kommunikationstechnik als Raketentechnik, aber ich denke, dass das mit dem vermehrten Interesse an diesen Filmen zusammenhängt. Die Menschen haben einen Anspruch entwickelt, ihre Augen wieder zu den Sternen zu richten, mit Blick auf die physischen Technologien.
FILMSTARTS: Meinst du, der Vergleich von „Passengers“ als „Titanic“ trifft „Gravity“ ist gerechtfertigt?
Jon Spaihts: Das sind zwei wundervolle Filme. Damit bin ich nicht unglücklich, sie waren beide sehr erfolgreich. Ich denke, es gibt eine geteilte dramatische DNA mit diesen beiden Projekten. Es ist genau dasselbe, aber den Vergleich kann ich zumindest nachvollziehen.
FILMSTARTS: In all den Jahren, seitdem du „Passengers“ geschrieben hast, hat sich da noch etwas Grundlegendes am Skript verändert?
Jon Spaihts: Das Rückgrat der Geschichte hat sich nie viel verändert. Auch im allerersten Entwurf waren schon sehr viele dramatische Dialoge. Im Herz hat sich die Story ein wenig verändert. Im Kleinen betrachtet hat sich aber sehr viel gewandelt. Einige Unterhaltungen, manche kleinen Szenen sind gekommen und gegangen. Durch die involvierten Kreativteams gab es auch immer Änderungen, wie man die Geschichte am besten realisieren kann. Die größte Abweichung liegt aber eindeutig im dritten Akt – in der Auflösung. Die Leute, die das Drehbuch, das auf der Black List erschienen ist, gelesen haben, werden am meisten überrascht sein über das Ende der Geschichte, weil es dort neue Aspekte von Erlösung und Lebensrettung gibt, mit denen sie nicht vertraut sind. Wir haben die Story immer wieder verbessert und auf ein neues Niveau gehoben.
FILMSTARTS: Und diese Änderungen, kommen die aus der Ecke des Studios oder direkt von dir?
Jon Spaihts: Nein, das geht alles auf das kleine Entwicklungsteam zurück, das dieses Projekt über die Jahre betreut hat. Für viele Jahre habe ich mit den Produzenten Keanu Reeves und Stephen Hamel gearbeitet, die waren ein wirklich enges kreatives Team, sie hatten eine Menge Kontrolle, während sie den Film mit uns realisieren wollten. Aber zum Glück blieb ich immer der Typ, der die Geschichte dramatisch formen durfte. Da ist nichts, was mir von außen reingedrückt wurde – was ein tolles Gefühl für einen Drehbuchautor bei einem großen Film wie diesem ist.
FILMSTARTS: Mit Keanu Reeves war ein Hollywood-Superstar interessiert, was hat er seinerzeit eingebracht in die Geschichte?
Jon Spaihts: Keanu hat ein großartiges Verständnis für Geschichten. Wenn ich es so salopp sagen darf: Er ist ein guter Bullshit-Detektor! Es ging ihm immer um Ehrlichkeit und eine sparsame filmische Ausdrucksform. Zusammen mit seinem Partner Stephen Hamel haben sie mich immer daran erinnert, die Geschichte bodenständig zu halten und nicht auf billige Lacher oder Sentimentalitäten zu setzen.
FILMSTARTS: Wenn dann plötzlich ein Mann wie Chris Pratt erscheint, der als strahlender, humorvoller Jedermann ganz andere Qualitäten mitbringt als Keanu Reeves, hast du das berücksichtigt und angepasst?
Jon Spaihts: Wenn man eine improvisierte Komödie macht und dann einen neuen Hauptdarsteller einbringt, ändert das die Geschichte fundamental. Aber „Passengers“ hat sehr starke dramatische Dialogzeilen, deshalb mussten wir diese auch nicht sonderlich an den neuen Hauptdarsteller anpassen. Chris Pratt und Jennifer Lawrence gehören zu den aktuell besten Schauspielern und offensichtlich auch zu den populärsten, deshalb sind wir unglaublich glücklich, sie an Bord zu haben. Und sie sind Schauspieler genug, um uns nichts aufzudrängen oder die Geschichte nach ihren Vorlieben zu verändern. Trotzdem bringen sie natürlich ihre eigene kreative Energie ein und geben den Szenen neues Leben, sie verändern den Film auf ihre Weise durch ihre Darstellung und Interpretation der Dialoge. Sie drücken dem Film ihren Stempel auf und harmonieren sehr gut zusammen.
