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    Ein Schlag in die Magengrube: Im Heimkino gibt's jetzt einen der besten Filme des Jahres – der für Deutschland ins Oscar-Rennen geht
    Daniel Fabian
    Daniel Fabian
    -Redakteur
    Ob Sammlereditionen aus aller Welt, aktuelle Schnäppchen oder Uncut-Horror – er weiß ganz genau, wie man an die großen Must-Haves kommt.

    Als studierter Sozialarbeiter empfand FILMSTARTS-Redakteur Daniel Fabian „Systemsprenger“ als den (mit Abstand) härtesten Film von 2019. Vier Jahre später schlägt sein Nachfolger im Geiste nun in eine ähnliche Kerbe...

    Als Horrorfilm-Enthusiast komme ich nicht drum herum, mir Jahr für Jahr die schaurigsten, blutrünstigsten und verrücktesten Genre-Beiträge anzusehen. Man könnte also durchaus sagen, dass ich eine Schwäche für schwer verdauliches Kino habe – zähle ich doch kompromisslose Bretter wie „Martyrs“ (das Original), „The Hills Have Eyes“ (das Remake) und „mother!“ zu meinen absoluten Lieblingsfilmen. Wenn es 2019 allerdings einen Film gab, der mir den Boden unter den Füßen wegriss, war das keine schonungslose Schlachtplatte, sondern das deutsche Oscar-Drama „Systemsprenger“. Vier Jahr später fühlt sich 2023 nun wie ein Flashback an …

    … denn es gab in diesem Jahr (bis dato) keinen Film, der mir auch nur ansatzweise so zusetzte wie İlker Çataks „Das Lehrerzimmer“. Nicht „Infinity Pool“ oder „Talk To Me“, nicht „Pearl“ oder „M3GAN“, nicht „Scream 6“ oder „Evil Dead Rise“ – sondern einmal mehr ein für Deutschland ins Oscar-Rennen gehendes Drama über das Systemversagen, mit dem Bildungs- und Erziehungseinrichtungen tagtäglich zu kämpfen haben, ließ mich immer wieder nervös im Kinosessel hin und her rutschen, zwang mich, Blick von der Leinwand abwenden, um mich kurz zu erholen und für die nächste Szene Kraft zu tanken. Und am Ende blieb ich geradezu paralysiert im Kinosessel zurück.

    Ja, diese emotionale Durchschlagskraft, mit der sich „Das Lehrerzimmer“ seinem relevanten Thema nimmt, sprach sich schnell herum – und so eroberte der Film im vergangenen Mai schnell die Arthouse-Kinocharts, konnte am Ende über 244.000 Menschen in die Filmtheater locken und mehr als 2,1 Millionen Euro einspielen. Wer den Film bislang trotzdem verpasst hat, kann ihn nun endlich zu Hause nachholen: „Das Lehrerzimmer“ ist jetzt im Streaming (u.a. bei Amazon Prime Video*) verfügbar sowie seit dem 20. Oktober auf DVD und Blu-ray erhältlich:

    Es erwartet euch ein herausragend geschriebenes, lebensnah inszeniertes und authentisch gespieltes Drama, das empört und verstört, sprach- und hilflos macht und einen unverblümten Blick auf eine erschütternde Realität wirft – und für den Autor dieses Artikels aktuell zu den Top 3 Kinofilmen 2023 zählt. Aber auch zu den härtesten.

    Das ist "Das Lehrerzimmer"

    Im Zentrum der Geschichte steht die junge Lehrerin Carla (herausragend: Leonie Benesch). Carla ist neu an ihrer Schule – und startet mit dem typischen Idealismus in ihren Berufsalltag, den man für seinen ersten Job noch mitbringt. Doch sie muss schnell erkennen, dass sie in ihrer Ausbildung nur bedingt auf die harsche Wirklichkeit vorbereitet wurde – und bringt so schon bald nicht nur ihre Schützlinge, sondern auch deren Eltern sowie vor allem ihr Kollegium gegen sie auf. Dabei tut sie alles, um für alle am System Schule Beteiligten ideale, faire Rahmenbedingungen zu schaffen...

