Nachdem Jalmari Helander mit dem etwas anderen Weihnachtsfilm „Rare Exports“ begeisterte, klopfte schnell die große Filmwelt an seine Tür. Am Ende drehte er in Deutschland mit Stars wie Samuel L. Jackson, Ray Stevenson oder Jim Broadbent den Actionfilm „Big Game“ - und verschwand dann für acht Jahre, in denen er ausschließlich fürs finnische Fernsehen arbeitete, aus dem Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Nun ist er zurück. Und wie.
„Sisu“ läuft ab dem heutigen 11. Mai 2023 in den deutschen Kinos und ist eine brachial-brutale Action-Granate, die keine Gefangenen gemacht. Im Interview mit Jalmari Helander wollten wir natürlich wissen, warum es so lange gedauert hat, bis endlich ein neuer Kinofilm von ihm erschienen ist. Natürlich sprechen wir auch über die Gewalt in „Sisu“ und ob es vielleicht Kompensation für den etwas zu blutleeren „Big Game“ ist und wie verdammt viel Spaß es macht, Nazis zu töten.
Als wir mit ihm via Zoom sprechen, fällt auf, dass der Regisseur in seinem Büro direkt vor zwei Postern sitzt - das eine ist zu seinem ersten Kinofilm „Rare Exports“, das andere zu einem seiner Lieblingsfilme...
Rambo und Western - "Sisu" verbindet alles, was Helander mag!
FILMSTARTS: Hinter dir hängt ja ein wirklich tolles „Rambo“-Poster und das ist ja eine schöne Verbindung zu „Sisu“. Denn deine Hauptfigur ist eine Art „finnischer Rambo“. Aber daneben hat mich dein Film stark an diverse Western erinnert, während die Einteilung in Kapitel und die dabei benutzte Schrift sofort Assoziationen an Quentin Tarantino weckt. War es von Anfang an dein Plan, verschiedene Vorbilder zu zitieren oder hat sich das einfach ergeben?
Jalmari Helander: Ich glaube, das ist ziemlich natürlich passiert. Ich war von „Rambo: First Blood“ so begeistert, als ich ihn das erste Mal als Kind gesehen habe. Und seitdem wollte ich Actionfilme drehen. Und die Western-Referenzen kann man natürlich nicht vermeiden, wenn du eine Hauptfigur hast, die auf einem Pferd durch eine offene Landschaft reitet.
Dieser Film verbindet so viele Dinge, die ich persönlich mag – einfach diese Art von stillem Kino, wo nicht so viel geredet wird, wo die Dinge gezeigt statt erklärt werden.
FILMSTARTS: Das Kino der 80er scheint dich auch jenseits von „Rambo“ besonders zu faszinieren. Schon dein vorheriger Film „Big Game“ erinnerte stark an 80er-Actionfilme – wie nun auch „Sisu“. Was begeistert dich so an dieser Zeit des Filmemachens?
Jalmari Helander: In erster Linie mein Alter. Das ist natürlich die Zeit, als ich Filme lieben gelernt habe und einfach alles geschaut habe. Aber es fühlt sich auch so an, als wären die 80er und auch die 90er gerade für den Actionfilm eine besondere Zeit gewesen. Ich vermisse diese Zeit des Filmemachens. Heute gibt es viel zu viele Superheldenfilme. Ich denke, wir sollten zu dieser Goldenen Zeit des Kinos zurückkehren.
Die Zeit nach "Big Game" war frustrierend!
FILMSTARTS: Dein vorheriger Film kam 2014 heraus und nach dem Dreh von „Big Game“ mit vielen Stars hier in Deutschland schien ein Hollywood-Film eigentlich der logische nächste Schritt. Stattdessen hast du nun ein so dreckiges – und ich meine das positiv – Biest von einem Film in deiner Heimat Finnland gedreht. Warum mussten wir darauf fast ein Jahrzehnt warten?
