Vom Aushängeschild zur Lachnummer: Etwas überspitzt lässt sich so die Entwicklung des „The Witcher“-Franchise auf Netflix zusammenfassen. Während Staffel 1 allem Zeitlinien-Wirrwarr zum Trotz ein großes Publikum begeisterte, ging es ab Staffel 2 bergab: Viele Fans waren unzufrieden mit den Unterschieden zur Buchvorlage (und den populären Videospielen), die Prequel-Serie „Blood Origin“ war ein Fehlschlag und zuletzt verkündete auch noch Hauptdarsteller Henry Cavill seinen Ausstieg nach Season 3.
Mit den ersten fünf Folgen der dritten Staffel ging es immerhin wieder etwas bergauf, auch wenn „The Witcher“ einfach zu viele Figuren mit sich herumschleppt und nicht allen gerecht werden kann. Bleibt die Frage: Kann die zweite Hälfte von „The Witcher“ Season 3 noch einmal so richtig an die alten Stärken anknüpfen und Henry Cavill gebührend verabschieden? Leider nein. In den letzten drei Folgen überzeugt Staffel 3 fast nur noch in den Actionszenen, während gerade die emotionalen Momente häufig hohl wirken und viele andere Szenen unlogisch oder fast schon unfreiwillig komisch erscheinen.
Nachdem sie endlich dem großen Bösewicht Vilgefortz (Mahesh Jadu) auf die Spur gekommen sind, geraten Geralt (Henry Cavill) und Yennefer (Anya Chalotra) mitten hinein in einen großen Coup in der Zaubererfestung Aretuza: Dijkstra (Graham McTavish) und Philippa (Carrie Clare) nehmen die Zauberinnen und Magier fest, die mit Nilfgaard zusammenarbeiten, haben jedoch nicht damit gerechnet, dass Nilfgaard-Truppen und die mit ihnen verbündeten Scoia'tael um Francesca (Mecia Simson) ihrerseits auf der Insel eingetroffen sind.
Im anschließenden Gemetzel lassen viele Zauberer und Magierinnen ihr Leben, während die von allen gejagte Ciri (Freya Allan) durch ein Portal flieht und sich Geralt dem mächtigen Vilgefortz im Duell stellt – und verliert. Nun muss sich Ciri alleine durch eine lebensfeindliche Wüste schlagen, während Geralt im Brokilon-Wald wieder zu Kräften kommt und Yennefer sich mit den überlebenden Zauberinnen zusammentut...
Action hui, Rest pfui
Die sechste Folge verdeutlicht ziemlich gut, was die großen Stärken und Schwächen von Staffel 3 sind: Wenn sich Ciri, Geralt und Yennefer unter Tränen voneinander verabschieden, müsste das eigentlich ein großer, bewegender Moment sein, doch der Funke will einfach nicht überspringen – so gut diese Szene auch gespielt sein mag.
Zu nah ist die Erinnerung an Yennefers Handlungsstrang in Staffel 2, als sie Ciri noch an die Dämonin Voleth Meir verkaufen wollte, und zu wenig Zeit war in den vorherigen Episoden von Season 3, um die drei zu einer echten Familie zusammenwachsen zu lassen (ein Wort, das in diesen letzten Folgen übrigens ebenso überstrapaziert wird wie in „Fast & Furious“).
"The Witcher" Staffel 4 kommt: Wann und wie geht es auf Netflix weiter?Hätte man in der ersten Hälfte von Staffel 3 auf die viel zu zahlreichen Nebenfiguren und deren Handlungsstränge verzichtet und sich stattdessen mehr auf Geralt, Yennefer und Ciri konzentriert, würde dieser Abschied womöglich eine ganz andere Wirkung entfalten. Und apropos Nebenfiguren:
Am Beispiel Cahir (Eamon Farren) zeigt sich sehr gut ein weiteres großes Problem: Dessen Entwicklung von Staffel 1 zu Staffel 2 und vor allem in Staffel 3 ergibt nämlich überhaupt keinen Sinn mehr, weil er ständig ohne wirklich nachvollziehbare Gründe die Seiten wechselt und die Figur so nie greifbar wird. Wenn er nun in Folge 6 auf einmal beschließt, dass er Ciri beschützen will, stimmt das zwar mit der Buchvorlage von Andrzej Sapkowski überein, passt aber nicht zu dem Cahir, den wir bisher in der Serie kennengelernt haben.
Immerhin kann das Ende von Folge 6 noch einmal das Ruder rumreißen, denn der Kampf zwischen Geralt und Vilgefortz ist – wie fast jeder Kampf in „The Witcher“ – erstklassig. Und das meint hier nicht nur, dass das Duell Schwert gegen Kampfstab stark choreographiert und von Mahesh Jadu und Henry Cavill größtenteils selbst ausgetragen wird. Es ist auch tatsächlich mal etwas Neues, weil Geralt zum ersten Mal an einen (mehr als) ebenbürtigen Gegner gerät – und eine schmerzhafte Niederlage einstecken muss.
Die große Ciri-Soloshow
Eine ähnliche Mischung aus hohl klingenden emotionalen Szenen, merkwürdigen inhaltlichen und inszenatorischen Entscheidungen und starken Actionhöhepunkten gibt es auch in der restlichen Staffel 3.2, wobei Folge 7 noch einmal eine Sonderrolle einnimmt. Hier erwartet euch nämlich eine Ciri-Soloshow, bei der sich die junge Frau nicht nur mit Hunger und Durst, sondern auch mit Wahnvorstellungen und der Versuchung der Feuermagie auseinandersetzen muss.
Dabei beweist Freya Allan, dass sie als Ciri durchaus das Zeug hat, zur neuen Hauptfigur zu werden – so ist es in den Büchern und so wurde es auch schon für die Serie angekündigt. Auch diese an sich gelungene Episode hat aber so ihre Eigenheiten, von dem sehr billig aussehenden Horn des Einhorns, auf das Ciri in der Wüste trifft, bis hin zu den auch nach tagelangem Herumirren noch perfekt geschminkten Augen der Protagonistin.
Hoffnung für die Zukunft
Aber um noch einmal auf Henry Cavill zurückzukommen: Der darf sich mit einer zünftigen Klopperei mit einer Gruppe Soldaten aus „The Witcher“ verabschieden und stellt dabei noch einmal seine Qualitäten als Schwertkämpfer und Hauptdarsteller unter Beweis.
Fast noch beeindruckender ist jedoch das Debüt der Rattenbande in Folge 8, der sich Ciri dann in Staffel 4 anschließt und die auch ihr eigenes Netflix-Spin-off bekommen soll. Die feiern ihren Einstand nämlich mit einer unglaublich fetzigen Actionszene – und das macht dann irgendwie doch noch Hoffnung auf die Zukunft von „The Witcher“.
Fazit: Ein würdiger Abschied für Henry Cavill sieht anders aus. In „The Witcher“ Staffel 3, Ausgabe II gibt es zwar einige sehr starke Actionszenen, ansonsten gelingt aber nicht viel. Womöglich kommt der Quasi-Neuanfang mit dem Darstellerwechsel in Staffel 4 genau zum richtigen Zeitpunkt...
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