    „Das Lehrerzimmer“ erzählt von einem persönlichen Leidensweg, auf dem manifestierte Ideale und Hoffnungen an der harten Realität zerschellen. İlker Çatak verzichtet dabei vollends darauf, in die knackige Laufzeit von gerade einmal 94 Minuten auch noch mögliche Lösungen für all die Probleme zu unterbreiten, die er in seinem Film behandelt – und tut gut daran. Wenn es so einfach wäre, gäbe es die dargebotenen Schwierigkeiten schließlich gar nicht mehr. Abgesehen davon ist es ein Ding der Unmöglichkeit, einem derart komplexen Thema in Spielfilmlänge vollends Herr zu werden.

    İlker Çatak handelt innerhalb der ihm gegebenen Möglichkeiten – und macht so auf eine Art und Weise auf eine Problematik aufmerksam, die Wirkung zeigt. Mit einem Film, der unangenehm ist, der regelrecht wehtut und sein Publikum mit einer Hilflosigkeit und Machtlosigkeit konfrontiert, die sich im Alltag schnell mal weg ignorieren lässt. Während das Kino also oftmals Raum zur Realitätsflucht ist, geht „Das Lehrerzimmer“ den Weg in die entgegengesetzte Erinnerung – und kommt, ähnlich wie „Systemsprenger“, einem lauten, betäubenden Aufschrei gleich ...

    ... einem Aufschrei, der noch lange nach dem Abspann in den Köpfen seines Publikums nachhallt. Einer, mit dem sich nicht nur Eltern gehört fühlen dürften, sondern vor allem auch die unzähligen Lehrerinnen und Lehrer, Pädagoginnen und Pädagogen da draußen, die allen Widrigkeiten zum Trotz alles in die Waagschale werfen – und sich in vielen Fällen ein Stück weit zur Selbstaufgabe gezwungen sehen. Und dieses Opfer immer wieder bringen. Für ihre Schützlinge, die schließlich unsere Zukunft sind.

    Ein wichtiger Film, der unangenehm ist – und das auch sein muss

    Als jemanden, der Soziale Arbeit studiert hat, erinnert mich „Das Lehrerzimmer“ an einen beruflichen Alltag, der früher oder später auch das Privatleben absorbiert, an Kraftakte, die Pädagog*innen, Lehrer*innen und Co. jeden Tag leisten müssen, an Verantwortung, die weit mehr als „nur einen Job“ bedeuten und den in der Gesellschaft oftmals fehlenden Respekt, der jenen Menschen gebührt. Wird „Das Lehrerzimmer“ damit direkt Probleme lösen? Wahrscheinlich nicht. Und doch gibt es vieles aus dem Film mitzunehmen, das sich lohnt, vielleicht auch in seinen Alltag aufzunehmen – wenn es etwa darum geht, andere Menschen und ihr Tun zu verstehen.

    Hat man Carlas Tour de Force nämlich erst einmal verdaut – was bei mir mehrere Tage gedauert hat –, um schließlich darüber zu reflektieren, entfaltet „Das Lehrerzimmer“ erst vollends seine Wirkung, als einer der kompromisslosesten und wichtigsten, am Ende aber vielleicht auch hoffnungsvollsten Filme des Jahres. Denn gerade die Ausweglosigkeit und Hilflosigkeit, die einen selbst genauso wie Protagonistin Carla mit voller Wucht überrollt, setzten letztlich vielleicht den einen oder anderen Hebel in den Köpfen des Publikums in Bewegung – womit der Film schon mehr erreicht als viele, viele andere.

    Und wer weiß, vielleicht nutzt das beim Deutschen Filmpreis in fünf Kategorien (u.a. als Bester Film) ausgezeichnete Drama dazu auch schon bald die größte Bühne Hollywoods, wenn es heißt: And the Oscar goes to...

    Nachfolge von Netflix-Hit "Im Westen nichts Neues": Kino-Highlight geht 2024 für Deutschland ins Oscar-Rennen

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