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    Face/Off - Im Körper des Feindes
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Face/Off - Im Körper des Feindes
    Von Martin Soyka

    Nachdem Hongkong-Action-Virtuose John Woo bei seinen ersten Hollywood-Versuchen „Harte Ziele" und „Operation: Broken Arrow" noch nicht zu seiner Form gefunden hatte, erfüllt er mit „Face/Off" (dt. „Im Körper des Feindes") endlich alle Erwartungen: Der Action-Thriller ist heroic bloodshed in Vollendung. Für Hollywood-Verhältnisse ist der Actioner ein kleiner Meilenstein.

    Sean Archer (John Travolta) steht unter Strom. In der Stadt soll sich der Mega-Terrorist Castor Troy (Nicolas Cage) herumtreiben und wo der ist, steht bekanntlich bald kein Stein mehr auf dem anderen. Archer ist Leiter einer Anti-Terror-Einheit, die „so geheim ist, dass kein Schwein sie kennt", und sein Interesse an Troy ist nicht nur beruflich bedingt: Bei einem früheren Mordanschlag Troys auf Archer musste Archers junger Sohn sein Leben lassen. Und mit jedem Blick Archers ahnt man mehr, der Mann hätte sofort mit seinem Sohn getauscht. Am Rande der Hysterie jagt Archer den Terroristen, zieht ihn praktisch aus seinem startenden Flugzeug und liefert sich mit ihm einen irren Showdown, bei dem Troy so stark verletzt wird, dass er ins Koma fällt. Doch womit sich ein durchschnittlicher Actionfilm begnügt hätte, wird in „Face/Off" nur als Exposition genutzt. Denn das eigentliche Problem ist: Vor seinem Koma hatte Troy in Los Angeles eine riesige Zeitbombe platziert, nur weiß niemand wo. Bis auf einen: Castor Troys Bruder Pollux, der mittlerweile im Gefängnis sitzt. Und der ist seinem Bruder bis zum Rande der Hörigkeit ergeben. Um ihn zu überlisten und zur Preisgabe des Versteckes zu bewegen, lässt sich Archer auf ein wahres Himmelfahrtskommando ein: Er lässt sich chirurgisch verändern und schlüpft buchstäblich in Troys Haut. Die Infiltrierung gelingt, Pollux wird getäuscht, aber bevor er das Versteck der Bombe verraten kann, erwacht Castor aus seinem Koma und lässt sich nun Archers Gesichtshaut aufoperieren. Und tötet alle Mitwisser. Der Rollentausch ist vollzogen. Kalt lächelnd besucht Troy (jetzt: Travolta) den inhaftierten Archer (nun: Cage) im Gefängnis. Und der muss nun notgedrungen vollends in die Rolle des verhassten Outlaws schlüpfen: Archer plant seine Flucht...

    Zugegeben, die Ausgangssituation ist schwer zu schlucken. Travolta und Cage sind unterschiedlich groß, haben nicht wirklich die gleiche Haarfarbe (vom Körpergewicht und Statur ganz zu schweigen) und dass mehr nötig ist als die lose aufliegende Gesichtshaut, um das äußere Erscheinungsbild anzunehmen, dürfte jedem einleuchten - zumal es trotz unterschiedlicher Blutgruppen nicht zu Abstoßungsreaktionen zu kommen scheint. Hat man sich aber erst einmal dazu durchgerungen, die Möglichkeit eines kompletten Identitätentauschs zu akzeptieren, eröffnet sich ein ungeheuer intelligentes, manchmal sogar stilles Thriller-Drama um Schuld, Sühne und Familie, das in seiner emotionalen Wucht seinesgleichen sucht.

    Symmetrie. Dieses Wort ist am ehesten geeignet, um die clevere und bewegende Geschichte zu beschreiben. Symmetrische Bildaufteilung ist ein beliebtes Mittel der Bildgestaltung (siehe Kubricks Shining). „Face/Off" beweist, dass auch bei der Geschichtserzählung ein symmetrischer Aufbau zu bemerkenswerten Ergebnissen führen kann: Protagonist und Antagonist verlieren jeweils durch die Hand des anderen ein geliebtes Familienmitglied. Beide schlüpfen unerkannt in die Identität des anderen. Beide haben einen Sohn. Beide sind vom Leben des jeweils anderen zunächst angeekelt, gewinnen der Situation dann aber doch etwas ab. Beide haben Frauen, denen sie entfremdet sind. Beide finden dennoch Trost bei der Frau des jeweils anderen (Joan Allen, Gina Gershon). Und für beide geht es um mehr als nur um Gut und Böse oder Leben und Tod. Die Todfeindschaft der beiden geht weit über normale Held-Schurke-Situationen hinaus. Sie hassen sich bis aufs Blut und würden den anderen sofort ohne mit der Wimper zu zucken zu seinen Ahnen schicken. Und der Hass beider wirkt auf seine Weise richtig und gerecht. Und wenn man auch glauben mag, dass der Schurke dem Helden etwas weggenommen hat, was er niemals ersetzen kann, wird man in Schlussszene eines Besseren belehrt. Archer kehrt mit der gerechten Beute von der Schlacht zurück: In geradezu archaischer Weise wird er den Sohn des getöteten Gegners als seinen eigenen aufziehen. Und die erzählerische Symmetrie wird dann auch bei der ersten bewaffneten Konfrontation ins Fotografische übernommen. Beide Gegner stehen Rücken an Rücken, getrennt nur durch einen riesigen Spiegel, wechseln ein paar Sätze und wenden sich dann spontan mit gezückten Waffen um, um auf das eigene Spiegelbild zu zielen, aber den anderen zu treffen.

