Wir bleiben erst einmal spoilerfrei, bevor wir auf das Ende von „Friedhof der Kuscheltiere“ eingehen – und dann gibt es auch eine Spoilerwarnung. Alle, die sich einfach nur für Infos rund um die Stephen-King-Adaption und ihre neue Streaming-Heimat interessieren, können also erstmal gefahrlos weiterlesen.
Das Buch „Friedhof der Kuscheltiere“ nimmt einen ganz besonderen Platz unter den Romanen von Stephen King ein. Nicht nur gehört es zu den besten und berühmtesten seiner Veröffentlichungen, es gilt auch als eines der kommerziell erfolgreichsten Werke des Autors. Doch ob gut oder nicht, erfolgreich oder nicht – fast jedes Stephen-King-Buch wird irgendwann verfilmt. Bei „Friedhof der Kuscheltiere“ war das bisher zweimal der Fall.
Stephen Kings Grusel-Mär vom Indianerfriedhof
Die Neuverfilmung von „Friedhof der Kuscheltiere“ (2019) mit Jason Clarke, John Lithgow und Amy Seimetz gibt es ab heute im Streaming-Abo von Paramount+. Dort könnt ihr den Horrorfilm ganz bequem ohne Werbeunterbrechungen und in verschiedenen Sprachfassungen schauen.
Wer mit der Geschichte von „Friedhof der Kuscheltiere“ so gar nicht vertraut ist: Die Familie Creed zieht von der turbulenten Großstadt raus aufs Land. Als der Familienkater überfahren wird, sind die Kinder Ellie und Gage untröstlich. Da offenbart der neue Nachbar Jud Crandall Familienvater Louis Creed ein Geheimnis: Im Wald gibt es einen alten Indianerfriedhof. Und was man dort vergräbt, kehrt wenig später wieder in die Welt der Lebenden zurück…
Nachdem „Friedhof der Kuscheltiere“ 1989 von Mary Lambert mit eher mäßigem Ergebnis verfilmt wurde, kam die 2019er Neuverfilmung von Kevin Kölsch und Dennis Widmyer zumindest handwerklich überlegen daher. „Friedhof der Kuscheltiere“ ist ein solides Horror-Drama mit atmosphärischen Bildern und guten schauspielerischen Leistungen – in der FILMSTARTS-Kritik von Christoph Petersen gibt es 3 von 5 möglichen Sternen.
"Friedhof der Kuscheltiere": Ein ordentlicher Film, aber…
Ein paar Änderungen am kingschen Originalstoff wurden natürlich auch vorgenommen, eine Adaption soll ja keine reine Eins-zu-eins-Verfilmung sein, auch wenn sich Kölsch und Widmyer doch sehr nah an der Vorlage orientieren – bis auf das Ende, mit dem sie den bis dahin durchaus überzeugenden King-Grusel leider ziemlich runterreißen. Achtung, ab hier wird gespoilert!
+++ Meinung +++
Wie so oft bei Stephen King geht es auch in „Friedhof der Kuscheltiere“ nur vordergründig um Horror- und Schockeffekte. Tiere und Menschen, die leicht gammelig aus ihren Gräbern krabbeln, um ihre Familien aus unheilvoll blickenden Augen anzustarren und dann zähnefletschend blutige Attacken zu starten – das ist klassischer Horror, den King in seinen Beschreibungen auch gern mal widerlich-detailliert zelebriert.
Doch unter dieser Oberfläche geht es bei Stephen King fast immer um menschliche Abgründe und um das Grauen negativer, manchmal unerträglicher Emotionen. Kings Mär von einem verfluchten Indianerfriedhof ist nicht nur eine Gruselgeschichte, sondern auch ein Stück über Themen wie Verlust, Trauer und Schuld, und wie sie uns zerreißen und das Schlimmste in uns hervorbringen können.
Neu ist nicht immer besser!
Irgendwann sind die Horror-Situationen für die Protagonist*innen vielleicht sogar leichter zu ertragen als das Leid in ihrem Inneren – oder, in einer anderen Lesart, sogar einfach nur bildlicher Ausdruck dessen.
Das muss man natürlich nicht so sehen, hat aber, so wie Stephen King seine Geschichten oft anlegt, zumindest den Interpretationsspielraum dafür. Und den nehmen uns Kölsch und Widmyer mit ihrem neuen Ende, das „Friedhof der Kuscheltiere“ auf seinen letzten Metern einfach nur noch zum Zombie-Film verkommen lässt. Die seelische Pein ist plötzlich nachranging und nur noch der billige Schock einer Untoten-Attacke steht im Vordergrund.
