Es hätte das Kinoereignis des Jahres werden sollen. Doch Steven Spielbergs zeitgenössische Adaption von H.G. Wells’ genialem Kult-Roman „Krieg der Welten“ sorgte für ein absolutes Novum im negativen Sinn. Die amerikanische Produktionsfirma Paramount und der Film-Verleih UIP verhängten über den Film ein weltweites Presse-Embargo. Journalisten wurden zwar zu Presse- und Premierenvorstellungen eingeladen, mussten allerdings eine Verfügung unterschreiben, dass sie vor dem 29. Juli (dem Tag des Kinostarts), keine Kritiken veröffentlichen. Bei Verstoß gegen diese Knebel-Klausel drohten immense Schadensersatzforderungen. Interviews mit Steven Spielberg bekamen gar nur die Journalisten, die den Film zuvor noch nicht gesehen hatten. Der Zorn der internationalen Fachpresse war Paramount und der UIP damit sicher. Aber warum eigentlich die ganze Geheimniskrämerei? Hat der „Krieg der Welten“ das wirklich nötig? Musste sich ein guter Film schon einmal vor der Kritik verstecken? Die ernüchternde Antwort: Steven Spielbergs interstellares Kriegs-Epos ist gemessen an den hohen Erwartungen eine einzige Enttäuschung…
Dabei beginnt der Film zunächst überaus packend. Auf ein Vorgeplänkel verzichtet Spielberg weitestgehend. Nach einer kurzen Einführung durch einen Erzähler (Morgan Freeman, in der deutschen Fassung: Pacino/Costner-Sprecher Frank Glaubrecht) beendet der Dockarbeiter Ray Ferrier (Tom Cruise) seine Schicht. Zuhause wartet dort schon seine hochschwangere Ex-Frau Mary Ann (Miranda Otto) mit ihrem neuen Partner Tim (David Alan Basche) auf ihn. Grund für den Besuch sind die beiden gemeinsamen Kinder Robbie (Justin Chatwin) und Rachel (Dakota Fanning). Ray soll über das Wochenende zur Abwechslung einmal wieder ein Vater für seine Kinder sein und sich um den Nachwuchs kümmern. Aber zunächst bekommt er von Mary Ann noch die Leviten gelesen, weil er sie wieder einmal eine halbe Stunde hat warten lassen. Tja, und das war’s dann eigentlich schon. Nach rund zehn Minuten sind die Charaktere eingeführt und es beginnt eine der größten Destruktionsorgien der Filmgeschichte.
Der Angriff der Außerirdischen beginnt mit einem gewaltigen Sturm. Blitze schlagen immer wieder an derselben Stelle ein, ohne dass ein einziger Donner zu hören ist. Kurz darauf herrscht eine bedrohliche Stille und der Strom fällt aus. Menschen strömen auf die Straßen. Neugierige versammeln sich um eine der Stellen, an denen die Blitze eingeschlagen sind. Der kleine Krater ist nicht – wie man vermuten könnte – glühend heiß, sondern kalt wie Eis. Dann das Unfassbare. Ein gewaltiger Spalt in der Erde bringt ganze Häuser zum Einstürzen und aus den Trümmern erhebt sich ein monströses, dreibeiniges Ungetüm. Wenige Sekunden später beginnt das Kampfkoloss der Außerirdischen sein grausiges Werk. Unter den Menschen bricht Panik aus. Sie fliehen in Massen aus den Städten. Unter ihnen auch Ray, Robbie und Rachel…
Was sich hier auf der Leinwand abspielt, ist schlicht und einfach großes Katastrophen-Kino. Kein Film von Steven Spielberg war bisher derart düster und kompromisslos. Vorbei sind die Zeiten der friedvollen Aliens („Die unheimliche Begegnung der dritten Art“) und deren knuddeliger Ableger („E.T.