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    Streaming-Tipp mit FSK 18: Einer der verstörendsten & fiesesten Filme überhaupt – Quentin Tarantino liebt ihn!
    Daniel Fabian
    Daniel Fabian
    -Redakteur
    Kino aus aller Welt ist wie reisen, ohne vom Sofa aufzustehen. Fremde Kulturen und neue Sichtweisen – davon kann man nie genug haben.

    Er wurde in Cannes ausgezeichnet, in mehreren Ländern verboten und gilt bis heute als einer der berühmtesten Studentenfilme überhaupt – und kein Geringerer als Quentin Tarantino vergöttert ihn. Unser heutiger Streaming-Tipp: „Mann beißt Hund“.

    Ein Mann steht im Gang eines Zuges. Er schaut aus dem Fenster, macht schließlich Platz für eine junge Frau, die an ihm vorbei will – bevor er sie schließlich hinterrücks überfällt und erwürgt. Mit dieser wortlosen Eröffnungsszene schockierte „Mann beißt Hund“ 1992 das Publikum bei seiner Weltpremiere in Cannes und stellt auch heute noch in nur wenigen Momenten klar, dass man es hier mit einem Film zu tun hat, der seinem Publikum mit einer großen Portion Unvorhersehbarkeit begegnet und es so immer wieder auf die Probe stellt.

    Doch was mit einem Schlag in die Magengrube beginnt, wird schnell verdaut. Spätestens wenn der Mörder direkt im Anschluss bei der Leichenentsorgung beschreibt, warum er Tote in der Regel mit dem Dreifachen ihres Gewichts beschweren muss, um sie zu versenken – während das Verhältnis bei Kindern und vor allem „Zwergen“ anders berechnet werden muss (die haben schließlich schwerere Knochen!) –, enthüllt der Film sein wahres Gesicht – als bitterböse Mediensatire im Gewand eines Serienkiller-Thrillers, die nicht nur Tabus durchbricht, sondern auch das Nervenkostüm so mancher Zuschauer*innen.

    Ihr könnt „Mann beißt Hund“ aktuell im Channel Arthaus+ bei Amazon Prime Video*, den ihr kostenlos testen könnt, streamen – und nicht nur der Autor dieses Artikels kann eine uneingeschränkte Empfehlung abgeben, sondern auch Kult-Regisseur Quentin Tarantino, dessen Liebe für den Schocker hinlänglich bekannt ist und der dem Film einst sogar zu zusätzlichen Schlagzeilen verhalf, als er im Zuge der Cannes-Premiere ein Handgemenge anzettelte – und deswegen gar nicht mehr in den Saal gelassen wurde, als er den Film ein zweites Mal sehen wollte.

    Doch auch ohne das Zutun von Tarantino, der kurz darauf mit „Natural Born Killers“ (zu dem er die Geschichte beisteuerte) nicht ganz zufällig eine ähnliche Geschichte ins Kino brachte, schlugen Remy Belvaux, André Bonzel und Benoît Poelvoorde mit ihrem kontrovers diskutierten Studentenfilm hohe Wellen: „Mann beißt Hund“ gewann den Publikumspreis in Cannes, erhielt in den USA die äußerst seltene, höchste Altersfreigabe NC-17 und wurde in Ländern wie Schweden oder Irland sogar verboten – wodurch dem im Laufe der Zeit zum absoluten Kult-Klassiker aufgestiegenen Schwarz-Weiß-Film aber nur noch mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde.

    "Mann beißt Hund": Wir sind alle Voyeuristen ...

    Wenn man den heutigen Stellenwert von Reality-TV bedenkt, wirft dies ein völlig neues Licht auf den belgischen Kultfilm, in dem Dokumentarfilmer einen Serienkiller durch den Alltag begleiten. Die emotionale und emotionalisierende Manipulation mittels Fernsehen steckte in den frühen 90ern vergleichsweise in den Kinderschuhen, während uns heute geradezu mit der Brechstange eingebläut wird, wie wir uns wann zu fühlen haben. Oder wie im Falle von „Mann beißt Hund“ eben mit dem Strick, dem Revolver oder anderen Mordinstrumenten. Doch zu welchem Preis?

