Zwei Tage, ehe er Selbstmord beging, brachte Stefan Zweig sein letztes Werk auf den Weg: „Die Schachnovelle" wurde posthum 1943 veröffentlicht. Sie zählt bis heute zu den wichtigsten Werken deutschsprachiger Literatur und ist für viele Schüler*innen Pflicht. Wie kaum ein anderes Werk zeigt „Die Schachnovelle" eindringlich die Folgen nationalsozialistischer Gefangenschaft und psychischen Terrors auf.
Bereits 1960 wurde „Die Schachnovelle" mit Curd Jürgens und Mario Adorf verfilmt. 2021 adaptierte Philipp Stölzl den Stoff erneut für die große Leinwand – herausgekommen ist mit „Die Schachnovelle" eine düstere, psychologisch-komplexe Neuinterpretation, die ihr am 3. Juli 2023 um 20.15 Uhr ohne Werbung im Ersten sehen könnt. Die Wiederholung läuft in der Nacht um 1.30 Uhr.
Darum geht es in “Die Schachnovelle”:
Wien, 1938: Österreich wird von den Nationalsozialisten eingenommen. Ehe es dem Notar Josef Bartok (Oliver Masucci) gelingt, mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) zu fliehen, wird er von der Gestapo festgenommen. Gestapo-Leiter Franz-Josef Böhm (Albrecht Schuch) möchte aus ihm die Zugänge für einige Konten des österreichischen Klerus herausbekommen, die Bartok verwaltet. Als er diese nicht herausgeben will, wird er über Wochen und Monate in Isolationshaft gehalten. Das einzige, was ihm dabei hilft, die psychologische Folter zu durchstehen, ist ein Schachbuch, an das er eines Tages per Zufall gerät…
Für diejenigen, die es heute Abend nicht schaffen, könnte die Anschaffung der Blu-ray interessant sein: Dort gibt es noch mehr Hintergründe zum Buch sowie Behind-The-Scenes-Material.
Der Abgrund zwischen Schwarz und Weiß
Nun kann man auch hier, wie bei Literaturverfilmungen immer und überhaupt, darüber diskutieren, ob Literatur sich überhaupt ins Filmische übertragen lässt – ist Literatur nicht immer auch etwas subjektiv Erlebtes, das sich überhaupt nicht darstellen lässt? Wie weit kann oder darf sich eine Umsetzung vom Original entfernen? Und man könnte in gleichem Atemzug dieser Neuinterpretation der „Schachnovelle" sicherlich vorwerfen: Sie entfernt sich zu weit!
Denn Philipp Stölzl nimmt hier einige Verschiebungen vor, die die Handlung noch mehr ins Surreale, Wahnhafte entrücken lassen – und sie näher an amerikanische Mindfuck-Vorbildern wie „Black Swan" oder „Fight Club" heranrücken. Was ihm dadurch gelingt, ist eine kluge Verzahnung von Bild- und Bewusstseinsebenen, die Fans eben jener Vorbilder erfreuen wird. Brillant ist dabei nicht nur die Ausstattung und die Inszenierung – auch Oliver Masucci hangelt sich grandios an den Abgründen seiner Figur entlang.
Wenngleich die Spaltung des „Dr. B.” aus dem Original und die Schachpartien mit sich selbst – Ich Schwarz, Ich Weiß – hier anders umgesetzt werden, erschafft der Film einen visuell-psychologischen Reiz bis hin zur Irritation. So wird die Zermürbung, das Brechen seiner Person und seines Verstandes, auf Bildebene übertragen – und lässt einen selbst zermürbt zurück.
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