Nachdem Regisseur Ridley Scott mit visionären Meisterwerken wie Alien und Blade Runner in der Filmwelt für Aufsehen gesorgt hatte, legte er 1992 mit „1492 - Die Eroberung des Paradieses“ die etwas naiv wirkende, aber ansprechend aussehende Verfilmung der Geschichte des Christoph Columbus vor.
Eigentlich will Christoph Columbus (Gérard Depardieu) nur eine Abkürzung nach Indien nehmen. Anstatt dessen dauert die Seereise länger als erwartet. Seine Mannen drohen mit Meuterei. Als sie endlich Land erreichen, ist es nicht Indien, sondern eine unbekannte Insel. Columbus glaubt, das Paradies entdeckt zu haben. Doch die idyllische Fassade bröckelt rasch. Gewalt und Ausbeutung erschüttern das neu entdeckte Eiland und Columbus fällt am spanischen Hof in Ungnade…
Kitschige Bilder, ein pathetischer Grundton und am Mythos des Columbus wird fleißig gewerkelt, nicht gekratzt: So lässt sich Ridley Scotts Variante der altbekannten Entdeckergeschichte grob umreißen. Das kann der moderne, aufgeklärte Betrachter kritisch sehen, zumal auf die so genannte Eroberung des Paradieses einige Völkermorde folgten. Aus diesem Grund versucht es „1492“ auch mit einigen kritischen Zwischentönen, wobei die Person des Columbus stets als Idealist mit allerbesten Absichten stilisiert wird. Desweiteren fallen einige Geschichtsglättungen zu Gunsten der Filmdramaturgie auf. Der Blick von „1492“ auf die Eroberung wirkt verklärt. Warum das allerdings nicht sehr schlimm ist, liegt gerade am pathetischen und mystifizierenden Ton des Films.
„1492“ erzählt die Geschichte als einen Traum von der Entdeckung des Paradieses in einem düsteren Zeitalter. Columbus lebt als Identifikationsfigur für den Zuschauer diesen Traum, als er per Zufall auf südamerikanische Inseln stößt. Doch er muss erkennen, dass die edelsten Motive gegenüber Gier und Machthunger nicht bestehen können. In diesem Sinne gelingt Drehbuchautorin Roselyne Bosch und Regisseur Ridley Scott eine ordentliche Parabel über die menschliche Natur; erzählerisch und inszenatorisch bewusst als Legende gestrickt, aus der Sicht eines - nach Filmmeinung - integeren Mannes. Da mag „1492“ der historischen Realität nicht allzu viel Genüge getan haben, aber als parabelhafte „Märchenstunde“ taugt das Historien-Abenteuer allemal. Im Übrigen wirft Drehbuchautorin Bosch nicht sämtliche historische Genauigkeit über Bord. Sie weiß, um was es geht und scheint die Ungenauigkeiten und Verkürzungen willentlich auf den Altar der Legendenbildung und stimmigen Filmdramaturgie zu opfern. Dem Zuschauer ist es dabei überlassen, ob er/sie die gewollte Widergabe eines Mythos in Kauf nimmt oder lieber die realitätsnähere Demontage verklärter Legenden gesehen hätte.
Roselyne Bosch („In All Innocence“) wollte schon immer einen Film über Columbus machen. Das Skript zu „1492“ war ihr Debüt im Kinogeschäft. Bevor sie in Ridley Scott endlich einen interessierten Regisseur fand, wurden auch schon Francis Ford Coppola (Der Pate), Roland Joffé (Der scharlachrote Buchstabe) und Oliver Stone (Natural Born Killers) angefragt. Scott nahm den Regieposten an, unter der Bedingung, dass Gérard Depardieu (Green Card) die Rolle des Columbus übernehmen würde.
