Mit "Boyhood" und "Whiplash" sind 2015 für die Oscars gleich zwei Filme in der Kategorie Bester Film nominiert, die im Januar 2014 ihre Weltpremiere auf dem Sundance Filmfestival feierten. Kein Wunder, denn das von Robert Redford gegründete Festival ist DIE Adresse für alle US-Independent-Filmemacher. Während die Studios ihre Oscar-Anwärter meist gen Ende des Jahres platzieren, damit sie den Wählern noch frisch in Erinnerung sind, starteten viele, deutlich kleinere Jahre bereits Anfang des Jahres in Sundance um dann über weitere Festivals und einen kleinen Kinostart bis vielleicht zu den Oscars durchzustarten. Von den dutzenden Filmen gelingt dies nur wenigen, doch mit Dokumentationen wie "20 Feet From Stardom" und "Searching For Sugar Man" schafften es in den vergangenen Jahren sogar zwei Filme anschließend auch eine Auszeichnung mit einem Goldjungen zu erringen. Auch Filme wie "Precious" oder "Little Miss Sunshine" starteten ihren Siegeszug in "Sundance", später gab es dann Oscar-Auszeichnungen für z. B. ihre Darsteller.
Wie der vorherige Absatz zeigt, haben vor allem Dokumentationen ganz gute Chancen von Sundance aus bis zu den Oscars durchzuziehen – schließlich gibt es hier meist wenig Konkurrenz durch größere Filmprojekte, vor allem durch die klassischen Hollywood-Biopics. In den folgenden zwölf Monaten könnte dies zum Beispiel "Going Clear: Scientology and the Prison of Belief" gelingen. Die Sekten-Doku von Alex Gibney wurde von Kritiken gefeiert. Variety sieht sogar Wirkung über das Kino hinaus in dem Film und kommt zum Fazit: "Alex Gibneys Pulverfass-Dokumentation dürfte das Fundament der Scientology-Organisation erschüttern, wenn nicht gar zum Einsturz des ganzen Gebäudes beitragen."
Bei den Spielfilmen stechen natürlich vor allem jene heraus, in denen auch bekannte Schauspieler mitspielen. Exzellente Kritiken gab es zum Beispiel für das Biopic "Experimenter" mit Peter Sarsgaard, Winona Ryder und Kellan Lutz als William Shatner (!!!), das der Hollywood Reporter mit dem aktuellen Oscar-Jahrgang vergleicht und dabei ein gutes Zeugnis ausstellt: Der Filme lasse nämlich "Kino-Biografien großer Denker, die für wichtige Preise gehandelt werden, alt aussehen." Viel Lob gab es auch für den Western "Slow West" mit Kodi Smit McPhee, Michael Fassbender und "Game Of Thrones"-Hüne Rory McCann, ein "Kumpelwestern mit gelegentlichen schockartigen Einschüben von schwarzem Humor", so der Hollywood Reporter.
Als weiteres Highlight der Branchenkenner gilt das Drama "Me & Earl & the Dying Girl", das schon jetzt als legitimer Nachfolger von "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" gehandelt wird und in Sundance sowohl mit dem Hauptpreis als auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Auch wenn die Oscar-Academy selten Geschichten über junge Menschen mit Nominierungen bedenkt, glauben die Experten von Variety, dass "Me & Earl & the Dying Girl" ähnlich wie "Juno" eine Nominierung als Bester Film bekommen könnte. Zumindest das Drehbuch sollte laut Variety eine Nominierung sicher haben.
Eine ganz sichere Nominierung glauben viele Kenner schon zu wissen. So soll Jungstar Saoirse Ronan für ihre Leistung in "Brooklyn" die Oscar-Nominierung 2016 schon jetzt nicht mehr zu nehmen sein. Bei Variety geht man sogar davon aus, dass das Drama von John Crowley ("Boy A") und Autor Nick Hornby ("Fever Pitch") bei den Academy Awards 2016 in allen wichtigen Kategorien eine Rolle spielen wird.
Wir werden sehen. Bislang haben die genannten Sundance-Hits noch keinen deutschen Kinostart, aber die Ankündigungen werden sicher folgen. Und in einem knappen Jahr wissen wir dann auch, ob einige davon für einen Oscar in Frage kommen und vielleicht sogar in die Fußstapfen des großen, diesjährigen Favoriten "Boyhood" treten können.