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    Ein Schlag in die Magengrube: Den verstörendsten (und wichtigsten) Film des Jahres gibt's ab sofort fürs Heimkino
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Er findet Streaming zwar praktisch, eine echte Sammlung kann es für ihn aber nicht ersetzen: Was im eigenen Regal steht, ist sicher vor Internet-Blackouts, auslaufenden Lizenzverträgen und nachträglichen Schnitten.

    Dieser Film wurde mit zwei Oscars ausgezeichnet, genießt internationales Prestige und sollte absolutes Pflichtprogramm sein: „The Zone Of Interest“ zeigt auf verstörende, aber nie voyeuristische Weise die Banalisierung unverzeihlicher Gräueltaten.

    Regisseur Jonathan Glazer macht nur sporadisch Kinofilme, dafür ist jeder von ihnen denkwürdig. Ein Jahrzehnt nach seinem beklemmenden Science-Fiction-Film „Under The Skin“ mit Scarlett Johansson meldete er sich nun zurück und schuf mit „The Zone Of Interest“ einen durch und durch verstörenden Film: Das experimentell aufgezogene Historiendrama zeigt eindringlich, wie sehr Menschen willens sind, ihr Gewissen zu unterdrücken und schreckliche Taten zu banalisieren.

    Entlohnt wurde das Filmexperiment mit fünf Academy-Award-Nominierungen – in den Kategorien „Bester internationaler Film“ und „Bester Ton“ gab es den Oscar letztlich auch. Zudem gehört die Produktion mit Sandra Hüller und Christian Friedel in Deutschland zu den größten Erfolgen des Kinojahres. Nun könnt ihr euch das unvergesslich-unbequeme Drama in den eigenen vier Wänden anschauen: Am 14. Juni erscheint „The Zone Of Interest“ fürs Heimkino – unter anderem als 4K-Edition:

    Bei der Ultra-HD-Veröffentlichung handelt es sich um ein Mediabook, dem zusätzlich die Blu-ray von „The Zone Of Interest“ beiliegt. Zudem enthält es ein über 30 Seiten dickes Booklet mit wissenswerten Informationen über die Hintergrundgeschichte und Entstehung des Films.

    "The Zone Of Interest": Grauen begehen und bezeugen als wär's Nichts

    Rudolf Höß (Christian Friedel) ist Nazi-Kommandant. Mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und seinen Kindern lebt er unmittelbar neben dem Konzentrationslager Auschwitz. Während Familie Höß einen banalen Alltag führt, inklusive Hobbygärtnerei und Vater-Kind-Ausflügen, geschehen direkt nebenan niederträchtige Verbrechen: Tagtäglich werden Menschen gequält, erschossen, vergast und verbrannt. Gräueltaten, die im Hause Höß selten zur Sprache kommen – und wenn, dann mit kaltschnäuziger Selbstverständlichkeit...

    Eine filmische Aufarbeitung und Vergegenwärtigung der niederträchtigen Taten in der NS-Zeit ist von immenser Wichtigkeit – doch gerade daher eine diffizile Aufgabe: Bildet man die Schrecken des Holocausts zu direkt ab, droht dies geschmacklos und ausbeuterisch zu werden. Mitunter kann es einen paradoxen, verharmlosenden Effekt entwickeln, da reißerische Gewaltdarstellungen schnell zum unwirklichen Spektakel verkommen.

    Hält man in einem Film über die NS-Zeit das Grauen allerdings zu sehr auf Abstand, kann dies geradezu verleugnend erscheinen. Ganz davon zu schweigen, dass viele NS-Historiendramen so distanziert erzählt sind, dass sie den Eindruck erwecken, ein voll aufgearbeitetes Geschichtskapitel zu behandeln. Und das, obwohl faschistoides, menschenverachtendes Gedankengut noch immer derart verbreitet ist, dass den Holocaust relativierende und leugnende Personen in politische Ämter gewählt werden.

    Glazer gelingt es, diese erzählerischen Hürden in seiner freien Adaption des Romans von Martin Amis nicht einfach bloß zu nehmen: Er fand eine in dieser Form noch nie dagewesene, erschütternde Herangehensweise.

    Denn Glazer gestattet bloß rare, beiläufige Blicke über die Trennmauer zwischen dem Höß-Haushalt und dem im Betrieb befindlichen Konzentrationslager. Stattdessen ist der Großteil dessen, was wir zu sehen bekommen, eine Art „'Big Brother' im Nazihaus“, wie Glazer selbst sagte. Radikal macht er sein Publikum zu einem stillschweigenden Mitglied des Höß-Haushaltes, das seine Scheuklappen unaussprechlich eng gezogen hat, um den industriell aufgezogenen Massenmord im Nachbargebäude auszublenden.

    Doch so sehr Familie Höß wegschaut: Die entsetzliche Klangkulisse lässt sich nicht ausblenden. Kontinuierlich wird der Familienalltag durch Schüsse, Wimmern, Flehen, Gekeuche, Schmerzensschreie und das knarzend-wabernde Wummern der Öfen begleitet.

    Somit versetzt Glazer seinem Publikum immer und immer wieder Schläge in die Magengrube und schafft ein filmisches Mahnmal, wie sehr Menschen zur Verdrängung fähig sind: Selbst sich in unmittelbarer Nähe abspielende, abgrundtief böse Taten werden banalisiert. Aus Gewohnheit, Gefühlskälte gegenüber den Betroffenen oder um die eigene Mittäterschaft herunterzuwürgen. Eine beunruhigende Erkenntnis.

    Eine, die Glazer nicht als überkommenes Problem gestriger Tage abstempelt, sondern mittels eines konsequenten, verstörenden Ansatzes bis ins Heute nachhallen lässt. Nicht zuletzt deswegen ist „The Zone Of Interest“ ein Film, der von möglichst vielen Menschen gesehen werden muss. Das Kinoergebnis war ein bemerkenswerter Anfang: Mit über 834.000 verkauften Tickets ist „The Zone Of Interest“ der achterfolgreichste Film, der dieses Jahr bislang in Deutschland gestartet ist.

    Doch angesichts dessen, dass es in diesem Land Menschen gibt, die es für einen munteren Partyspaß halten, zu Dance-Musik Nazi-Parolen zu grölen und den Hitlergruß zu zeigen, muss „The Zone Of Interest“ noch viel, viel mehr Menschen erreichen. Wegschauen und Kleinreden sind keine duldbare Option, wenn Hetze, Elend, Hass und Menschenverachtung normalisiert werden.

    FILMSTARTS sprach übrigens bereits anlässlich des Kinostarts von „The Zone Of Interest“ mit Sandra Hüller und Christian Friedel über dieses erschütternde Drama. Unter anderem ging es dabei um die außergewöhnlichen Dreharbeiten und die Aktualität des Stoffes. Das informative Gespräch findet ihr im folgenden Beitrag:

    Einer der krassesten - und besten! - Filme des Jahres: Wir sprechen mit Sandra Hüller und Christian Friedel über ihr Meisterwerk "The Zone Of Interest"

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