FILMSTARTS: Wie ist der Zusammenhang zwischen deinen Drehbüchern zu „Prometheus“ und „Passengers“?
Jon Spaihts: Mein 2007er Drehbuch zu „Passengers“ war der Hauptgrund, warum ich danach überhaupt mit „Prometheus“ in Verbindung gebracht wurde. Ridley Scott war ein sehr aktiver Kreativpartner bei der Entwicklung der Geschichte von „Prometheus“, wir haben Monate zusammen in einem Raum verbracht. Was aber noch wichtiger war, war meine Antwort auf seine Frage, was würdest du tun, wenn du ein Prequel zu „Alien“ schreiben müsstest. Ich war damals nicht darauf vorbereitet, weil ich nur an einem allgemeinen Meeting teilgenommen habe, aber ich hatte eine Meinung zu dem Thema, sodass ich darüber spontan eine Dreiviertelstunde referieren konnte. Das war einer dieser magischen Momente, wo man einfach die richtige Frage gestellt bekommt. Das Rückgrat der Geschichte von „Prometheus“ wurde in diesem Gespräch erschaffen und es hat sich anschließend nie viel geändert.
FILMSTARTS: Gibt es Referenzen und Vorbilder, die du beim Schreiben von „Passengers“ verfolgt hast. Wir haben vorhin schon mit anderen Teammitgliedern über „Shining“ gesprochen…
Jon Spaihts: Meine Inspirationen für „Passengers“ sind mehr literarisch als filmisch. Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ überschattet alle Science-Fiction-Filme. Wenn man Wissenschaftler, die Filme lieben, nach einem Werk fragt, hinter dem sie uneingeschränkt steht können, sagen sie alle wie aus der Pistole geschossen: „2001“. Das ist DER Film, wo Kunst und Wissenschaft sich vereinen und sich verlieben. Also denke ich, dass alle Filme dieser Art, die danach entstanden sind - dazu rechne ich „Interstellar“, „Gravity“ und andere -, das genetisches Material aus „2001“ in sich tragen. Das kann ich bei unserem Film auch nicht abstreiten.
FILMSTARTS: In vielen Zukunftsfilmen geht es um das Ende der Welt, um Apokalypsen. „Passengers“ scheint da optimistischer zu sein…
Jon Spaihts: Ich bin Dystopien überdrüssig, selbst wenn ich viele dystopische Filme sehr genossen habe! Daran hat auch mein Freund Ridley Scott seinen Teil zu getan: In „Blade Runner“ und „Alien“ schuf er dystopische Welten, die so visuell atemberaubend, stilistisch streng und fesselnd sind, dass anschließend Generationen von Filmemachern in seinen Fußstapfen zu treten versuchten. Und so sehr ich diese Filme liebe, möchte ich nicht daran glauben, dass dieser Pessimismus der einzige Weg für die Zukunft ist. Ich persönlich denke, dass die tatsächliche Zukunft mehr oder weniger so aussieht, wie wir uns jetzt verhalten und wir einfach in diesem Stil weitermachen werden. Neue Technologien werden kommen, andere vergessen werden, der Fußabdruck der menschlichen Rasse wird sich in mancher Hinsicht verändern, aber wir werden uns selbst in der Zukunft immer noch wiedererkennen.
FILMSTARTS: Und muss man in Zukunft die Erde verlassen, um sich zu verlieben?
Jon Spaihts: Die beiden Figuren verlassen die Erde in „Passengers“ nicht, um die große Liebe zu finden, sie verlassen sie, um sich selbst zu verwirklichen. Sie denken, sie wären für etwas anderes bestimmt. Sie denken, dass es da draußen eine Welt gibt, in die sie besser passen als in die bisherige. Dieses Gefühl haben doch sehr viele Menschen.
FILMSTARTS: Aber verlieben sie sich nicht nur, gerade weil sie ganz allein sind auf diesem riesigen Raumschiff?
Jon Spaihts: Das ist die zentrale Frage des Films! Diese beiden Menschen sind zusammen gestrandet. Manche könnten sagen, das macht ihre Liebe verdächtig oder einfach nur bequem. Aber wir treffen nur einen winzigen Bruchteil der Menschen, die auf der Welt existieren und wenn wir Glück haben, begegnen wir der Person, von der wir denken, dass wir mit ihr zusammen sein sollten.
FILMSTARTS: Wie unterscheidet sich die Arbeit an einem Originalstoff von einer Adaption?
