Wunder gibt es selten, aber immer wieder. In Zeiten von perfekt glattgestylten, sündhaft teuren Blockbuster-Produktionen ist ein Film, der in dieser Preisklasse auch Ecken und Kanten aufweist, etwas ganz Besonderes. Paul Greengrass bringt mit „Das Bourne Ultimatum“ den besten Action-Thriller des Jahres an den Start. Der dritte und laut Hauptdarsteller Matt Damon letzte Teil der Spionage-Reihe ist intelligent, bis zum Bersten mit Adrenalin gefüllt, grandios inszeniert und geschnitten. Greengrass gibt 111 Minuten Vollgas, was in dieser Konzentration und Dichte bisher unerreicht ist.
Jason Bourne (Matt Damon) kommt nicht zur Ruhe. Ihr Gedächtnis erlangt die ehemalige Ein-Mann-Armee der geheimen CIA-Attentäter-Einheit „Treadstone“ nur schwer zurück. Bournes Versuche, unterzutauchen und ein neues Leben zu beginnen, schlugen fehl, seine Freundin Marie (Franka Potente) wurde getötet, die Vergangenheit lässt ihn nicht los. In Paris macht ihm Maries Bruder Martin (Daniel Brühl) schwere Vorwürfe. Bourne reist nach London, um den Enthüllungsjournalisten Simon Ross (Paddy Considine) zu treffen. Der schwebt - unwissend - in Lebensgefahr, weil er über Bourne und „Treadstone“ recherchiert. Die CIA ist ihm bereits auf den Fersen. CIA-Abteilungsleiter Noah Vosen (David Strathairn) will Bourne, den er immer noch für eine große Gefahr hält, eliminieren lassen, wozu er den letzten lebenden „Treadstone“-Attentäter Paz (Edgar Ramirez) auf ihn ansetzt. Er bereitet ein neues Programm namens „Blackbriar“ vor, ein Upgrade von „Treadstone“, bei dem Wirbel um Bourne nur hinderlich sein würde. Nachdem Ross erschossen wird, findet Bourne in CIA-Agentin Nicky Parsons (Julia Stiles) eine Verbündete. Nicht die einzige: Denn bei der Agency setzt sich die interne Ermittlerin und Spionjägerin Pamela Landy (Joan Allen) für Bourne ein - jedoch mit wenig Erfolg, zu mächtig sind die „Großkopferten“ über ihr.
Wer sich vor fünf Jahren vorstellen konnte, dass Frauenliebling Matt Damon (Ocean's 13, Departed: Unter Feinden, „Good Will Hunting“) überzeugend eine knallharte, durchtrainierte Tötungsmaschine spielt und gleichzeitig ein ganzes Subgenre filmisch renoviert, dem gebührt Respekt. Denn viele werden diese Phantasie nicht besessen haben. Doug Liman drehte mit Die Bourne Identität (2002) einen straighten Spionage-Thriller, der sich dem Klima der neuen Zeit exakt anpasste. Im Sequel Die Bourne Verschwörung übernahm Paul Greengrass (Flug 93) den Regiestaffelstab und setzte mit seiner packenden Inszenierung noch einen drauf. Und Überraschung: Dieses Kunststück kann der Brite mit „Das Bourne Ultimatum“ wiederholen – eine wahre Meisterleistung. Der Film definiert den neuen Standard des Spionage-Thrillers.
Es spielt Greengrass in die Karten, dass in einem Threequel keine Charaktere mehr erklärt werden müssen, denn so kann sein Konzept sofort greifen. „Ultimatum“ startet explosionsartig mit hohem Tempo, der Zuschauer wird blitzschnell in die Geschichte gesogen. Das ist selbstverständlich nichts grundlegend Neues. Doch der Clou dabei: Greengrass geht bis zum Abspann nicht mehr vom Gas und inszeniert „Das Bourne Ultimatum“ als eine einzige, vielteilige Verfolgungsjagd rund um den Globus – von Moskau, über Paris, Turin, London, Madrid und Tangier nach New York. Die Story, frei nach den „Bourne“-Romanen von Robert Ludlum, schlägt Haken, öffnet doppelte Böden um Verrat und Vertrauen, Spionage und Gegenspionage. Vielleicht bot „Die Bourne Verschwörung“ ein paar Fallstricke mehr und zeichnete die Charaktere einen Tick schärfer, aber das ist zu verkraften, da Greengrass’ außergewöhnliche Inszenierungsfähigkeiten, die deutlich von seiner Vergangenheit als Dokumentarfilmer geprägt sind, perfekt zum tragen kommen – inklusive den grenzwertigen, wackeligen Handkamerabildern, die aber zwingend notwendig sind, um das Konzept der durchgehenden Jagd greifbar zu machen. Der Action-Thriller ist derart rasant geschnitten, dass keine Zeit zum Luft holen bleibt.
