Wie ergiebig das Motiv des Hochstaplers ist, offenbart ein kurzer Blick auf die Filmgeschichte. Man denke nur an die Blender und Bluffer aus dem gleichsam brillanten und bösartigen Nur die Sonne war Zeuge, dem herrlich überzogenen „Zwei hinreißend verdorbene Schurken“ oder dem legeren wie tragikomischen Catch Me If You Can. Lasse Hallström (Gottes Werk und Teufels Beitrag, Chocolat) verarbeitet mit „Der große Bluff“ nun einen der aufsehenerregendsten Fälschungsskandale der amerikanischen Literaturgeschichte, also quasi das US-Pendant zu den gefälschten Hitlertagebüchern, in dessen Epizentrum der Schriftsteller Clifford Irving mit einer Fake-Biographie über den amerikanischen Mythos Howard Hughes die Medien narrte. Zwar verleihen Richard Gere (Chicago, I’m Not There), Alfred Molina (Spider-Man 2, Frida), Julie Delpy (Before Sunrise, Die Gräfin), Marcia Gay Harden (Der Nebel, Mystic River) und Stanley Tucci (Der Teufel trägt Prada, Road To Perdition) dem Film den nötigen Glamour, kommen aber letztlich nur schwer gegen eine allzu gleichförmige Inszenierung und ein zahmes, die psychologischen Untiefen nur andeutendes Drehbuch an.
„I’m working on the most important book of the twentieth century.”
Nachdem mal wieder eines seiner Manuskripte abgelehnt wurde, platzt Clifford Irving (Richard Gere) mit diesem Satz in ein Meeting des renommierten Verlags McGraw-Hill. Der Plan: Irving gibt vor, in persönlicher Zusammenarbeit mit dem ebenso legendären wie exzentrischen Milliardär Howard Hughes (Milton Buras) dessen Autobiographie zu verfassen. Er spekuliert darauf, dass der öffentlichkeitsscheue Hughes lieber schweigt als die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Verlag kauft Irving für eine Unsumme die Rechte ab und dieser macht sich mit seinem Schriftstellerkollegen Dick Susskind (Alfred Molina) an das Buch. Sie verschaffen sich Zugang zu geheimen Akten, fälschen Unterschriften, Notizzettel und Tonbänder. Während Irving sich zunehmend in der Persona des Howard Hughes verliert, verstrickt sich das Duo immer mehr in seinen eigenen Lügen…
Regisseur Lasse Hallström ist unbestritten ein überragender Handwerker. Sein Inszenierungsstil ist indes Geschmackssache. Er vermag in den besten Momenten, atmosphärische Nuancen präzise auf den Punkt zu bringen („Gilbert Grape“). In weniger gelungenen Szenen ist seine ruhige Herangehensweise hingegen gefährlich nah an der Grenze zur behäbigen Belanglosigkeit (Ein ungezähmtes Leben). Der Schwede ist kein Mann für erzählerische Dynamiken oder dramaturgische Eruptionen. Wie sein Filmschaffen aufzeigt, widerstreben ihm schnellere Erzähltempi oder dramatische Intensität. Das erweist auch bei „Der große Bluff“, dem eine etwas rasantere Inszenierung hinten raus gut zu Gesicht gestanden hätte, als Manko. Nachdem Susskind und Irving sich zu Beginn im Stile eines Heist Movies trickreich Zugang zu geheimen Akten erschleichen, gewinnen im Verlauf die dramatischen Akzente verstärkt an Bedeutung. Irving droht die Kontrolle über sein Truggebilde zu verlieren und versucht, dieses mit immer neuen Lügen wieder an sich zu reißen. Leider bleiben substanzielle Konfliktzeichnungen des Protagonisten wie auch seiner bröckelnden Beziehung zu seinem Freund Susskind aus. Dabei steht Richard Gere mit Alfred Molina ein mehr als ebenbürtiger Mime gegenüber.
