Das hatte wirklich niemand auf dem Zettel: Am 28. Februar überraschten die Academy-Wähler alle Experten, als sie den Oscar für die Besten visuellen Effekte nicht wie üblich an ein megateures Blockbuster-Spektakel, sondern an eine verhältnismäßig kleine Independent-Produktion vergaben: Alex Garlands Sci-Fi-Drama „Ex Machina“ hat gerade einmal 15 Millionen Dollar gekostet.
Offenbar sind wir inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem die Academy-Mitglieder nicht länger bloß epische, sofort ins Auge stechende Schauwerte belohnen, sondern auch kleinere, nahtlos in die Filmwelt integrierte Effekte. Und damit sind die Industrie-Insider nicht allein…
… denn auch durchschnittliche Zuschauer lassen sich mit reinen CGI-Orgien oder bloßem Spezialeffekte-Gewitter immer seltener ins Kino locken, wie eine Vielzahl der amerikanischen Einspielergebnisse 2016 nahelegen: Zu einem Großteil aus dem Computer stammende Möchtegern-Blockbuster wie „Gods Of Egypt“, The Huntsman & The Ice Queen“, „Alice im Wunderland 2: Hinter den Spiegeln“, „Warcraft: The Beginning“ und zuletzt auch „Independence Day 2: Wiederkehr“ sind geradeheraus gefloppt, weitere CGI-Epen wie „X-Men: Apocalypse“ sind zumindest hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
Aber woran liegt es, dass das Publikum offenbar die Lust am großen Spezialeffekte-Bombast verloren hat? Warum sorgt ein Zerstörungs-Epos wie „Independence Day 2“ nicht für Begeisterungsstürme oder wenigstens klingelnde Kassen, wo doch die Computereffekte seit dem ersten Teil immer besser geworden sind? Um sich den immensen Fortschritt in diesen 20 Jahren einmal wirklich vor Augen zu führen, muss man ja nur mal die optische Qualität von „Toy Story“ mit der von „Findet Dorie“ vergleichen. Am technischen Stillstand kann es also nicht liegen. Aber woran dann?
Offenbar haben Filmemacher einfach verlernt, Spezialeffekte so in Szene zu setzen, dass sie uns zum Staunen bringen. Zu Beginn der Computer-Revolution hat ein „größer, krachender, lauter“ noch ausgereicht, da ging es vor allem darum, die anderen in Sachen Gigantomanie zu übertreffen. Aber jetzt sind wir an einem Punkt, an dem technisch alles möglich ist – und wenn man jedes Bild am Computer erschaffen kann, dann braucht es wieder mehr Kreativität statt Größenwahn, um das Publikum trotzdem noch zu überraschen.
Doch statt CGI subtil und unaufdringlich einzusetzen, wo es Sinn macht, prahlen Filmemacher lieber mit teuren Computereffekten und binden sie dem Zuschauer so penetrant auf die Nase, dass er gar nicht anders kann, als all die kleinen Mängel zu bemerken. Und statt einzelne atemberaubende CGI-Momente sorgsam vorzubereiten und uns dann mit den einzigartigen Bildern zu verblüffen, wird das Publikum von der ersten Sekunde an mit Computereffekten bombardiert – und stumpft so schon vor dem Vorspann komplett ab.
Wo es keine Grenzen des technisch Machbaren mehr gibt, verliert das Geschehen schnell jede Erdung – und damit auch jeden Eindruck: Ein Legolas (Orlando Bloom), der den Rüssel eines sterbenden Olifanten heruntersurft oder eine kollabierende Steinbrücke hinaufspringt – das klingt auf dem Papier vielleicht nach coolen Momenten:
Aber es gibt da ein Problem: Während es gestaltwandelnde Riesenroboter („Transformers“) oder verschiedenfarbig leuchtende Lichtschwerter („Star Wars“) in der Realität gar nicht gibt und sich der Zuschauer deshalb auch nicht daran stört, wenn die Effekte aus dem Computer kommen, werden CGI-Effekte immer öfter auch für Szenen eingesetzt, die man früher mit einem herkömmlichen Stunt umgesetzt hätte – oder eben für Szenen, in denen quasi-menschliche Figuren Übermenschliches verbringen. Und so sind Legolas Angebereien nun zugleich nah an unserer Lebenswirklichkeit und doch irgendwie künstlich, was den Zuschauer eher irritiert als staunend zurücklässt.