Dabei pfeift der Regisseur auf einen konventionellen Storyaufbau, den ersten Höhepunkt hat „Das Bourne Ultimatum“ schon nach 20 Minuten in einer atemberaubend montierten Verfolgungssequenz in der Londoner Waterloo Station. Diese Highlights ziehen sich in Form von mehreren Autoverfolgungsjagden, einer elektrisierenden Hatz über die Dächer von Tangier und diversen Kämpfen durch den kompletten Film - immer treibend nach vorn gepeitscht von John Powells phantastischem Score. Nutzte zum Beispiel Stirb langsam 4.0 in diesem Sommer seinen ganzen Computer-Gaga-Hipshit als bloßes, effekthascherisches Mätzchen, setzt „Das Bourne Ultimatum“ auf kernigen Realismus. Was in Tony Scotts „Der Staatsfeind Nr. 1“ in Sachen Überwachung leise angedeutet wurde, wird hier unglaublich versiert in Szene gesetzt, weiterführt.
Die Grundzüge von Gut und Böse verschwimmen. Jener Jason Bourne, der Jahre zuvor angeschossen und halb tot ohne Gedächtnis aus dem Mittelmeer gezogen wurde, hat seine Zielsetzung geändert, nachdem ihm Rache auch keine Befriedigung erbracht hat. Er ist auf der Suche nach seinen „Schöpfern“, um das Geheimnis seiner wahren Identität zu lüften - und damit wird nie ganz klar, wer gerade wen jagt. Die CIA will Bourne liquidieren, doch der Gejagte wird seinerseits zum Jäger, vor dem die Agency eine Heidenangst hat – zurecht, wie die Opferberge beweisen, die Bourne hinterlässt. Es ist Matt Damon geschuldet, dass das Spiel aufgeht und der Zuschauer voll auf Bournes Seite steht, obwohl dieser im Grunde ein ultrabrutaler Auftragskiller ist. Sorgte in Teil 1 und 2 noch Franka Potente für die weibliche Erdung seines Charakters, kommt dieser Part nun Julia Stiles (Mona Lisas Lächeln, Das Omen) zu, die bereits in „Die Bourne Identität“ und „Die Bourne Verschwörung“ eine Nebenrolle spielte. Erneut dabei ist auch die exzellente Joan Allen (Apollo 13), sie verkörpert das Restgewissen der CIA. Auf der Bösewichtseite fährt Greengrass gleich mehrere große Kaliber auf. Die Urgesteine Scott Glenn (Der Stoff aus dem die Helden sind), David Strathairn (L.A. Confidential) und Albert Finney (Erin Brockovich) bilden mit charismatischen Leistungen die Spitze des Eisberges. Der Auftritt von Daniel Brühl (Good Bye, Lenin!, Was nützt die Liebe in Gedanken) ist dagegen unter der Rubrik Cameo zu werten.
„Das Bourne Ultimatum“ ist zwar ein schnörkelloser Action-Thriller, doch er verströmt sehr genau den Zeitgeist der Gegenwart, geht unter die Oberfläche einer Post-9/11-Angstgesellschaft, in der die USA im Anti-Terror-Kampf im Verborgenen längst die Methoden ihrer verhassten Feinde übernommen haben. In dieser Welt der Spionage und Geheimdienste ist ein Menschenleben nicht allzu viel Wert. Unter dem Deckmantel des Patriotismus und Staatsschutzes werden die Regeln von den Mächten hinter der Großmacht neu ausgelegt. Dass Programme in der Art von „Treadstone“ und „Blackbriar“ existieren, ist denkbar, wenn nicht gar wahrscheinlich.
Fazit: „Das Bourne Ultimatum“ ist die Überraschung der Blockbuster-Saison. Der Paranoia-fiebrige Spionage-Reißer begeistert als unglaublich rasanter Thriller für Erwachsene. Paul Greengrass serviert ungewöhnlich smartes Big-Budget-Kino, wo eben mal nicht der kleinste gemeinsame Nenner, den irgendwelche Hollywood-Erbsenzähler für gemein hin definieren, zählt, sondern die Vision des Regisseurs, der hier treibende Kraft und nicht Erfüllungsgehilfe ist. Einziger Diskussionspunkt ist die Wackeloptik, die einige sicherlich nerven wird, aber schlicht und einfach zu Greengrass’ Stil gehört. Immerhin ist er einer der wenigen Hollywood-Regisseure, die überhaupt einen (wieder)erkennbaren Inszenierungsstil besitzen. Bleibt zu hoffen, dass Matt Damons Worte, die „Bourne“-Reihe als Trilogie abzuschließen, kein Lippenbekenntnis ist, denn die Schlussszene ist schlicht genial... und somit ein würdiger Abschluss.