Wer an russisches Kino denkt, hat meist noch Klassiker wie „Panzerkreuzer Potemkin“ im Kopf. Nach dem Ende der Sowjetunion wurden wesentlich weniger Filme produziert als vorher, was zum Teil auch daran liegt, dass die Anzahl der Kinos vor sechs Jahren auf unvorstellbare 70 Lichtspielhäuser gesunken war. Heute hat sich die Kinowirtschaft etwas erholt und legt mit „Wächter der Nacht“ (int.: „Night Watch“) auch gleich den ersten Kandidaten für einen internationalen Erfolg vor.
Seit Jahrhunderten besteht ein Waffenstillstand zwischen den Mächten des Lichts und der Dunkelheit auf der Erde. Die Others, Wesen mit übernatürlichen Kräften, wachen darüber, dass die Dark Ones, Vampire, Hexen und andere Anhänger der schwarzen Magie, nicht willkürlich Menschen abschlachten. Diese Balance der Kräfte hat den Frieden bewahrt. Bis heute. Anton (Konstantin Khabernsky) hat vor zwölf Jahren versucht, das ungeborene Kind seiner ihn betrügenden Frau von einer Hexe ermorden zu lassen. Doch ein Team von Others um Tiger Cub und Bear verhaftete die Hexe in letzter Sekunde und zeigte Anton, dass er selbst über außergewöhnliche Kräfte verfügt. Seitdem arbeitet er für die Night Watch, die Organisation des Lichts, um die Balance intakt zu halten, auch wenn sein bester Freund Kostya (Alexey Chadov) ein Vampir ist und für die Gegenseite das gleiche tut.
Sein neuester Auftrag führt Anton in Moskaus Untergrund. Er soll den Teenager Yegor (Dima Martynov) beschützen, der von Vampiren verfolgt wird. Nachdem die Mission fast fehlschlägt und Anton ohne Erlaubnis einen Vampir tötet, wird ihm Olga (Galina Tunina) als Partner zugeteilt. Gemeinsam finden sie heraus, dass die Dark Ones unter der Führung von Zervulon (Viktor Verzhbitsky) planen, mit dem Fluch über eine Jungfrau die Balance zu ihren Gunsten zu verändern. Dabei sollen Anton und auch Yegor eine ganz persönliche Rolle spielen.
„Wächter der Nacht“ ist fulminante, abendfüllende Unterhaltung made in Russland, die sich nicht hinter ihren Vorbildern verstecken muss. Für ein Budget von fast schon lächerlichen vier Millionen Euro schuf Regisseur Timour Bekmambetov („Gladiatrix“) ein grandioses Actionspektakel mit vielen Referenzen zu Genreklassikern wie „Matrix“ oder „Der Herr der Ringe“. Vor allem der komplett durchkomponierte visuelle Stil und die zahlreichen, hervorragend umgesetzten computergenerierten Spezialeffekte stehen qualitativ auf gleicher Höhe mit Hollywood und zeugen von der liebevollen Arbeit, die in diesem Projekt steckt. Sogar die Untertitel werden dank einer cleveren Einarbeitung zum Bestandteil des Bildes. Kein Wunder, dass dieser Film in Russland mehr Geld einspielte als „Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs“ oder „Spider-Man 2“.
Neben dieser großartigen Umsetzung ist es vor allem die Geschichte, die den Reiz ausmacht. Die Welt von „Wächter der Nacht“ ist faszinierend facettenreich. Hier tun die Guten nicht nur Gutes, sie lizenzieren auch die Bösen, ihr dunkles Werk zu vollbringen, um die Balance der Kräfte zu erhalten. Nichts ist hier rein schwarz oder weiß. Gerade die Freundschaft von Night-Watch-Mitglied Anton zum Vampir Kostya zeigt gleichzeitig den Konflikt aber auch den Weg, wie alle Seiten damit umgehen. Die schauspielerische Leistung erleichtert hierbei den Zugang zu den Figuren sehr. Gerade Konstantin Khabensky als geplagter Alleingänger Anton wirkt sehr glaubwürdig und bietet dem Zuschauer die notwendige Orientierung.
Die Geschichte beruht auf dem gleichnamigen Buch von Sergey Lukyanenko und ist der Auftakt zu seiner Science-Fiction-Trilogie. Hier liegt auch der einzige Haken des Films. „Wächter der Nacht“ ist nur das Expose der Handlung, in dem die Charaktere und ihre Konflikte vorgestellt werden. Der zweite Teil wird gerade in Russland verfilmt. Wer also auf ein abgeschlossenes Ende wartet, der wird enttäuscht werden. Die Fortsetzung „Day Watch“ wird direkt an ihren Vorgänger anschließen. Seit die Verleihfirma Fox mit an Bord ist, steht auch fest, dass der dritte Teil der Saga in englischer Sprache und wahrscheinlich mit englischen Darstellern verfilmt werden wird. Trotz der Verzögerung in der Auflösung der Handlung sollten sich Genre-Freunde „Wächter der Nacht“ auf keinen Fall entgehen lassen. Dieser Film macht garantiert süchtig. Und wer das Warten gar nicht mehr aushält, kann ja in der Zwischenzeit die Bücher lesen - leider bisher nur auf russisch.
Link-Tipp: Gewinnspiel zum Film