    Gehört nun mal zum Alltag eines Mörders dazu: Leichenentsorgung StudioCanal
    Gehört nun mal zum Alltag eines Mörders dazu: Leichenentsorgung

    Schaulust und Voyeurismus sind der Grundstein jener Faszination, die Menschen für das Leben anderer teilen. Unzählige TV-Formate, die die aktuelle Fernsehlandschaft prägen, fußen auf eben jener Neigung, andere zu beobachten, während man selbst stets anonym bleibt. In einer Zeit, in der es in vielen Lebensbereichen nur noch das eine oder das andere Extrem zu geben scheint, droht die einst so große Mitte ganz und gar in der Versenkung zu verschwinden. Es braucht mehr, immer mehr, um Menschen zu überraschen, zu schockieren oder wenigstens zu unterhalten.

    Sendungen wie „Schwiegertochter gesucht“ laden dazu ein, sich zu echauffieren, sich zu belustigen oder mit den Protagonisten mitzuleiden – wenigstens bis zur nächsten Werbeunterbrechung, in der man endlich aufatmen kann, weil es einem selbst ja doch besser ergeht. Dass Leid aber nicht nur auf fragwürdige Weise veranschaulicht wird, sondern gar von Grund auf inszeniert (wie Jan Böhmermann vor einigen Jahren im NEO MAGAZIN ROYALE enthüllte), ist noch viel erschreckender und schockierender, als es „Mann beißt Hund“ je sein könnte. Hier haben wir es schließlich nicht mit einer überspitzten Nachstellung des Lebens zu tun, die einen skeptischen Blick in eine mögliche Zukunft wirft, sondern mit dem Leben selbst – im Hier und Jetzt.

    … bis wir zu Komplizen werden

    Wo Kino-Klassiker wie „Das Fenster zum Hof“ oder „Augen der Angst - Peeping Tom“ Voyeurismus noch als Antrieb für klassisches Spannungskino nutzten, geht „Mann beißt Hund“ noch einen Schritt weiter: Denn in dem dokumentarisch gedrehten Film verschwimmen nicht nur Fiktion und Realität, sondern zunehmend auch die Rollen von Täter und Opfer.

    Die verstörendsten Filme aller Zeiten

    Die meisterhafte Gratwanderung hierin besteht, dass der von Benoît Poelvoorde gespielte Killer einerseits als perfides, brutales Scheusal inszeniert wird, das zu den schrecklichsten Dingen – ob nun Vergewaltigung oder Kindsmord – fähig ist, während man ihn gleichzeitig zum Brüllen komisch findet. Denn er geht nicht einfach nur willkürlich auf die Jagd, sondern erklärt dabei ebenso schlagfertig wie souverän, warum er sich beispielsweise zum Anfang des Monats immer erst mal einen Briefträger „gönnt“. Und wenn er auf eine Frau trifft, die offensichtlich Herztabletten nimmt? Dann verzichtet er auch gerne mal darauf, seine Knarre abzufeuern – und erschreckt die gute Frau einfach zu Tode. Denn nur weil er gerne tötet, heißt das ja noch lange nicht, dass er nichts von Nachhaltigkeit hält – und sich nicht auch mal eine Kugel spart, wenn er kann!

    „Mann beißt Hund“ strotzt vor solchen schonungslos-brutal inszenierten Momenten, die in ihrer Absurdität einfach nur saulustig sind, bis einem das Lachen direkt wieder im Halse stecken bleibt. Denn der Killer schlägt nicht nur das Filmteam, das ihn begleitet, nach und nach auf seine Seite und beteiligt die Crew so etwa an seiner Beute, er wickelt auch das Publikum gnadenlos um den Finger – während seine rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Äußerungen immer drastischer, seine Gräueltaten immer grausamer werden.

    So beginnt die eigene Wahrnehmung mehr und mehr zu verwischen. Man bekommt kaum mit, wie man selbst gewissermaßen vom Zeugen zum Mittäter wird, dessen Sensationsgier letztlich zum Katalysator des Grauens wird – und weiteres Blutvergießen regelrecht einfordert. Allein der Unterhaltung willen.

    Denn ob nun mit dem Kauf einer Kinokarte, dem Klick auf einer Streamingplattform oder der Zeit, die wir auf diesem oder jenem TV-Sender verbringen: Am Ende haben wir es in der Hand, wie wir unsere Zeit verbringen wollen – und sollten uns dabei stets bewusst sein, dass wir damit direkten Einfluss darauf haben, was uns in Zukunft noch so serviert wird...

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