Scott hat gut daran getan, auf Depardieu als Hauptdarsteller zu bestehen. Der Franzose trägt den Film und reißt das Publikum mit. Er verleiht seinem Filmcharakter eine Vielschichtigkeit und Tiefe, die so nicht jeder beliebige Darsteller hingekriegt hätte. Sigouney Weaver (Alien) gefällt als Königin Isabella (schön elegant) und Michael Wincott (The Doors) flößt als kolonialistischer Bösewicht (schön fies) angemessenen Respekt ein. In weiteren Rollen wird ein Ensemble an europäischen Kinostars und amerikanischen Darstellern der zweiten Reihe aufgeboten, die in ihren Aufgaben allesamt überzeugen. Seien es nun Fernando Rey (French Connection), Armand Assante (Das schnelle Geld), Angela Molina („Prinzessin Fantaghiro“) und Tchéky Karyo (Der Patriot) oder Kevin Dunn (Mississippi Burning), Steven Waddington (Der letzte Mohikaner) und Frank Langella (Good Night, And Good Luck). Das ansehnliche Aufgebot an markanten Nebendarstellern tut dem Film gut und verhindert, dass „1492“ mit offensichtlichem Schwerpunkt auf Columbus zur totalen One-Man-Show verkommt.
Vortrefflich ist die bereits angesprochene Optik des Films. Pathetische Bilder hin oder her. Scott und Kameramann Adrian Biddle (V für Vendetta) kommen mit ihren opulenten Bilderwelten den Klischeevorstellungen der mystifizierten Eroberung Amerikas entgegen und zaubern Majestätisches aus dem Hut. Das schaut prächtig aus und passt sich konsequent der Tonart des Films an. Auch die Ausstattung ist, ob wildromantisch oder pompös, top. Über die moralische Berechtigung der Hinzuziehung tatsächlicher Eingeborenen für die Darstellung der „Wilden“ im Film kann gestritten werden. Die Verantwortlichen haben viel Überzeugungsarbeit leisten müssen und es ist dabei von dubiosen Methoden die Rede. Kritiker werfen Scott und seiner Crew vor, bei den Eingeborenen so gehandelt zu haben, wie die früheren Kolonialherren. Sie sehen das naturgemäß anders und finden, dass sie gerade die Ureinwohner mit dem gebührenden Respekt behandelt und im Film untergebracht haben. Wer nun Recht hat, ist für die qualitative Bewertung des Werks nicht weiter relevant. Die detailverliebte Ausstattung und die visuelle Brillanz versprühen einen Hauch von Epik, wie der Filmfreund es aus Hollywoods Monumentalwerken wie Lawrence von Arabien oder Vom Winde verweht kennt.
Die inszenatorisch hohe Qualität bekommt eine ebenbürtige Entsprechung im bombastischen Soundtrack von Vangelis (Blade Runner). Das musikalische Titelthema „Conquest Of Paradise“, wer hat es nicht schon einmal gehört? Die Titelhymne ist tatsächlich zu so etwas wie einer Legende geworden. Die Bilder- und Musikkompositionen passen hervorragend zusammen. Denn „1492“ ist kein Film der leisen Töne. Oder, um noch eine Phrase zu bemühen: Hier wird geklotzt, nicht gekleckert. Sowohl musikalisch, als auch stilistisch.
Bei allem Lob für die berauschende Ästhetik des Historien-Abenteuers, ein anschauliches Meisterwerk wie Blade Runner ist Scotts „1492“ beileibe nicht. Ausgeprägte Bildersprache und Symbolik (auch religiöser Art) fehlen zwar nicht, aber vor allem skriptbedingt ist „1492“ dann doch zu platt, um als Regiemeisterleistung durchzugehen. Da der Film aufgrund der gewählten Erzählweise nicht so viel zu sagen hat, kann auch Scott mit all seinem Können einige langatmige Passagen nicht überspielen. „1492“ ist ein interessantes, gut gespieltes Historien-Abenteuer-Drama geworden, mehr nicht. Am Ende bleibt das Gefühl, zwar einen ganz ordentlichen Film gesehen zu haben, bei dem aber auch vieles an Potenzial verschenkt worden ist. Königreich der Himmel lässt grüßen…