Für die Duke Universität, eine der renommiertesten amerikanischen Universitäten, die vor allem für Forschungen und Studien bekannt ist, untersuchte die Soziologin Jessi Streib die Darstellung von Armut und Klassengesellschaft in Kinderfilmen. Nun veröffentlichte sie ihre Studie mit dem Titel „Benign Inequality: Frames of Poverty and Social Class Inequality in Children’s Movies“ (= „Freundliche Ungleichheit: Die Darstellung von Armut und der Ungleichheit sozialer Klassen in Kinderfilmen“). Darin kommt sie zu dem Ergebnis, dass Armut in Kinderfilmen verharmlost wird, was aber kein so großes Problem sei. Deutlich kritischer sieht sie die Darstellung der unterschiedlichen Klassen, insbesondere der Arbeiterklasse.
Für ihre Studie untersuchte Streib gemeinsam mit zwei Co-Autorinnen alle Kinderfilme, die an den amerikanischen Kinokassen über 100 Millionen Dollar eingespielt haben – von Filmen wie „Rugrats – Der Film“ über „Mary Poppins“, „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ bis hin zu „Aladdin“ – eine Liste, in der natürlich Werke von Disney dominieren. Und die sind bekannt für ihr Happy-End, was aber zur Folge hat, dass laut Streib die Darstellung von Armut durchweg verharmlost wird, immerzu freundlich erfolgt.
Dies fange aber schon mit der Auswahl der Figuren an. Nur vier Prozent der Hauptfiguren in allen untersuchten Filmen seien zu Beginn der Handlung arm, nur gut 16% entstammen der Arbeiterklasse. In Kinderfilmen geht es also meist um Figuren, denen es ohnehin schon gut im Leben geht. In der Realität leben dagegen neuesten Erhebungen zu Folge satte 25% der Kinder in den USA in Armut. Gerade einmal ein Prozent der Kinder schafft es im Laufe seines Lebens aus der Armut auszubrechen. Das ist im klassischen Kinderfilm, insbesondere aus dem Hause Disney, natürlich anders: Hier braucht es das Happy-End. Wer aus der Armut kommt, wie zum Beispiel der obdachlose Junge Aladdin, hat es am Ende geschafft und lebt glücklich auf der Sonnenseite.
Der Weg dahin ist in Kinderfilmen auch immer gleich: harte Arbeit, moralisches Handeln und vor allem der Gute sein. In Kinderfilmen sei es so, dass arm sein, kein Problem darstelle. Wer vorwärts kommen will, ambitioniert und eine gute Person ist, schafft es. Das entspricht nicht dem wahren Leben, wo es nun einmal kaum jemand schaffe. „In Disney-Filmen schaffen sie es selbstverständlich alle“, so eine Aussage in der Studie.
Problematisch sieht Streib aber nicht die Darstellung der ganz Armen und ihres immer erfolgreichen Aufstiegs, sondern die der Arbeiterklasse. Mitglieder dieser Schicht werden immer als glücklich dargestellt. Bis auf eine Person haben sich in allen Filmen die Mitglieder der Arbeiterklasse mit ihrer Situation arrangiert und seien zufrieden. In einem Interview mit dem Hollywood Reporter erklärte Streib, dass sie dies vorher nicht erwartet habe. „Auf eine Weise ist das durchaus großartig, aber auf andere Weise klingt es natürlich so, als würde man sagen, dass wir uns nicht über Ungleichheit sorgen müssen, denn die Arbeiterklasse ist mit ihrer Stellung glücklich.“
Dass die Darstellung der ganz Armen in Kinderfilmen verharmlost wird, es immer wieder Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten gibt, die Darstellung hier unrealistisch ist, sei dagegen gut nachzuvollziehen. So fragen die Autoren der Studie nicht nur, wer sich den einen realistischen Film anschauen würde, in dem am Ende die Figur weiter ein tristes Leben in Armut führt, sondern vor allem geht es auch um den Effekt, den diese Filme haben müssen. So erklärte Streib, dass Eltern ihren Kinder wohl kaum Filme zeigen würden, in den Figuren in Armut sind, hart arbeiten und trotzdem keinen Millimeter vorwärts kommen. Das wäre nämlich eine ziemlich problematische Aussage für Kinder…