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    Inside Deep Throat
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Inside Deep Throat
    Von Nicole Kühn

    „Deep Throat“, das war gesellschaftliches Erdbeben, juristisches Hexenfeuer, kultureller Befreiungsakt – und eigentlich nur ein kleiner, unprofessionell und schnell gedrehter Pornofilm. Als der Streifen 1972 in die Kinos kam, löste er auf nahezu allen Ebenen der US-amerikanischen Gesellschaft umwälzende Reaktionen aus. Was hinter diesem Phänomen steckt und welche Konsequenzen es auslöste, die bis in die heutige Zeit nachwirken, erforscht die kurzweilige Dokumentation „Inside Deep Throat“.

    Was zu einem zum Teil erbittert geführten Kampf um moralische Grenzen und Freiheiten führte, hatte recht harmlos angefangen: Der ambitionierte Filmemacher Gerard Damiano lernt das angehende Sexsternchen Linda Boreman kennen, die als Linda Lovelace berühmt werden möchte. Ihre sexuelle Vorliebe inspiriert Damiano zu einem außergewöhnlichen Porno: Die Tatsache, dass Linda die damals als schmutzig verpönte Fellatio als Glück bringend für sich empfindet, verarbeitet Damiano zu einer Komödie über die schwierige Suche nach sexueller Erfüllung. Das schlug ein, wie eine Bombe! Was die einen als puren chauvinistischen Männertraum empfanden, war für die anderen die lange ersehnte Befreiung der Frau aus ihrer sexuellen Einengung. Es dürfte wohl weder der künstlerische Wert des Films als vielmehr die Brisanz dieser Frage - gerade zu seiner Entstehungszeit - gewesen sein, die ihm Kritiken in den größten und wichtigsten Medien wie „Variety“ oder „New York Times“ verschaffte. Der dadurch ausgelöste Effekt war enorm. Nun musste jeder den Film gesehen haben. Der Hype verebbte lange nicht und brachte Konsequenzen mit sich, die sich wohl keiner der Beteiligten hätte träumen lassen.

    Dankenswerter Weise greifen die Autoren die vielen Fäden auf, aus denen die Geschichte um den legendären „Deep Throat“ gestrickt ist. Da sind die Verbindungen zu Mafia-Kreisen, über die man noch heute in Hollywood lieber schweigt. Da ist der Beginn einer Independent-Filmszene, die heute als fester Bestandteil der Filmindustrie etabliert ist. Da ist das juristische Tauziehen um Zensur und Moral, die Bauernopfer forderten. Da ist selbstredend eine bis heute lebendige, heiße feministische Debatte und ihre Versuche, auf einen Industriezweig mit enormen Absatzzahlen Einfluss auszuüben. Und vor allem sind da viele Träume, die sich hoch hinauf geschwungen haben angesichts eines phänomenalen Erfolges und umso tiefer abstürzen mussten.

    Den beiden Autoren Fenton Bailey und Randy Barbato gelingt es, wie durch ein Kaleidoskop, immer wieder verschiedene Muster der Sichtweisen auf „Deep Throat“ und seine Rezeptionsgeschichte zu zeigen. Die ausgiebige Recherche von über zwei Jahren hat sich gelohnt: Direkt Beteiligte, Angehörige, Prominente und Zeitzeugen, die in verschiedenen Rollen mit dem Film beschäftigt waren, kommen zu Wort und bringen durch ihre lebendigen Einwürfe einen Hauch der damaligen Aufbruchsstimmung auf die Leinwand, aber auch die Leidenschaft, mit der um politische, künstlerische und sexuelle Leidenschaft gerungen wurde. Bemerkenswert ist die Offenheit, die viele der Befragten vor der Kamera an den Tag legen. Erstaunlicher Weise klingen viele Argumente recht vertraut. Vor allem vor dem Hintergrund der neu erstarkenden, religiösen Kräfte in den USA. Die Vielfalt, der zu Wort kommenden Vertreter der unterschiedlichsten Auffassungen über Sex und Moral, macht dem Zuschauer deutlich, dass sich auch 30 Jahre nach der großen Befreiung über das älteste Thema der Welt trefflich streiten lässt. Und dass es bei aller Intimität immer schon ein Politikum war und wohl auch bleiben wird. Damit ist „Inside Deep Throat“ historisches und aktuelles Zeitdokument gleichermaßen, ohne im Geringste dröge oder belehrend zu sein. Vielmehr fügen sich in der Dokumentation die vielen Aspekte zu einem komplexen Bild zusammen, das einfache Antworten verweigert und zum Weiterdenken anregt.

    Dazu kann auch gehören, ob man die Grundhaltung der Filmemacher teilt. Auch wenn sie kaum Partei ergreifen, tendiert die Darstellung an manchen Stellen zu einer Verklärung der Macher von „Deep Throat“. Linda Lovelace bleibt ein Rätsel und wird in die Nähe einer Märtyrerin gerückt, zermalmt zwischen den Ansprüchen von Männerphantasien und Emanzenprotesten. In einer ähnlichen Opferrolle sehen wir ihren Filmpartner Harry Reems, gebrochen durch die öffentliche Anprangerung. Dass die Gelder für den Film aus Mafia-Kreisen stammten, wird keineswegs verschwiegen, jeder scheint es aber nur benutzt zu haben, um seine idealistischen Träume zu realisieren und sich nie und nimmer mehr etwas Böses dabei gedacht zu haben. Immerhin scheint die Brutalität, mit der auch das Pornogeschäft von der Mafia betrieben wurde, in den Beschreibungen der Vertriebswege auf, die statt der üblichen Wege die persönlichen Besuche von Geldeintreibern wählten. Letztlich bleibt dieser kriminelle Charakter des Films und seines Umfeldes etwas unterbelichtet, und auch dieser Zug der Pornographie wäre in seinen Auswirkungen durchaus diskussionswürdig. So bleibt eine eingehende Analyse der Verquickungen von Politik, Geld und Moral mit ein paar schwarzen Flecken, zu denen immerhin Spuren gelegt werden und deren intensive Verfolgung vermutlich den Rahmen einer Kinodokumentation sprengen würde.

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