Gemeinsam stark
Schon wieder eine Rettungsaktion quer durch den Ozean? Schaut man nur auf die sich sanft wellende Oberfläche, wirkt der neueste Pixar-Streich „Findet Dorie“ im ersten Moment wie ein bloßer Aufguss seines Vorgängers „Findet Nemo“. Einfach den Sidekick zur Hauptfigur gemacht, ein paar Actionsequenzen mehr eingebaut und fertig ist das Erfolgs-Sequel! Aber ganz so einfach haben es sich Regisseur Andrew Stanton und seine Teammitglieder dann zum Glück doch nicht gemacht. Indem Dorie, die Palettendoktorfisch-Dame mit einem beispiellos-schlechten Gedächtnis, zur Hauptfigur wird, bekommt auch das zentrale Thema des ersten Films ganz neue Facetten. Hier wie dort geht es um Familie, Freunde und Zusammengehörigkeit: Außer Marlin und Nemo hat Dorie ja niemanden, nur eine große Sehnsucht, von der sie nicht weiß, woher sie stammt. Als nun überraschend Erinnerungen an ihre Kindheit in ihr hochkommen, macht sie sich deshalb Schwanz über Kopf auf den Weg, um ihre eigenen Eltern wiederzufinden…
Es braucht dann eine ganze Reihe glücklicher Zufälle, um die Fischdame auch nur in die Nähe ihres Heimatsortes am anderen Ende des Ozeans zu bringen, aber bei Pixar ist das Universum gnädig – und liefert ihr zudem mit dem sehr knarzigen, immer schlecht gelaunten Hank eine der witzigsten Figuren der jüngeren Kinogeschichte! Hank ist ein Oktopus mit nur noch sieben Armen (weshalb er sich selbst Septopus nennt), der sich perfekt in jeder Umgebung tarnen kann und sich nichts mehr wünscht als ein behütetes, langweiliges Leben in Gefangenschaft. Für ihn ist die sehr freiheitsliebende Dorie deshalb eine ganz besondere Herausforderung!
Es ist schon ein beglückendes Abenteuer, diesen doch sehr verschiedenen Charakteren einfach nur dabei zuzusehen, wie sie miteinander umgehen und sich in verschiedensten Situationen (im freien Meer, in menschengemachten Aquarien und darüber hinaus) durchschlagen. Seine größte Stärke entfaltet „Findet Dorie“ allerdings in den stilleren Momenten: Wenn sich Dorie allein und einsam im Meer verirrt und immer mehr vergisst, warum sie eigentlich hier ist. Wenn ihre Erinnerungen, immer nur in kurzen Bruchstücken aufblitzend, sie trotzdem immer weiter vorantreiben. Das kulminiert in einem Happy End, in dem die Liebe zu einem eigenen Kind sich so klar und schön manifestiert, dass man auf keinen Fall ohne Taschentücher ins Kino gehen sollte: Das elterliche Versprechen, ein verlorenes Kind niemals aufzugeben, wird hier mit wunderbarer, herzzerreißender Konsequenz zu Ende erzählt.
Dories besondere Vergesslichkeit – manche würden womöglich auch sagen: ihre „Behinderung“ – spielte für Dories Eltern, das wird aus ihren Erinnerungen klar, schon immer eine große Rolle. Allerdings nie als Mangel oder Schwäche, sondern als Herausforderung, um die herum sie ihrer Tochter eine liebevolle Welt ermöglichen wollten. Der Film erweitert dieses Thema, indem er alle Figuren, mit denen Dorie zu tun hat (von Hank über den Walhai Destiny bis zum Belugawal Bailey), mit jeweils eigenen Verletzungen oder physischen Schwächen versieht. Wie sie miteinander umgehen, sich unterstützen und genau deshalb zueinanderfinden, das ist das eigentliche Thema von „Findet Dorie“.
In diesen Kinos läuft „Findet Dorie“ am kommenden Wochenende.
Rochus Wolff, Jahrgang 1973, ist freier Journalist und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Grundschulalter in Berlin. Sein Arbeitsschwerpunkt ist der Kinder- und Jugendfilm; seit Januar 2013 hält er in dem von ihm gegründeten Kinderfilmblog nach dem schönen, guten und wahren Kinderkino Ausschau.