+++ Meinung +++
„Menace II Society“ – in Deutschland auch unter dem Titel „Die Straßenkämpfer“ bekannt – ist das fulminante Regie-Debüt der Zwillingsbrüder Allen und Albert Hughes aus dem Jahr 1993. Ihr Amerika ist nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern das der Zurückgelassenen und Hoffnungslosen. Die hier thematisierte unterprivilegierte schwarze Bevölkerung kann den rauen Gesetzmäßigkeiten ihres ghettogleichen Stadtteils nicht entkommen. Dass ein Teil dieser Menschen auf die schiefe Bahn gerät, ist nur die logische Konsequenz.
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Das Ghetto vergisst nie!
Der 18-jährige Caine (Tyrin Turner) ist in einem verarmten Stadtteil von South Central Los Angeles aufgewachsen. Ohne eine echte Perspektive machen er und sein Kumpel O-Dog (Larenz Tate) die Gegend unsicher. Neben den täglichen Drogendeals und Diebstählen ereignet sich sogar ein Doppelmord, als O-Dog einen asiatischen Ladenbesitzer und dessen Frau kaltblütig erschießt. Erst seine Beziehung mit der alleinerziehenden Mutter Ronnie (Jada Pinkett) bewirkt bei Caine ein Umdenken. Doch als er plant, dem Problemviertel mitsamt seiner neuen Familie für immer den Rücken zu kehren, wird der Teenager von seiner gewalttätigen Vergangenheit gnadenlos eingeholt…
Die Gewalt in die Wiege gelegt
Die Bewohner des Ghettos kämpfen in ihrem eigenen Kosmos um das nackte Überleben, weit weg von der wohlbehüteten, überwiegend weißen Mittelschicht der USA. Dass die Protagonisten schon früh mit Gewalt konfrontiert werden, zeigt sehr anschaulich eine Kindheitserinnerung der Hauptfigur Cain. In einem Rückblick erschießt sein Vater (ganz schön böse: Samuel L. Jackson) während einer Kartenrunde in seinen eigenen vier Wänden einen wehrlos am Tisch sitzenden Mitspieler – nur weil sich dieser weigert, seine Schulden zu bezahlen.
Während die Hauptfigur Caine eine Entwicklung durchlebt – angetrieben durch seine Liebe zu der verantwortungsbewussten Ronnie und das Verlangen nach einer besseren Welt, ist O-Dog ein hoffnungsloser Fall. Er vertickt nicht nur die Drogen, sondern konsumiert sie auch. Der Mord an dem asiatischen Ehepaar, bei dem der Mann lediglich O-Dogs Beleidigungen kontert und sich dafür umgehend eine Kugel einfängt, machen schon zu Beginn des Films deutlich, dass Caines bester Freund jegliche Moralvorstellungen längst über Bord geworfen hat.
Als Zuschauer hat man es bei der Suche nach der geeigneten Identifikationsfigur gar nicht so leicht – schließlich ist auch Caine trotz seines Willens zum Wandel schwer kriminell. Und so sehr sich Caine auch bemüht, dem Elend des Viertels ein Schnippchen zu schlagen – das tragische Ende ist vorprogrammiert. Besonders erschütternd: Die eigentliche Gefahr kommt nicht etwa von außen wie in Form von rassistischen Cops, die in „Menace II Society“ nur Beiwerk sind, sondern aus der Mitte der eigenen Community.
Das New Black Cinema und seine Früchte
„Menace II Society“ ist in Bezug auf den Schauplatz und die Problemstellung nicht der erste Film seiner Art. Vielmehr steht er in der Tradition des New Black Cinema. Ein Genre, in dem afroamerikanische Filmemacher die eigene Perspektive sprechen lassen, um der eindimensionalen Darstellung von Schwarzen im Hollywood-Mainstream etwas entgegenzusetzen.
So setzte sich Regisseur John Singleton in seinem mehrfach ausgezeichneten Ghetto-Drama „Boyz N The Hood“ bereits zwei Jahre zuvor mit der Ausweglosigkeit der Situation schwarzer Jugendlicher in South Central LA auseinander. Doch während sich im Finale von „Boyz N The Hood“ ein Hoffnungsschimmer am Horizont abzeichnet, hinterlässt „Menace II Society“ einen bitteren Nachgeschmack. Der aber regt zum Nachdenken über ein gesellschaftliches Problem an, das auch fast 30 Jahre nach der Veröffentlichung des Films nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Krasser Slang & cooler Soundtrack
Trotz der thematischen Brisanz von „Menace II Society“ ist der Inszenierung ein gewisser Coolnessfaktor einfach nicht abzusprechen. Der eindringliche Hip-Hop-Score von namhaften Interpreten wie Ice Cube und Too Short (der zudem in einer Nebenrolle zu sehen ist) sowie die lockeren Mundwerke der Figuren mit ihrer inflationären Verwendung von Schimpfwörtern haben damals schnell die Runde unter Filmfans gemacht – zumindest im Freundeskreis des Autors dieses Streaming-Tipps.
"Menace II Society" bei Amazon Prime Video
Wer die Sichtung der 90er-Jahre-Videotheken-Perle nachholen oder seine Jugenderinnerung auffrischen möchte, kann „Menace II Society“ jetzt als Amazon-Prime-Mitglied ohne Zusatzkosten streamen. Den Link dazu findet ihr oben im Artikel. Zudem ist der Film bei Amazon als DVD erhältlich. Der minimal längere Director’s Cut, in dem einige zuvor entfernte Gewaltspitzen wieder enthalten sind, ist abgesehen von inoffiziellen Bootlegs noch nicht in einer deutschen Fassung erhältlich.
Dies ist eine Wiederveröffentlichung eines bereits auf FILMSTARTS erschienenen Artikels.
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