Mal ganz abgesehen von Szenen, die trotz der heutigen Möglichkeiten eben nicht technisch perfekt, sondern physikalisch schlampig umgesetzt sind: Wenn etwa in „Terminator: Genisys“ der gealterte Terminator (Arnold Schwarzenegger) unter die Räder eines Schulbusses gerät und anschließend mehrmals von der Fahrbahn abprallt, wirkt er dabei fast wie ein Flummi.
In der „Terminator“-Fanszene gibt es erbitterte Diskussionen darüber, wie viel genau so ein Terminator eigentlich wiegt, aber eines ist doch völlig klar: Selbst ohne einen Doktortitel in Physik versteht jeder Zuschauer sofort, dass sich ein menschenähnlicher Körper (egal mit welcher Masse) nicht so verhalten würde wie in dieser Szene.
Aber nicht nur Arnie springt herum wie ein Flummi, auch die Kamera verhält sich dank der neuen Möglichkeiten, die CGI bietet, immer häufiger völlig unrealistisch und unterstreicht so die Künstlichkeit der Bilder. In „Das A-Team“ etwa stürzen sich Hannibal & Co. mit einem Panzer aus einem Flugzeug:
Stammt das nun aus dem Computer oder ist das echt? Eine eigentlich legitime Frage, immerhin stürzten sich in „Fast & Furious 7“ für eine ganz ähnliche Szene echte Stuntleute in echten Fahrzeugen vom Himmel. Aber im Fall von „Das A-Team“ ist die Antwort viel zu schnell gefunden: Während Hannibal & Co. Richtung Erdoberfläche rasen, dreht die Kamera von Mauro Fiore wilde Pirouetten, fliegt selbst durch feste Materie und zoomt am Schluss auch noch neckisch auf ein am Heck des Panzers befestigtes Schild mit der Aufschrift „How's My Driving?“. Spätestens hier dürfte auch der letzte Zuschauer mitgekriegt haben, dass der ganze „Spaß“ natürlich mal wieder nur aus dem Computer stammt.
Dabei hat Regiegroßmeister Steven Spielberg bereits anno 1993 vorgemacht, wie man CGI richtig einsetzt. In „Jurassic Park“ sind nur in 14 von insgesamt 127 Minuten Dinosaurier zu sehen und in nur vier Minuten davon stammen die Riesenechsen aus dem Computer. Aber weil Spielberg diese wenigen Minuten so perfekt inszeniert, käme wohl niemand auf die Idee, sich über einen Mangel an Dinos zu beschweren. Außerdem – und das ist noch viel wichtiger – verschlägt es dem Zuschauer auch heute noch den Atem, wenn Dr. Grant (Sam Neil) und Dr. Sattler (Laura Dern) ihren ersten Brachiosaurus zu Gesicht bekommen:
Und wenn der Tyrannosaurus Rex endlich in seiner ganzen Pracht zu sehen ist, dann ist das vor allem dank des minutenlangen Vorspiels (Stichwort: Wasserbecher) ein solch unglaublicher Gänsehaut-Moment. Die Szene wirkt auch nach mehr als 20 Jahre noch immer kein bisschen veraltet, was vor allem daran liegt, dass der dreifache Oscargewinner Spielberg geschickt mechanische Puppen und CGI mischt. Zudem hat er die Szene bewusst nachts und bei Regen angesiedelt, um etwaige Unzulänglichkeiten zu kaschieren. Da hat sich jemand wirklich Gedanken gemacht, statt sich blind auf die Effekte zu verlassen – denn selbst wenn man inzwischen jedes Bild am Computer erschaffen kann, heißt das noch lange nicht, dass man es auch tun sollte.
Das beste aktuelle Beispiel bleibt „Ex Machina“ mit seinen makellosen, subtil eingesetzten Computereffekten. Zumeist fallen sie gar nicht auf und wenn doch, dann weil man sich fragt, wie die Filmemacher das wohl hingekriegt haben – ganz so wie damals, als „Jurassic Park“ in die Kinos kam…