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    The Wrestler
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Wrestler
    Von Christian Horn

    Neben David Fincher (Zodiac), Steven Soderbergh (Traffic), Christopher Nolan (Memento) und einer Handvoll Anderer zählt auch Darren Aronofsky zu dem, was man provisorisch „New New Hollywood" nennt. Dieser Begriff bezeichnet eine neue Generation von Regisseuren, die sich innerhalb des Hollywood-Systems eine eigene Handschrift bewahren und eigenwillige Stoffe verfilmen. Schon mit seinem Erstling Pi sorgte Aronofsky 1998 auf dem Sundance Festival für Furore. Es folgten der extravagante Drogenthriller Requiem For A Dream und der philosophisch-prätentiöse The Fountain. Bei allen drei Filmen war es vor allem die äußere Form, die eigenwillige und packende Ästhetik, die begeisterte. Mit dem Drama „The Wrestler" erreicht Aronofskys Filmographie nun eine neue Qualität. Im Vordergrund stehen diesmal keine optischen Raffinessen, sondern eine mit Sorgfalt gezeichnete Figur sowie eine einfühlsam und unaufgeregt erzählte Geschichte. Zu Recht – wenn auch ein wenig der schwachen Konkurrenz geschuldet – hat „The Wrestler" deshalb in Venedig den Goldenen Löwen gewonnen. Und das, nachdem Aronofsky an gleicher Stätte vor zwei Jahren bei der Premiere von „The Fountain" überwiegend Buh-Rufe erntete und - mit den Worten von Mickey Rourke gesprochen - „auf den Arsch gefallen" war.

    „The Wrestler" handelt vom Schicksal des abgehalfterten Profi-Wrestlers Randy „The Ram" Robinson (fabelhaft: Mickey Rourke, Johnny Handsome, Sin City). Dieser hatte seine großen Zeiten in den Achtzigern und ist mittlerweile das, was man landläufig ein Wrack nennt: Seine Augen werden schlechter, er braucht ein Hörgerät und ist ziemlich schnell aus der Puste. Auf einer veralteten Nintendo-Konsole spielt er in einem Wrestling-Game sich selbst; dem Nachbarsjungen ist das Spiel hingegen zu öde – ein eindrückliches Bild dafür, dass Randys Erfolg vorblichen ist. Mit Anabolika und anderen Aufputschmitteln hält er sich halbwegs fit, um im Ring weiterhin spektakuläre Shows abliefern zu können. Eines Tages ist es dann soweit: Nach einem besonders blutigen Schaukampf (mit Stacheldraht und Glasscherben) bricht Randy kotzend zusammen: Herzinfarkt. Im Krankenhaus legt der Arzt ihm dringend nahe, den Ring nie wieder zu besteigen, wenn er noch eine Weile weiterleben möchte. Damit beginnt das Drama: Randy ist alleine, lebt in einem Wohnwagen und weiß nichts mit seinem Leben anzufangen. Seine einzige Vertraute ist die Stripperin Cassidy (Marisa Tomei), in die er sich verliebt. Doch Cassidy hat einen Grundsatz: Sie fängt nie etwas mit einem Kunden an. Zu seiner Tochter Stephanie (Evan Rachel Wood), die er sein Leben lang vernachlässigt hat, versucht Randy ebenfalls wieder Kontakt aufzunehmen, aber auch an dieser Front läuft es nicht rund. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mit demütigenden Autogrammstunden und einem Job an der Wursttheke eines Supermarktes. Einen Ausweg aus dieser fundamentalen Lebenskrise scheint es nicht zu geben, zu schmerzhaft ist die Erkenntnis, dass die ruhmvollen Tage vorbei sind...

    Aronofskys Werk bleibt immer ganz dicht bei seinem Protagonisten. Es gibt keine Szene ohne Mickey Rourke, der ganze Film wird aus seiner Perspektive erzählt. Immer wieder folgt ihm die dokumentarisch anmutende Handkamera und Rourke nimmt den Zuschauer sozusagen mit in seine Welt, lässt sich über die Schulter blicken. Der Stil ist dabei – für Aronofsky ungewöhnlich – absolut schnörkellos und gesetzt; selbst in den Wrestlingszenen gibt es keinerlei unnötige Spielereien. Lediglich der Comic-ähnliche Vorspann erinnert noch an die optischen Extravaganzen des Regisseurs. Trotz der reduzierten Ästhetik wird es auf der Bildebene aber nie langweilig: Kameramann Maryse Alberti versteht es, aus wenig viel zu machen – etwa, indem die Kamera die Figuren umkreist und so einen zwar mit einfachsten Mitteln umgesetzten, aber dafür umso wirkungsvolleren Effekt erzeugt.

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    Ganz stark spürt man Aronofskys Handschrift indes beim „dick auftragen". Dem schlichten Stil widerläufig macht der Regisseur auf der Plotebene (und damit verbunden bei der Figurenzeichnung) vieles allzu deutlich. Dass Randy abgehalftert ist und sich nach den guten alten Zeiten sehnt, wird derart exponiert, dass selbst ein Blinder mit Krückstock darauf stoßen würde. Derlei Überzeichnungen finden sich in schöner Regelmäßigkeit: Sei es in Bezug auf die Vater-Tochter-Beziehung oder im Zusammenhang mit Randys neuem Job als Fleischwarenverkäufer, immer wieder macht Aronofsky überdeutlich, was er kommuniziert wissen will. Leider wird dem Betrachter damit ein wenig der Freiraum zum eigenständigen Reflektieren genommen. Andererseits erreicht „The Wrestler" gerade dadurch eine bemerkenswerte Klarheit.

    Die Handschrift von Darren Aronofsky zeigt sich ebenfalls in der brutalen Konsequenz, mit der er seinen Protagonisten in den Abgrund reißt. Eine Konsequenz, die auch schon „Requiem For A Dream" so schockierend machte. Dennoch blitzt in „The Wrestler" auch Mitgefühl für die Figuren auf. War die artifizielle Form der anderen Aronofsky-Filme noch eine Art Vorhang, der sich zwischen die Figuren und den Zuschauer schob, bleibt in „The Wrestler" Platz für ungekünstelte Emotionen. Zum ersten Mal beweist Aronofsky, dass er seine Figuren nicht nur wie in einem Aquarium vorführen und kalt sezieren kann. Trotz Mitgefühl nutzt der Regisseur aber auch bittere Ironie, um seinen Protagonisten auszuloten: Etwa, wenn auf der Tonebene tosende Jubelschreie ertönen, als Randy seinen Dienst an der Wursttheke antritt. Jedoch gewinnen weder die zarten Gefühle noch die distanzierende Ironie je die Oberhand übereinander. Ermöglicht wird das auch durch das überragende Schauspiel von Mickey Rourke und Marisa Tomei (Tödliche Entscheidung – Before The Devil Knows You're Dead, Was Frauen wollen). Ersterem kauft man sein müdes, ausgelaugtes Auftreten jederzeit ab; nie wirkt Rourkes Darstellung übertrieben: Mit seinen langen blondierten Haaren und dem geschundenen Körper weiß er in jeder Minute zu überzeugen und trägt so ganz wesentlich zum Gelingen des Films bei.

    Nach seinem „The Fountain"-Debakel meldet sich Darren Aronofsky mit „The Wrestler" eindrucksvoll zurück. Ihm ist ein präzises, stilles, aber dennoch wuchtiges Drama gelungen, das ein außergewöhnliches Milieu skizziert. Es scheint fast, als ob Aronofsky als Filmemacher erwachsen geworden sei. Auf weitere Filme des Regisseurs darf man definitiv gespannt sein.

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