Buch-Ende vs. Film-Ende
Das passiert am Ende des Romans „Friedhof der Kuscheltiere“: Nachdem der Kater der Creeds durch das Verbuddeln auf dem Indianerfriedhof wieder zur Familie zurückgekehrt ist, vergräbt Louis Creed auch seinen kleinen Sohn Gage dort, der von einem Laster überfahren wurde. Gage kehrt zurück, ist aber nun verändert und ermordet Nachbar Jud und seine eigene Mutter auf grausame Weise. Louis sieht keinen anderen Weg, als den Kater und seinen zurückgekehrten Sohn mit Medikamentenspritzen zu töten.
Trotz dieser Erfahrung begräbt er aber auch seine Frau Rachel nun auf dem Indianerfriedhof, versichert sich selbst, dass Gage nur böse geworden sei, weil er zwischen dessen Tod und der Bestattung auf dem Indianerfriedhof zu lange gewartet habe. Das Buch endet damit, dass Rachel aus dem Wald zurückkehrt – über ihr Wesen erfahren wir nichts.
Das passiert am Ende der „Friedhof der Kuscheltiere“-Neuverfilmung: Im Film ist es Tochter Ellie (Jeté Laurence) statt Sohn Gage (Hugo & Lucas Lavoie), die von einem Lastwagen überfahren wird. Der Rest läuft erst einmal ähnlich ab: Ellie kehrt von den Toten zurück und tötet Jud und ihre Mutter. Dann aber verläuft die Geschichte anders…
Ellie schleppt ihre Mutter Rachel zum Indianerfriedhof, um sie zurückzuholen – denn dann wären beide nicht richtig tot und nicht richtig lebendig, könnten vielleicht sogar wieder eine Familie sein. Vater Louis eilt ihnen nach, will Ellie töten, wird aber von der inzwischen zurückgekehrten Rachel übermannt und getötet. Auch Louis wird nun begraben. Zusammen kehrt die Untoten-Familie zum Haus zurück, um sich nun den kleinen Gage zu schnappen. Der sitzt in einem abgeschlossenen Auto – und als Letztes hören wir, wie die Verriegelung aufgeht.
Zombie-Film statt menschlicher Tragödie
Zwischen diesen beiden Enden besteht meiner Meinung nach ein himmelweiter Unterschied. Natürlich stößt einem das „neue Ende“ nicht bitter auf, wenn man das Buch-Ende nicht kennt. Aber ob mit Kenntnis des Buch-Endes oder nicht: Hier fehlt am Ende einfach ein emotionaler Punch, der die Tragik der Geschichte noch einmal auf die Spitze treibt.
Stattdessen gibt es ein zwar immerhin böses Ende, das aber auch sehr schlicht ist: Jetzt sind einfach alle (un-)tot, zack. Das Drama wird zum Zombiefilm – nur mit Vergraben statt Beißen. Tonal passt das auch nicht richtig zum Rest des Films, in dem der Zombie-Horror eher am Rande stattfand, wirkt sogar fast ein wenig lächerlich, wenn sich jetzt hier plötzlich die gesamte Untoten-Familie gegenseitig verbuddelt und nun auch noch Klein-Gage einsacken will.
Die klassischen King-Zutaten Schmerz und Wahnsinn fallen weg
Schlimmer noch: Die tragische Dimension, dass sich Louis Creed, nachdem er seinen mordlüsternen Sohn mit seinen eigenen Händen töten musste, in seinem Schmerz noch einmal entscheidet, ein geliebtes Familienmitglied auf dem Friedhof zu begraben, fällt beim Film-Ende komplett weg. Hier sind es die Untoten, die einander töten und dann wieder zurückholen – die Frage nach Gewissen und Vernunft stellt sich da gar nicht erst: Die untote Ellie tötet ihre Mutter Rachel und belebt sie wieder. Die untote Rachel tötet ihren Ehemann. Die untote Familie Creed schnappt sich am Ende den kleinen Gage.
Die besten Horrorfilme aller ZeitenAuch wird somit der Teil weggelassen, bei dem sich Louis Creed entscheidet, sein Kind, das noch aussieht wie sein Kind, aber nun handelt wie das pure Böse, zu töten. Er kämpft zwar mit Ellie im Wald und will sie umbringen, da sie nicht von ihrem Plan, die Familie als Untote wieder zu vereinen, abzubringen ist – doch letztlich führt er die Tat nicht aus, sondern wird von Rachel getötet.
All der Schmerz und Wahnsinn, der sich in der Figur Louis Creed am Ende des Romans kondensiert und ihn sogar dazu treibt, entgegen besseren Wissens das verfluchte Begräbnis auch bei seiner Frau durchzuführen, weil ihm wahrscheinlich eh schon alles egal ist, verpufft in der Verfilmung einfach. Somit geht viel vom psychologischen Horror der Vorlage, von den tiefen, grausamen, emotionalen Schrecken, die in der menschlichen Seele verankert sind, flöten.
Brandneuer Kannibalen-Horror von Stephen King wird als Serie verfilmt – und bringt bekannte Figur zurückDies ist eine aktualisierte Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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