Wegen besserer Karrieremöglichkeiten andernorts seine Heimat zu verlassen, gehört in der globalisierten Welt zum Alltag. Das Zusammenwachsen der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Welt zieht jedoch nicht unbedingt eine gesellschaftliche und kulturelle Nivellierung nach sich. Erfolgsregisseur Ashutosh Gowariker legt mit seinem Epos „Swades“ den Finger tief in die Wunden, die offen bleiben im Global Village: Entwicklungsländer tun sich schwer mit dem Anschluss an internationale Standards, technisch wie auch kulturell. Wobei mit international meist schlicht westlich gemeint ist. Den belehrenden Zeigefinger schwingt er dabei so übereifrig, dass die über drei Stunden Filmlänge eine echte Herausforderung sind.
Mohan ist ein Inder, wie es sie zu Tausenden gibt. Fernab seiner Heimat lebt er in den USA und verdient sich als Klimaforscher bei der NASA Meriten. Trotz seines beruflichen Erfolgs überkommt ihn eine allzu menschliche Sehnsucht nach Geborgenheit. Weh- und reumütig gedenkt er seiner Kinderfrau Kavariamma, die er in Indien ihrem Schicksal überließ. Die (Er)Lösung für sein schlechtes Gewissen ist schnell gefunden: Er nimmt sich drei Wochen frei, um zurück nach Indien zu fliegen und die alte Dame zu sich in die USA zu holen. Die Reise führt ihn jedoch nicht nur geographisch, sondern auch emotional zurück zu seinen Wurzeln. Bei seiner Ankunft wird schnell deutlich, wie sehr er sich dem Lebensgefühl seiner Kinderzeit entwöhnt hat. Seine Utensilien und Angewohnheiten rufen Erstaunen und Misstrauen hervor. Während sich seine Kinderfrau unbändig über seinen Besuch freut, ist seine Freundin aus Kindertagen, Gita, ganz und gar nicht amused. Inzwischen lebt sie mit ihrem kleinen Bruder und Kavariamma zusammen in einem kleinen Dorf und fürchtet, dass Mohan ihr die Ersatzmutter wegnehmen will, um sie als günstige Haushälterin in die USA zu verschleppen. Die schöne Gita hat moderne Ansichten, die sie als Lehrerin weiterzugeben versucht, liebt aber trotz ihrer kritischen Haltung ihr Land und honoriert die Ordnungsstrukturen.
Der verliebte Mohan erliegt schnell ihrem intelligenten Charme und möchte ihr imponieren. So beginnt er, sich mit den Problemen des Dorfes auseinander zu setzen, statt einfach zu kritisieren und die Vorzüge des modernen Amerika zu loben. Seinen schnellen Lösungen setzen die streitbare Gita und der Ältestenrat die real herrschenden Umstände entgegen. Vom Ehrgeiz gepackt, nimmt Mohan einige Projekte in Angriff, um die Lage zu verbessern. In allen Kasten wirbt er für die Überwindung von deren strengen Grenzen, bringt Kinder dazu, die Schule zu besuchen und schließlich gelingt es ihm sogar, eine funktionierende, eigene Stromversorgung auf die Beine zu stellen. Mit der Zeit erobert er mit seinem Engagement und dem inneren Wandel, der sich darin offenbart, nicht nur die Herzen der Dorfbewohner, sondern auch das Gitas. Doch schon lange ruft die Arbeit in den USA, und es heißt Abschied nehmen von vielen, die fest sind in ihrer Überzeugung, in und für ihre Heimat leben zu wollen. Gita lässt Mohan mit einem Geschenk ziehen, das ihn noch lange beschäftigen wird.
Für die Hymne an seine Heimat Indien greift Gowariker tief in die Kiste von moralingetränktem Pathos, klugen Sprüchen über das Wesentliche im Leben und Weltverbesserungsambitionen. Zu tief, um noch mit einer glaubwürdigen Geschichte unterhalten zu können. Um die vielen Themen aufgreifen zu können, die seine Globalisierungskritik erhellen sollen, konstruiert er Figuren wie auf einem Schachspiel, statt Menschen aus Fleisch und Blut zu erschaffen, mit denen man mitfühlen könnte. Schon der Auslöser der Reise Mohans wirkt völlig aus der Luft gegriffen. Der indische Superstar Shah Rukh Khan hat offensichtlich selbst enorme Probleme, sich in das Gefühlsleben seiner Rolle hinein zu versetzen. Leider verfällt er darauf, an Stelle dessen Äußerungen von Gefühlen stark überzeichnet zu zelebrieren. Seine Mimik schwankt den ganzen Film über zwischen enormer Betroffenheit, enormer Lustigkeit und enormer Liebe. Differenzierter agiert seine Laien-Kollegin Gayatri Joshi, die sich trotzdem in mehr als einer Szene tränenreichen Gemütsqualen hingibt. Immerhin entspinnen sich zwischen den beiden einige pfiffige Gespräche. Der Großteil wirkt jedoch wie ein in Dialogform verfasstes Lehrbuch über die Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft, über die Rollen von Mann und Frau, über Gerechtigkeit, Staatsformen und die Bedeutung von Bildung, Kultur und Tradition.
Einer der wenigen Konflikte, die sich wirklich entwickeln dürfen, ist der um die Kinderfrau und damit einer der zentralen. Es geht nicht nur darum, wo die betagte Frau ihren Lebensabend verbringt, sondern auch um familiäre Bindungen und Verwurzelung. Die Thematik erfährt eine weitere Perspektive, als Gita sich in Mohan verliebt und die Frage aufkommt, ob sie sich ein Leben in der Fremde vorstellen kann. In diesem Moment wird deutlich, dass Gowariker mit seinen beiden Protagonisten zwei grundlegend verschiedene Lebensentwürfe einander gegenüber stellt: den, das eigene Wohl zu verfolgen und den, der Gemeinschaft dienen zu wollen. Wer dabei besser weg kommt, ist nicht schwer zu erraten. Als Verdienst zu verzeichnen ist die Abschwächung der Kritik am westlichen Lebensstil. Diese wird von den Figuren des Ältestenrates vehement vertreten, während der auslandserfahrene Mohan abwiegelt und dafür plädiert, jeder Lebensform ihr Recht zuzugestehen und nicht eine über die andere zu erheben. Political correctness ist offensichtlich auch in Indien ein Begriff, man will sich ja nun bei aller Vaterlandsliebe nicht den großen Bruder der Welt zum Feind machen.
Die aus Bollywood nicht wegzudenkende Musik ist nicht jedermanns Ding. Hier wird sie leider weitgehend auf die Funktion als Parolenträger einerseits und Selbstinszenierung Khans andererseits reduziert. Khan ist als Sänger in Indien schon lange und seit einiger Zeit auch hier sehr erfolgreich und wird in allen Gesangsszenen so ungeniert in den Mittelpunkt gerückt, dass man sich fragt, ob die Aufnahmen Übungen für Konzertauftritte sind. Den ohnehin schon holprigen Fluss der Erzählung stört das empfindlich. So wichtig die Aussagen von Gowarikers Werk auch sind, etwas mehr Phantasie beim Verpacken solch schwerer Themen hätte beim Empfänger auch mehr Lust auf das Auspacken gemacht und sicherlich mehr Anregungen zur Auseinandersetzung mit dem Thema geboten. So aber wird jede Haltung, die allesamt jedem bekannt sind, bis ins letzte Detail explizit formuliert, so dass dem Zuschauer kaum eine Möglichkeit bleibt, selbst weiter zu denken. Schade!