Jalmari Helander: Nach „Big Game“ hatte ich wirklich Probleme, was zu finden. Im Endeffekt mochte ich nichts, was ich in der Zeit geschrieben habe. Ich saß immer wieder einige Monate oder teilweise fast ein Jahr an einem Projekt, um dann zu entscheiden: „Das ist nicht gut genug. Ich muss was anderes machen!“ Und so habe ich immer wieder das Projekt geändert, was mit der Zeit wirklich frustrierend war, weil immer mehr Zeit verstrichen ist.
Einfach nur cool, endlich so richtig brutal sein zu dürfen
FILMSTARTS: Ein letztes Mal muss ich noch „Big Game“ erwähnen. Als ich den gesehen habe, hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass du dich bei der Gewaltdarstellung zurückhalten musstest. Und mit „Sisu“ konntest du nun nicht nur so richtig eintauchen, sondern es fühlt sich fast so, als würdest du ein wenig auch die fehlende Gewalt des Vorgängers kompensieren. Steckt in dieser Beobachtung ein Fünkchen Wahrheit?
Jalmari Helander: Oh, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viel Wahrheit darin steckt. Es war so cool, nicht mehr an ein PG-13-Rating gebunden zu sein und einfach den Scheiß zu machen, den ich machen will. Ich hatte dabei so viel Spaß und habe all die Dinge rausgehauen, die in mir brodelten. Ich fühle mich nach dem Film richtig entspannt. Das war eine gute Therapie für mich.
FILMSTARTS: Der Spaß ist zu spüren – gerade bei all den verschiedenen und kreativen Ideen, Nazis in die Luft zu sprengen oder auf andere Weise zu metzeln. Wie schwierig war es denn, so viele Wege zu finden, die wir nicht schon hundert Mal gesehen haben?
Jalmari Helander: Das war wirklich der schwierigste Teil bei der ganzen Arbeit an diesem Film. Ich wusste, dass ich innovativ sein musste, wenn ich aus den zahlreichen anderen Actionfilmen in der Welt herausstechen will. Ich habe darüber wirklich sehr viel nachgedacht.
Doch irgendwann war ich in der richtigen Gemütslage, sodass mir diese Ideen zugeflogen sind. Ich habe den Film dann in wenigen Monaten geschrieben. Ich saß hier in meinem Büro, draußen war es dunkel und ich war plötzlich einfach in der Stimmung, Nazis zu killen. Und dabei hatte ich dann richtig Spaß.
Die Unterwasser-Szene in "Sisu" ist Helanders Favorit – wirklich ein Must-See
FILMSTARTS: Hast du einen Favoriten unter deinen vielen Einfällen?
Jalmari Helander: Mein Highlight-Moment ist die Szene, wo er unter Wasser überleben muss. Ich erinnere mich genau, wie viel ich lachen musste, als ich die Idee hatte. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand so etwas zuvor gesehen hat.
FILMSTARTS: Wir haben viel über die Gewalt in „Sisu“ geredet, doch was mich sehr begeistert hat, ist wie du auch „Gier“ darstellst – vor allem die visuelle Inszenierung des Goldes ist ja schon besonders. Wie kam es zu diesem visuellen Stil? Was war dein Gedanke dahinter?
Jalmari Helander: Das ist wirklich eine schwere Frage, denn ich habe diese visuellen Ideen einfach in meinem Kopf. Ich weiß nicht genau, woher sie kommen. Wahrscheinlich kommen sie von all den vielen Filmen, die ich gesehen habe und sind einfach eine Kombination von allem. Aber ich weiß es wirklich nicht, es kommt einfach zu mir.
Darum ist Aksel Hennie der perfekte Nazi
FILMSTARTS: Du hast deine Stammdarsteller Jorma Tommila und seinen Sohn Onni wieder besetzt, aber arbeitest daneben zum ersten Mal mit Aksel Hennie. Wie kamst du auf ihn und warum passt er so perfekt auf den bösen Nazi?
