In seiner Rolle als größenwahnsinniger Antagonist Auric Goldfinger, der es im für viele Fans besten 007-Film mit dem Geheimagenten Ihrer Majestät (Sean Connery) zu tun bekommt, wurde Gert Fröbe 1964 quasi über Nacht zum weltberühmten Superstar. In den Jahrzehnten danach stand der gebürtige Sachse mit dem markanten Akzent (der in der Originalfassung von „James Bond 007 – Goldfinger“ glatt wegsynchronisiert wurde) dann auch noch für eine ganze Reihe weiterer internationaler Kinoproduktionen vor der Kamera.
Ohne seinen vorherigen Auftritt im Schwarz-Weiß-Klassiker „Es geschah am hellichten Tag“ von 1958, den ihr aktuell noch für wenige Tage kostenlos in der ARD-Mediathek streamen könnt, wäre es aber wohl nie zu dieser Karriere gekommen. Wenngleich Fröbe in den 50er Jahren bereits in über 30 Filmen mitgewirkt hatte, wurden die James-Bond-Produzenten erst durch seine Glanzleistung in der Rolle des psychisch kranken Kindermörders auf den Schauspieler aufmerksam.
Bis heute gilt der Kriminalfilm-Meilenstein von Regisseur Ladislao Vajda, der das Drehbuch gemeinsam mit Hans Jacoby und Friedrich Dürrenmatt nach der Idee des Schriftstellers schrieb, als einer der besten deutschsprachigen Filme aller Zeiten – und das, obwohl Dürrenmatt selbst mit der schweizerisch-deutsch-spanischen Co-Produktion überhaupt nicht glücklich war.
Darum geht es in "Es geschah am hellichten Tag"
In der Nähe des Schweizer Örtchens Mägendorf macht der Hausierer Jacquier (Michel Simon) im Wald eine grausame Entdeckung: Er stolpert über die Leiche der kleinen Gritli Moser, die mit einem Rasiermesser ermordet wurde. Jacquier flüchtet in ein Gasthaus, gerät dort aber in Bedrängnis: Für die Dorfbewohner ist klar, dass nur der Hausierer die Achtjährige auf dem Gewissen haben kann. In seiner Not ruft Jacquier den gewieften Oberstleutnant Dr. Hans Matthäi (Heinz Rühmann) von der Zürcher Kantonspolizei an – und der kommt gerade noch rechtzeitig, um den unschuldigen Jacquier vor dem wütenden Mob zu retten.
Im Präsidium nehmen seine Kollegen Leutnant Henzi (Siegfried Lowitz) und Detektiv Feller (Sigfrit Steiner) den Hausierer in die Mangel. Doch Matthäi ahnt, dass Jacquier nicht der Täter ist. Um Gritlis wahren Mörder zu finden, geht er schließlich ein hohes Risiko ein: Matthäi mietet eine Tankstelle an und beschäftigt die alleinstehende Frau Heller (María Rosa Salgado) als Haushälterin. Das hat einen Hintergedanken: Ihre Tochter Annemarie (Anita von Ow) sieht dem Opfer ähnlich und spielt für alle Durchfahrenden gut sichtbar jeden Tag an der Landstraße...
Ein denkwürdiger Auftritt
Erst nach einer guten Dreiviertelstunde bekommen wir Gert Fröbe in der einleitend erwähnten Rolle des pädophilen Albert Schrott überhaupt zu Gesicht – besser gesagt den Schatten seines hünenhaften Körpers und seine fleischigen Hände. Präzise, etwas dick aufgetragene Einstellungen wie diese erinnern an Alfred Hitchcock und uns wird unmissverständlich klar: Hier muss es sich um den Mörder handeln. Eingeschüchtert den Tadel seiner sadistisch-herrischen Gattin (Berta Drews) ertragend, knetet Schrott nervös seine Finger und verdrückt sich. Ein Bilderbuch-Loser, der sich heimlich an kleinen Mädchen vergeht.
Das ist zwar Charakterzeichnung mit dem Holzhammer, denn heute werden solche Figuren meist weniger klischeebeladen erzählt. Als Unterbau für den gefährlichen Gegenspieler von Publikumsliebling Heinz Rühmann, der als ungewohnt ernst-verbissene Identifikationsfigur bei einem Besuch in Gritlis Klassenzimmer sogar für einen kurzen Moment wieder in seine beliebte Rolle aus der Kultkomödie „Die Feuerzangenbowle“ schlüpfen darf, funktioniert das aber unheimlich gut.
Schrott strahlt in jeder Szene eine faszinierende Bedrohung aus – gerade, weil er anders als der vorbestrafte Hausierer so unscheinbar daherkommt. Schon bald begegnet er der kleinen Annemarie dank seiner gewieften Masche als „Zauberer“ mit Schokoladentrüffeln im Wald. Nicht nur die Eltern kleiner Kinder, die dieser Film besonders triggern dürfte, müssen ab diesem Moment bis in die Schlussminuten des spannenden Schwarz-Weiß-Krimis um das Leben des Kindes bangen. Kann Matthäi Schrott das Handwerk legen?
Wegweisend auch fürs Horrorkino
Bei der Jagd auf den Triebtäter bedienen sich die Filmemacher zudem eines effektiven Kniffs, der danach auch oft in Horrorfilmen zum Einsatz kam: Sie setzen auf eine gruselige Kinderzeichnung als Schlüssel zur Auflösung. Vor ihrem Ableben hat die ermordete Gritli eines der Treffen mit dem „Zauberer“ gemalt – und wie so oft sind in dem besonders für Erwachsenenaugen rätselhaften Bild entlarvende Hinweise versteckt. Über die Zeichnung gelangt Matthäi auf Schrotts Fährte, doch ob er ihn stoppen kann, bleibt bis zum dramatischen Showdown offen.
Wer Friedrich Dürrenmatts fast zeitgleich erschienenen Roman „Das Versprechen“, der auf dem Drehbuch des Films basiert, gelesen hat, erlebt auf der Zielgeraden die größte Überraschung. Denn anders als die meisten Zuschauer war der Schweizer Autor mit dem Schluss des Krimis, der 1958 auf der 8. Berlinale seine Weltpremiere feierte, nicht zufrieden. All jenen, die sein kompromisslos-ernüchterndes Romanfinale bevorzugen, sei deshalb Sean Penns „Das Versprechen“ mit Jack Nicholson ans Herz gelegt – ihr könnt den hochkarätig besetzten Thriller-Geheimtipp nach jahrelangem Warten nun endlich auf streng-limitierter Blu-Ray genießen.
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