Jon Spaihts: Da gibt es ein ganzes Spektrum. Manchmal wurde ich als Drehbuchautor in ein Projekt gebracht, um eine Geschichte aufzupolieren. Bei so einem Job bin ich nur ein Handwerker. Manchmal werde ich beschäftigt, um ein starkes Konzept, das in die falsche Richtung läuft, wieder auf Kurs zu bringen. Oder ich darf fast mit einer Originalgeschichte starten, weil nur wenige Figuren und Vorgaben vorliegen, aber ich habe darüber hinaus viel kreativen Freiraum. Aber am Ende gibt es nichts, was auch nur annährend damit zu vergleichen ist, eine Geschichte von einem weißen Blatt Papier aus zu entwerfen. Das ist für mich persönlich die höchste und schönste Form der Drehbuchkunst. Es gibt nichts, das spannender für einen Drehbuchautoren ist als ein erster Entwurf. Das ist der roheste Akt der Erfindung, wo du mit den leeren Seiten ringst, mit der Stille in deinem Kopf und du aus deiner Fantasie eine Geschichte herausschälst.
FILMSTARTS: Du bist jeden Tag am Set - passt du dein Skript permanent an den Dreh an oder wie läuft das genau ab?
Jon Spaihts: Bei dieser Produktion spüre ich viel Vertrauen - das Drehbuch, mit dem wir in den Tag gehen, ist fast identisch mit dem, was tatsächlich gedreht wird. Es gibt nur manchmal winzige Anpassungen.
FILMSTARTS: Erlaubst du das?
Jon Spaihts: Es ist nicht mein Problem, das zu erlauben oder nicht. Das ist die Aufgabe des Regisseurs, aber Morten Tyldum ist ein sensibler und mächtiger Beschützer der Geschichte. Er ist sehr gnädig, mich so eng mit ihm zusammenarbeiten zu lassen. Und wenn wir eine Variation einbringen, diskutieren wir sie und stellen sicher, dass es dem Kern der Geschichte dient.
FILMSTARTS: Was war die größte Herausforderung beim Schreiben von „Passengers“?
Jon Spaihts: Wenn etwas konkret und zeitlich begrenzt ist, fällt mir das Schreiben leicht. Wenn es darum geht, wie plötzlich ein Leopard in diesen Raum stürmt und hier sein Unwesen treibt, folgt daraus für mich eine unvermeidliche Abfolge von Ereignissen, die Realität würde mich packen und führen. Aber wenn ich darüber schreiben müsste, wie wir für die nächsten sechs Monate zusammen in diesem Studiokomplex eingeschlossen und gezwungen wären, miteinander auszukommen, müsste ich die Geschichte so auf wichtige Ereignisse verdichten und reduzieren, dass sie dennoch die lange Zeitspanne repräsentieren. Dazu gibt es eine buchstäblich unendliche Auswahl von Möglichkeiten - und für mich ist gerade das außerordentlich harte Arbeit. „Passengers“ hat mir diese Herausforderung gestellt. Wie erzählst du eine Geschichte über eine große Zeitspanne auf wenigen Seiten? Wie erzähle ich flott und unterhaltsam eine Story über Isolation und Langeweile?
FILMSTARTS: Mit Chris Pratt und Jennifer Lawrence verfügt „Passengers“ über zwei der heißesten Stars, die Hollywood gerade zu bieten hat. Beide haben uns gesagt, dass sie nach dem Lesen des Drehbuchs nicht lange brauchten, um für das Projekt zuzusagen. Haben sie auch mit dir darüber gesprochen?
Jon Spaihts: Ein wenig schon. Ich habe eine Menge Freunde, die selbst Filme schreiben oder Regie führen – und als das Projekt strauchelte, witzelten die immer, dass es Leute wie Jennifer Lawrence oder Chris Pratt bräuchte, um es wieder in Gang zu bekommen, was damals aber natürlich noch unmöglich erschien. Wir hatten einfach riesiges Glück: Ihre Zeitpläne sind sehr eng getaktet. Aber sie haben beide glühend über das Drehbuch gesprochen und es irgendwie möglich gemacht. Sie fühlten beide, dass es etwas ist, das sie vorher noch nicht gesehen haben, es hat sie künstlerisch beeindruckt, mehr noch als der kommerzielle Aspekt. Über die Jahre gab es viel Druck, den Film verstärkt anderen Werken anzupassen, mehr Schießereien oder Aliens reinzupacken - wir haben widerstanden.
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„Passengers“ startet am 5. Januar 2017 in den deutschen Kinos!