Erst Anfang des Jahres warf Alexander Adolph mit So glücklich war ich noch nie einen Blick auf die hinter den Lügen eines Hochstaplers grassierende Pathologie. Ebenso wie Clifford Irving ist auch Devid Striesow in „So glücklich war ich noch nie“ kein Eulenspiegel-Verschnitt. Ihre Possen beklagen keine sozialen Missstände, beherbergen keine moralische Rechtmäßigkeit, welche das kriminelle Potential aufwiegt. Ihre Taten sind Versuche, der Lieb- und Beachtungslosigkeit zu entfliehen. Die Lügen wachsen mit der Herausforderung. Knöpfel und Irving sind somit das Gegenteil von dem, als was die Süddeutsche Zeitung kürzlich in ihrer Rezension zu Schwarz auf Weiß den großen deutschen Bluffer Günther Wallraff beschrieb, nämlich der „Antipode eines pathologisch Liebesbedürftigen“. Während Wallraff unbedingt gehasst werden will, möchte Irving hingegen bewundert und geliebt werden. Als Mittel dient dem Geltungssüchtigen die Blendung.
Genau hier lässt sich die große Schwäche des Films festmachen: Er hält zu lange zu seinem Protagonisten. Obwohl Irving seine Frau betrügt und seinen besten Freund hintergeht, rückt das Drehbuch nie von ihm ab und ist stets darauf bedacht, ihm selbst in seinen schlechten Taten Sympathisches abzugewinnen oder ihn zumindest als Opfer darzustellen. Mehr psychologische Brüche und Risse hätten dem Film gut getan. Als es einmal verdammt eng für Irving wird, ihm die Verleger fast auf die Schliche kommen, setzt er zu einem umfassenden Geständnis inklusiver tiefster Reuebekundung an. Doch als die Kamera zu seinem Gesicht gelangt, bewegen sich seine Lippen nicht, und als sie sich dann bewegen, hört man doch nur wieder die üblichen Spinnereien. Schlechterdings sind solche Szenen Ausnahmen. Irving kämpft sich im letzten Filmdrittel durch Wahn- und Albtraumszenen. Dabei entfaltet psychologisches Grauen doch erst in der Realität seine volle Wirkung.
Man könnte einwenden, Hallström sei bezüglich Irving auf historische Akkuratesse bedacht und umschiffe bewusst dramatisierende Überhöhungen. Dem ist jedoch nur bedingt so. Obschon das Skript auf Irvings Buch „The Hoax“ basiert, in dem er seinen Betrugsversuch beschreibt, nimmt sich Hallström durchaus künstlerischen Freiraum, wenn er beispielsweise den Einbruch in den Watergate-Komplex auf Irvings Buch zurückführt. Doch oft wirkt der Freiraum auf seltsame Weise wenig storydienlich. Julie Delpy als Irvings Ex und jetzige Geliebte verkommt zum hübschen Beiwerk und schrammt mit ihrer körperlichen Freizügigkeit und ihrem letztendlichen Verrat knapp an der Karikatur einer Französin - aus amerikanischer Perspektive - vorbei.
Lügen und Betrug auf allen Ebenen stehen im Fokus: politische Arglistigkeit, körperliche Täuschung, psychologische Blendung. Beobachtet man Irving, wie er fast manisch versucht, Hughes Sprachgestus und Denklogik zu erfassen, eröffnet sich innerhalb des Films eine selbstreferenzielle Dimension, die Bluffer und Schauspieler teilen – das Zueigenmachen einer Rolle. Wenn sich Irving aufgrund seiner Hughes-Besessenheit zu verflüchtigen droht, ist der Gedanke an Method Acting zwangsläufig. Nicht ohne Grund bietet der frappierende Dokumentarfilm Die Hochstapler unerschöpfliches und authentisches Lernmaterial für Schauspielschüler.
„The more outrageous I sound, the more convincing I am.”
Unterm Strich beschert „Der große Bluff“ solide Unterhaltung, liefert ein nettes Zeitgemälde der politisch und gesellschaftlich bewegten 1970er und überzeugt mit einer überdurchschnittlichen Ensembleleistung. Allen voran Richard Gere, der hier selbst knapp 60-jährig mit der ihm eigenen Melange aus Esprit und Charme einen 32-Jährigen verkörpert. Die zahnlose Inszenierung und das konfliktscheues Drehbuch sabotieren die Stimmigkeiten aber - und so ist der „Der große Bluff“ lediglich ein appetitanheizender Vorfilm für einen Aviator-DVD-Abend.