Ja, Disneys „Arielle, die Meerjungfrau“ ist ein ikonischer Film der LGBTQ+-Bewegung. Das hängt vor allem mit zwei Personen zusammen, ohne die es den Film wohl gar nicht gäbe: Hans Christian Andersen, der die 1837 veröffentlichte Vorlage schrieb, und Howard Ashman, der eine der treibenden Kräfte hinter dem legendären Disney-Animationsfilm von 1989 ist.
Hans Christian Andersen Märchen: Reaktion auf unerfüllte Liebe zu einem Mann?
Hans Christian Andersen schrieb das Märchen der kleinen Meerjungfrau nach Ansicht vieler Literaturwissenschaftler*innen als Reaktion auf eine unerfüllte Liebe. Der wohl bisexuelle Dichter verliebte sich wahrscheinlich in den Autorenkollegen Edvard Collin. Mehrere Briefe sind überliefert, die als Liebesbekundungen zu verstehen sind. Doch Collin erwiderte die Liebe nicht. Als er eine Frau heiratete, schrieb Andersen direkt danach sein berühmtes Märchen.
Im Originalmärchen bleibt die Liebe der Meerjungfrau am Ende dann auch unerwidert. Der menschliche Prinz heiratet eine menschliche Prinzessin. Die Meerjungfrau, welcher die Stimme geraubt wurde, konnte dem Prinzen hier nicht rechtzeitig ihre Liebe gestehen. Es wird als Anspielung darauf verstanden, dass auch Andersen in einer Welt, in welcher Homosexualität nicht akzeptiert war, seine Stimme nicht erheben konnte, um Collin seine Liebe zu gestehen. Wie seine Meerjungfrau musste er hilflos mitansehen, wie „sein Prinz“ eine andere heiratet.
Howard Ashmans legendäre Songs: Teil einer anderen Welt!
In der Disney-Adaption gibt es natürlich nicht dieses Ende. Ihr wisst ja alle, dass Arielle am Ende ihren Eric ehelicht und Ursula besiegt wird. Doch trotzdem verweist die Geschichte weiter auf das Leben und Lieben schwuler und lesbischer Menschen. Einen großen Anteil daran hat Howard Ashman. Für den Autor und Songtexter war „Arielle, die Meerjungfrau“ sein erster Disney-Film. Anschließend sollte er noch „Die Schöne und das Biest“ sowie „Aladdin“ mit seinen Liedern bereichern, bevor er 1991 im Alter von nur 40 Jahren nach einer AIDS-Erkrankung starb. Sein nach „Arielle“ zweiter Oscar für „Die Schöne und das Biest“ wurde ihm posthum überreicht. Sein Lebensgefährte Bill Lauch nahm ihn entgegen.
Der auf Disney+ verfügbare Dokumentarfilm „Howard“ gibt einen wunderbaren Einblick in Ashmans Leben und Schaffen – und macht auch deutlich, wie seine Homosexualität und die Unterdrückung der LGBTQ+-Gemeinde zu jener Zeit sein Schaffen geprägt haben.
Insbesondere der legendäre Song „Part Of Your World“ ist eine LGBTQ+-Hymne – gemeinsam mit Judy Garlands „Over the Rainbow“ aus „Der Zauberer von Oz“ wohl sogar die größte aus einem Kino-Soundtrack.
Eigentlich sollte Ashman eine Liebesballade schreiben, in welcher Arielle ihren Gefühle für Prinz Eric Ausdruck verleiht. Doch Ashman war anderer Meinung. Die Meerjungfrau brauche einen „I Want“-Song. Er setzte sich durch – obwohl die damalige Disney-Führungskraft Jeffrey Katzenberg sogar verlangte, dass das fertige Lied wieder aus dem Film geschnitten wird. „Nur über meine Leiche“ soll Ashman damit gedroht haben, das gesamte Projekt zu verlassen und bekam seinen Willen. Heute kommt übrigens kaum ein Disney-Musical mehr ohne einen solchen „I Want“-Song aus und Vorbild ist meist das Wirken von Ashman.
Während in Ashmans Text Arielle davon singt, Teil der Welt der Menschen zu werden, wird „Part Of Your World“ gerne als Hymne verstanden, die das Verlangen homosexueller Menschen illustriere, einfach nur dazu zu gehören. Das Lied sei Ausdruck des Wunschs der LGBTQ+-Gemeinschaft nach Akzeptanz und einem Ort, wo sie so „frei“ sein können, wie es hier besungen wird.
Zu sehen ist das insbesondere vor dem politischen Hintergrund, vor welchem der Song entstand: Die HIV-Epidemie erschütterte in den 1980er-Jahren die Welt. Gerade in den USA führte die Bezeichnung als „Schwulenkrankheit“ zur einer Ausgrenzung homosexueller Männer wie Ashman. Interessant ist in diesem Kontext, dass dessen erste Version des Disney-Klassikers deutlich negativer war: Da kam Arielle zur Erkenntnis, dass sie niemals dazu gehören und akzeptiert werden wird – genauso fühlten sich viele Homosexuelle Ende der 80er. Erst als man den Songtexter darauf hinwies, dass das für das Zielpublikum Kinder doch etwas zu düster sei, änderte er es in hoffnungsvollere Zeilen.
Trotzdem gibt es nicht nur Zeilen, in welchen Arielle diese fremde Welt und ihre Mysterien besingt (What′s a fire and why does it ... What's the word? ... Burn), sondern auch weiterhin deutliche Textzeilen, die darauf verweisen, wie sich viele Homosexuelle auch wünschen, sich outen zu können, out of the closet kommen zu können (What would I give If I could live out of these waters?)
"Arielle, die Meerjungfrau" - die neue Version aktuell bei Disney+
Es sind übrigens nicht die einzigen Verweise auf die LGBTQ+-Szene im Zeichentrick-Klassiker. So wurde die Figur Ursula von der Drag-Szene beeinflusst. Optisches Vorbild war der 1988 verstorbene, legendäre Drag-Künstler Divine, der unter anderem durch seine Auftritte in den Filmen von John Waters wie „Pink Flamingos“, „Female Trouble“ und natürlich „Hairspray“ bekannt ist. Es war übrigens Ashman, der aus den vielen verschiedenen Konzeptideen für das Aussehen von Ursula jenes auswählt, das an Divine erinnert.
Viele Fans forderten daher im Vorfeld der Neuverfilmung, dass Disney einen Drag-Künstler auch für die Besetzung von Ursula in der Realverfilmung „Arielle, die Meerjungfrau“ verpflichten solle. Am Ende bekam aber Melissa McCarthy („Brautalarm“) die Rolle – und macht unserer Meinung nach eine richtig gute Figur. Davon könnt ihr euch nun auch selbst im auf Disney+ überzeugen.
Nach "Arielle" & Co.: Realfilm über eine der beliebtesten Disney-Figuren wohl weiterhin in Arbeit!Dies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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