Jalmari Helander: Ich liebe Aksels Arbeit seit ich „Headhunters“ gesehen habe. Als wir das erste Mal über dieses Projekt gesprochen haben, hat er direkt verstanden, was ich mit diesem Film vorhabe. Er hat nicht versucht, irgendwelche oberflächlichen Schichten auf seine Figur zu packen, um seine Rolle größer zu machen. Er hat erkannt, dass es eine einfache Story ist und wir einfache Dinge machen – dies aber so gut, wie es nur möglich ist. Ich hatte wirklich viel Spaß mit ihm. Es half natürlich auch sehr, dass Aksel mit seinen blauen Augen leider einfach wie ein Nazi ausschaut.
FILMSTARTS: So brutal und grausam „Sisu“ ist, so wunderschön sind einige der mit ihrer großen Weite an Western erinnernde Landschaftsaufnahmen. Wie wichtig war es dir, diese Seite deiner Heimat zu zeigen?
Jalmari Helander: Das war mir wirklich wichtig. Als ich anfing zu schreiben, wusste ich genau, wie der Film aussehen soll. Es sollte eine offene Landschaft ohne Bäume sein. Es sollte quasi keinen Platz zum Verstecken geben. Gleichzeitig erzeugt diese Weite eine Größe, der ganze Film schaut gleich größer aus – und die Menschen darin sind im Vergleich so klein. Es zeigt auch, wie allein sie in diesem Szenario sind. Es gibt keine Orte, an die man sich zwecks Hilfe wenden kann. Du bist allein mitten im Nirgendwo und musst mit diesen Problemen fertig werden. Das ist eine Art des Geschichtenerzählens, die ich liebe. Und dieser Teil Finnlands ist wohl der beste Ort, um solch einen Film zu drehen.
FILMSTARTS: Du sprichst es an, du hast diese Szenen ja wirklich vor Ort unter sicher ziemlich unwirtlichen und extremen Bedingungen gedreht. Was kannst du mir über die Herausforderungen dabei verraten?
Jalmari Helander: Ja, das war wirklich hart. Wir waren so tief im Norden Finnlands, dass es schon ein Kampf war, überhaupt alle Leute und alles Material an diesen Ort zu bringen. Dort war es jeden Tag so windig, dass uns der Sand um die Ohren geflogen ist und sich überall und ich meine wirklich überall festgesetzt hat. Und wegen des Windes konntest du schon auf zehn Meter Entfernung nichts mehr hören.
Aber gleichzeitig sieht dieser Wind großartig auf der Kamera aus und es hat mir so geholfen, dass ich mich die ganze Zeit lebendig gefühlt habe. Wie vorhin schon gesagt, war ich anfangs nicht entspannt. Ich hatte wirklich damit zu kämpfen, wieder einen Film zu machen. Doch wie alle in diesen harten Konditionen gemeinsam arbeiteten, hat mich belebt. Es ist nicht einfach, aber es macht meiner Ansicht nach einen besseren Film: Du musst die ganze Zeit innovativ sein, du musst schnell sein, du musst jede Sekunde hellwach sein, um überhaupt etwas zu schaffen.
Sci-Fi in Finnland? Action in Hollywood? Wir müssen nicht wieder 8 Jahre warten!
FILMSTARTS: Zum Abschluss muss ich dich natürlich fragen, ob wir wieder so lange auf deinen nächsten Film warten müssen oder ob du schon Details zu einem kommenden Projekt verraten kannst?
Jalmari Helander: Ich arbeite gerade an einem finnischen Science-Fiction-Film, den wir vielleicht sogar noch dieses Jahr drehen. Ich schreibe auch schon einen weiteren Actionfilm. Dazu habe ich ein paar Angebote aus Hollywood, mit denen ich mich beschäftige. Der nächste Film wird auf jeden Fall wieder etwas mit sehr viel Action, das kann ich dir genauso versprechen wie eine andere Sache: Es wird keine acht Jahre dauern!
"Sisu" - ab sofort im Kino!
„Sisu“ läuft wie gesagt ab sofort in den deutschen Kinos. Der Film ist unserer Meinung nach ein Must-See für alle Fans von harter Action – nicht nur die im Interview von Jalmari Helander angesprochene Unterwasser-Szene hat es in sich. Wenn ihr noch ausführlicher erfahren wollt, warum sich ein Kinobesuch lohnt, empfehlen wir euch unsere 4-Sterne-Kritik!