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    Mad hot ballroom
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Mad hot ballroom
    Von Deike Stagge

    Kann Gesellschaftstanz Kindern im Alter von acht bis elf Jahren helfen, soziale Verantwortung und respektvollen Umgang miteinander zu erlernen? Die New Yorker Schulen glauben daran und stellen ihr außergewöhnliches Projekt in der Dokumentation „Mad Hot Ballroom“ im Kino vor.

    Die meisten von uns kennen Gesellschaftstanz nur von erzwungenen Schulabschlussfeiern. Schnell werden dem Klassenverband in ein paar Stunden oberflächlich die Grundschritte verschiedener Tänze eingebläut, damit man sich beim ersten Tanz mit Vater oder Mutter nicht vollständig blamiert und auf die Füße tritt. Dass Tanzen aber auch einen richtungsweisenden Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben kann und nebenbei noch unheimlichen Spaß macht, beweist das gemeinnützige Programm „Dancing Classrooms“ der Stadt New York. Ungefähr 7.000 Schülern aus allen Stadtteilen wird in zehn Wochen ein bunter Mix aus Standard- und lateinamerikanischen Tänzen beigebracht. Die Schulen treten dann in Ausscheidungen gegeneinander an, um einen Sieger zu küren.

    Die Dokumentarfilmerin Marilyn Agrelo hat drei dieser Schulen in ihrer Vorbereitungszeit mit der Kamera begleitet und das Training ebenso gefilmt wie die jeweiligen Teilnehmer. Entstanden ist dadurch nicht nur eine Tanzdoku, sondern auch ein Portrait der verschiedenen Schichten des Schmelztiegels New York. Die gut situierten Kids aus der Public School 150 in Tribeca mit ihrer aufgeweckten Art konkurrieren mit den Schülern der Schule 112 aus Bensonhurst, einem ehemals italienischen Stadtteil, der durch den Zuzug vieler Asiaten einen extremen Wandel erfährt. Noch größere Probleme hat die Schule 115 im Bezirk Washington Heights: Die Kinder der dominikanischen Einwanderer leben zu 97 Prozent unter der Armutsgrenze und sprechen teilweise nur brüchiges Englisch. Auch das Vorgehen der begleitenden Lehrer und Tanzlehrer ist grundsätzlich verschieden und wird von Marilyn Agrelo wertungslos gezeigt: In Tribeca setzt man auf Problemdiskussion in der Gruppe und liebevolle Motivation, während Miss Reynoso aus Washington Heights ehrgeizig auf den Gewinn des Turniers hinarbeitet und strenge Disziplin praktiziert.

    Trotz dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen zeigt sich, dass die Kids aller Schulen viel durch den Tanzkurs gewinnen. Doch Regisseurin Agrelo geht über diese Ebene noch hinaus und lässt die Jugendlichen von ihren Erfahrungen und ihren Ansichten zu allen möglichen Themen berichten. Darin liegt die wahre Entdeckung von „Mad Hot Ballroom“. Der Film bietet einen humorvollen und liebenswerten Blick in die Lebenswelt von Kindern unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft in einer chaotischen Großstadt wie New York. Und die Kids haben Persönlichkeit und Charme, den sie vor der Kamera ganz natürlich spielen lassen. Der Zuschauer kann mitlachen und mitfiebern, sobald er einmal die Orientierung gefunden hat und die Unterscheidung der vor allem anfangs schwer auseinanderzuhaltenden Schulen gemacht hat. Vielleicht hätte zu Beginn des Films noch stärker durch Untertitelung klargestellt werden sollen, mit welchen Teilnehmern die Regisseurin gerade spricht.

    Aber neben dieser kleinen filmerischen Schwäche gelingt es der Kamera von Claudia Raschke-Robinson, die für ihre Mitarbeit in Projekten wie „No Way Home“, „My Architekt“ oder The Soul Of A Man bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, immer nah an den Kindern dran zu bleiben und ihren Spaß am Tanz und den sich langsam verbreitenden Stolz auf die Teilnahme an diesem Programm einzufangen. Denn darin sind sich alle Kinder der drei Schulen einig: Tanzen hat einen positiven Einfluss auf ihr Leben und ihre Persönlichkeit. Weil das Filmteam von „Mad Hot Ballroom“ diese Entwicklung ohne unnötigen Kitsch oder allzu sentimentale Anwandlungen einfängt, ist aus dieser Tanzdokumentation ein echter Familienfilm geworden, an dem sowohl Erwachsene als auch Kinder ihre helle Freude haben dürften. Man muss kein versierter Tanzprofi sein, um die Arbeit der „Dancing Classrooms“ genießen zu können. Die Musik und die aufgeweckten Schüler mit ihrer Geschichte lassen in 105 bewegenden Filmminuten keinen Anflug von Langeweile aufkommen.

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