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    Tipp: Viele Jahre verschollen geglaubter Klassiker des deutschen Kinos feiert historische Heimkino-Premiere
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Er findet Streaming zwar praktisch, eine echte Sammlung kann es für ihn aber nicht ersetzen: Was im eigenen Regal steht, ist sicher vor Internet-Blackouts, auslaufenden Lizenzverträgen und nachträglichen Schnitten.

    Erzählt wie ein dramatischer Traum in der Ästhetik des Deutschen Expressionismus: „Phantom“ ist ein Kleinod des frühen deutschen Kinos, galt jedoch lange als verschollen. Nun feiert er endlich aufwändig restauriert seine deutsche HD-Premiere.

    B-Spree Classics / UCM.ONE

    +++ Meinung +++

    Eine Prise Fantasy, eine gute Dosis Psychodrama und hoch atmosphärischer Stilwille: Phantom“ ist eines der Paradebeispiele dafür, wie intensiv das Kino Traumlogik einfangen kann. Doch lange Zeit war der Film selbst ein Phantom. Denn jahrzehntelang ließ sich nicht eine einzige Kopie des Klassikers des Deutschen Expressionismus auftreiben – ein trauriges Schicksal, das erschreckend viele Filme ereilt. Glücklicherweise hatte die Suche nach „Phantom“ ein Happy End: In einem Moskauer Archiv wurde eine Kopie entdeckt, die daraufhin aufwändig restauriert wurde.

    2007 lief diese Fassung auf arte, im Folgejahr wurde eine weitere Kopie in Chile gefunden, die neue Erkenntnisse für eine akkurate Rekonstruktion zuließ. 2013 feierte die verbesserte Restauration des Films von „Nosferatu“-Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau ihre Weltpremiere. Nun findet der Klassiker in dieser Form endlich den Weg ins Heimkino: Am 18. November 2022 feiert „Phantom“ als limitiertes Mediabook seine deutsche HD-Premiere – nahezu exakt 100 Jahre nach seiner Uraufführung!

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    Enthalten ist „Phantom“ in der 2013er-Restauration, die von der Kopie des Bundesfilmarchivs abgetastet wurde, auf Blu-ray sowie auf DVD. Darüber hinaus befindet sich im Mediabook ein 24-seitiges Booklet über die bewegte Historie der Adaption eines gleichnamigen Romans* von Gerhart Hauptmann.

    "Phantom": Ein soghafter Traum der Sehnsucht

    Lorenz Lubota (Alfred Abel) ist Stadtschreiber und Leseratte, wäre aber gerne Lyriker von Rang und Namen. Eines Tages fährt ihn ein Schimmelgespann an. Er verliebt sich unsterblich in dessen Fahrerin: Veronika Harlan, die Tochter eines reichen Eisenwarenhändlers. Trotz seiner Bemühungen kann Lorenz kein Liebesglück mit Veronika heraufbeschwören. Als er in einem Weinlokal versackt, begegnet ihm die mysteriöse Melitta (Lya De Putti), die große Ähnlichkeit mit Veronika aufweist. Es könnte ein Neubeginn für Lorenz werden, doch das „Phantom“ Veronikas verfolgt ihn...

    Murnau erschuf mehrere Klassiker, die für ihre tiefreichenden Bildwelten bekannt sind. Jedoch zeigt „Phantom“, dass er sein markantes Auge auch auf kleinere Stoffe zu werfen vermochte: Der Film musste mit niedrigem Budget umgesetzt werden, was der Regisseur gewieft zu seinem Vorteil nutzte. Er versetzt sein Publikum in Lorenz' Schuhe, und somit in die Perspektive eines Protagonisten, dessen Obsession und in ein Delirium gleitende Wahrnehmung formidabel durch klaustrophobische Bilder ausgedrückt wird.

    Den wirtschaftlichen Beschränkungen zum Trotz ist „Phantom“ ein mit Detailliebe und durchdachter Trickserei glänzender Film des Meister-Regisseurs, der seine Vision durch aufwändige Modellbauten und clever eingesetzte Rotationsplattformen zum Leben erweckt. Murnaus Vision ist subtiler als die Romanvorlage, braucht jedoch auch ein wenig, um in Gang zu kommen. Sobald sich der stilvoll eingefädelte Reigen allerdings erst einmal entfaltet, entsteht ein hypnotisches Tauziehen.

    Auf der einen Seite steht ein verwunderlich-paradoxer Protagonist, der zugleich getrieben und wie gelähmt ist, auf der anderen die ihn überfordernde Frauenwelt. Dazwischen tummeln sich Einbildungen, Doppelgänger und die betörenden, dramatischen sowie geisterhaften Folgen verschwimmender Erinnerungen.

    Heimkino-Tipp: Über 8 (!) Stunden Skandal-Unterhaltung von einer kontroversen Kinolegende auf einen Schlag

    Das Drehbuch zu „Phantom“ stammt von einer weiteren Legende des frühen deutschen Kinos: Thea von Harbou, ein Multitalent, das auch als Romanautorin, Regisseurin und Schauspielerin tätig war. Sie verfasste unter anderem das Drehbuch zum Science-Fiction-MeilensteinMetropolis“* sowie dessen Romanvorlage*, darüber hinaus schrieb sie das Skript zum Krimiklassiker „Das Testament des Dr. Mabuse“*. Während der NS-Zeit betätigte sie sich im vom Regime gleichgeschalteten Verband deutscher Tonfilmautoren, was sie zu einer kontroversen Personalie in der deutschen Filmgeschichte macht.

    Gemeinsam mit Murnau schuf sie in „Phantom“ jedoch eine Erzählung, die neben ihrer sehnsuchtsvollen Imitation von Traumlogik und dem Psychogramm eines abstürzenden Hobby-Poeten auch Kritik an sozialer Kälte übt. Interessantes Kuriosum: Murnau drehte „Phantom“ nicht aus einem eigenen kreativen Impuls heraus – der Film war ein Beitrag der Filmindustrie zum 60. Geburtstag Hauptmanns.

    Begleitet wurden die Festlichkeiten von Theateraufführungen und Festakten in der gesamten Republik sowie von der Veröffentlichung einer zwölfbändigen Gesamtausgabe. Das deutsche Kino wollte sich mit „Phantom“ an dem Hauptmann-Reigen beteiligen. Der einflussreiche Schriftsteller würdigte dies wiederum mit einem kurzen Gastauftritt im Film und einer Lobeshymne auf die Magie des Kinos im „Phantom“-Programmheft.

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