    Für die Schauspieler Cage und Travolta bietet sich eine einmalige Chance: Im selben Film die Rollen zu wechseln, sowohl Held als auch Schurken zu mimen. Die Herangehensweise, um beim Zuschauer diesen Rollenwechsel möglichst plausibel zu machen, heißt konsequentes Overacting. Travolta zeigt seinen Schmerz, seine Wut, seine Trauer anfangs in ebenso übertriebener Weise wie Cage den Soziopathen gibt. Der Bösewicht wird geradezu zum Antichristen stilisiert, wenn er die todbringende Bombe im Priesterkostüm bestückt und das heilige Gewand anschließend bei sexuellen Annäherungsversuchen gleichsam besudelt. Da wird lasziv getanzt und fröhlich jedem noch jugendfreien Sexismus gefröhnt („Lass es mich so formulieren: Würdest du gerne an meiner Zunge lutschen?"), um einen möglichst großen Kontrast zu schaffen. Es ist reizvoll anzusehen, wie die Schauspieler die erst Manierismen und ihre Figuren dann das ganze Leben des jeweils anderen übernehmen. Archer wird unter Drogen gesetzt und benimmt sich plötzlich genauso gestört wie Troy und Troy befürchtet angesichts der spießigen Wohngegend von Archers Haus „nie wieder einen hochzubekommen", frönt aber dann doch bald den Freuden des Ehebetts. Und auch dass das Gut-Böse-Schema durchbrochen wird, hebt die Qualität es Films. Besonders wenn Troy (Travolta) Archers Tochter vor einem allzu zudringlichen Verehrer schützt, ihr ein Butterfly-Messer in die Hand drückt und sie einweist, wie man es am effektivsten benutzt, beginnt der Zuschauer, Sympathien für den Schurken zu entwickeln. Ein Bösewicht, der die Tochter des Feindes als seine annimmt (eine weitere Symmetrie des Films), kann so böse nicht sein. Dass eben dieses Messer später in seinem eigenen Bein landen wird, ist poetische Gerechtigkeit und Ironie zugleich.

    Kaum ein Regisseur hat eine so konsequente und sofort wieder zu erkennende Handschrift wie John Woo. Dieser hatte sich mit Meisterwerken wie „Hard Boiled", The Killer und A Better Tomorrow den Ruf als einen der besten Action-Regisseure weltweit erfilmt, und zwar bevor er dem Ruf Hollywoods folgte. Zu seinem Markenzeichen gehören der exzessive Einsatz von Zeitlupe und verlangsamter Zeitlupe, speziell bei Schusswechseln, und dass beim Showdown, vor dem regelmäßig weiße Tauben durchs Bild schweben, mindestens zweihundert Männer vor ihren Schöpfer treten. Typisch für Woo ist auch, dass Motivation und Auslöser für das Geschehen nicht Liebe ist (Ausnahme insoweit lediglich Mission: Impossible 2), sondern Familie, Pflicht und Schuld, was auf das Unter-Genre des heroic bloodsheds prägend gewirkt hat. Die Konfrontationen in Woos Filmen wirken immer unausweichlich und bis in bitterster Konsequenz zu Ende geführt. Die Action wird damit tatsächlich zum integralen Bestandteil des Erzählens und wirkt nicht aufgesetzt, mag sie auch immer fulminant umgesetzt sein. Für asiatische Regisseure bedeutet das Arbeiten für einen Hollywood-Film immer eine gewaltige Umstellung. Gilt in Asien, speziell in Hongkong, für das Drehen von Filmen die Regel „zwei Tage für die Dialoge, zwei Wochen für die Action", wird diese Regel gemeinhin in Amerika umgedreht. Daran und an der Tatsache, dass es bis zu „Face/Off" an geeigneten Drehbücher fehlte, mag es liegen, dass die beiden Vorgängerwerke nicht die sehr hohen Erwartungen der Fans erfüllen konnten. Nun rückt der Meister aber das eigene Bild wieder zurecht. „The Biggest Action Movie Ever" wurde "Face/Off" zuweilen genannt. Das mag zwar übertrieben sein (dieses Prädikat dürfte nach wie vor Terminator 2 tragen), richtig ist aber, dass der Film qualitativ meilenweit über einschlägigen Vergleichsprodukten steht, und das vor allem, weil der Zuschauer tatsächlich mit den Figuren zittert und leidet, was auch an der gelungenen musikalischen Untermalung liegt.

    Schwächer im Vergleich mit der Wucht des restlichen Films wirkt allenfalls der finale Showdown, der auf und neben Motorbooten ausgetragen wird, in Anbetracht des hohen Bodycounts des Restes des Films ist dies aber zu verschmerzen. Dramaturgisch macht er ohnehin Sinn, denn alles ist auf den Konflikt Archer/Troy zugeschnitten und dem wird ein Kampf mano-a-mano am besten gerecht. Nach „Face/Off" hat John Woo nie wieder zu seiner Form zurückgefunden. Zwar war das Tom-Cruise-Vehikel „Mission: Impossible 2" ein großer Erfolg, jedoch trug der Film nur noch optisch die Handschrift des Regisseurs, was angeblich an der Kontrollwut des Produzenten/Hauptdarstellers gelegen haben soll. Zwar durchaus unterhaltsam, erreicht er die inhaltliche und emotionale Klasse von „Face/Off" nicht. Gleiches gilt für die Nachfolger Windtalkers und Paycheck.

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