“). In Spielbergs drittem Film zum Thema Erstkontakt ist Schluss mit lustig. Einer der Hauptcharaktere bringt die Sache genau auf den Punkt: It’s not a war, it’s an extermination! Ganze Städte werden dem Erdboden gleich gemacht. Brückenteile fliegen durch die Luft, riesige Pkw-Fähren werden zu Spielzeugen degradiert und der große Gegenschlag der Armee ist nicht mehr als ein zarter Lufthauch. Gegen die Dreibeine (so die vollkommen bescheuerte Übersetzung der Tripods) ist kein Kraut gewachsen. Menschen, die von deren Laserstrahl getroffen werden, lösen sich augenblicklich zu Staub auf. Und spätestens wenn sich Tom Cruise zunächst apathisch, dann hysterisch die Überreste seiner ehemaligen Nachbarn aus dem Gesicht wischt, ist die beklemmende Atmosphäre perfekt. Zu Beginn entfaltet der „Krieg der Welten“ einen enormen Spaßwert! Doch schon hier drängen sich dem Zuschauer einige Fragen auf. Warum fallen eigentlich vor dem Angriff der Außerirdischen alle Energiequellen aus, aber der Camcorder eines Schaulustigen hat noch Saft? Sicher ist es eine recht coole Einstellung, wenn nur das Display der am Boden liegenden Kamera gezeigt wird, aber ist das eine Rechtfertigung für ein so offensichtliches Logikloch? Ein weiteres Highlight: Die Städte sind ein einziger Geröllhaufen, Autos stehen wegen des Stromausfalls kreuz und quer auf den Highways, aber eine Lücke, durch die sich die Familie Ferrier mit dem einzig funktionierenden Fahrzeug (!) hindurch schlängeln kann, gibt es immer. Das mit dem Strom ist in „Krieg der Welten“ schon eine lustige Sache. Auch wenn die Straßenlaternen brennen ist das noch lange kein Zeichen dafür, dass auch die Autos anspringen. Strom, kein Strom, Strom… was denn nun? Wie hat das nach dem Flugzeugabsturz auftauchende Kamerateam trotz EMP (electric-magnetic pulse) seine Bilder gemacht? Mit der oben genannten Wunder-Cam? Standen die Drehbuchautoren unter Drogeneinfluss oder was?
Da Spielberg das Tempo zunächst extrem hoch hält, fallen diese Ungereimtheiten nicht all zu sehr ins Gewicht. So richtig an Fahrt verliert „Krieg der Welten“ allerdings mit der Einführung von Ogilvy (Tim Robbins), einem Mann, der seine gesamte Familie verloren hat. Er ist also das exakte Gegenstück zu Ray, der sich verzweifelt an seine kleine Tochter Rachel klammert (von Robbie wurde er zwischenzeitlich getrennt) und diese um jeden Preis beschützen möchte. Ausgerechnet diese beiden Extreme verstecken sich nun gemeinsam im Keller eines zerstörten Hauses vor weiteren Attacken. Verstecken? Na ja, Ogilvy würde gerne mit einer Axt bewaffnet zum Gegenangriff blasen. Das ist nicht nur unfreiwillig komisch und reichlich albern, sondern auch äußerst vorhersehbar. Auf der einen Seite ein Vater, der seine Tochter beschützen möchte, auf der anderen ein Wahnsinniger, der eine Gefahr für ihre Tarnung ist. Na, alles klar?
Doch damit wären wir noch nicht am Tiefpunkt angelangt. Im Folgenden greift Spielberg so richtig tief in den Giftschrank der ausgelutschten Klischees. Damit ein einzelner Mann etwas verändern kann, muss er einfach nur an sich selbst glauben. Und dass mit Teamwork ohnehin alles funktioniert, ist ein ungeschriebenes Hollywood-Gesetz. So richtig mies wird es dann am Ende. Damit ist nun weniger die Schlusspointe von H.G. Wells’ Roman-Vorlage gemeint. Diese ist ohnehin hinlänglich bekannt. Dass nicht die Menschheit die außerirdischen Aggressoren zurück schlägt, sondern die Natur durch Bakterien und Viren, wird wohl niemanden all zu sehr überraschen. Das ist nun ausdrücklich kein Vorwurf an Spielberg. Hier hält er sich einfach an die Vorlage. Dass er den gesamten Film in nur rund zwei Minuten komplett auf den Kopf stellt, muss ihm hingegen schon angekreidet werden. Sicherlich mag das durchaus im Geist von H.G. Wells sein, aber die Medien Film und Buch funktionieren eben anders. Das sollte gerade Spielberg bewusst sein. Zuerst wird um die Tripods… pardon Dreibeine (ist das ga, ga…) mühsam der Mythos des Unangreifbaren aufgebaut, nur um dem Publikum hinterher die lange Nase zu zeigen. Das muss nicht zwangläufig schlecht sein, aber sicher ist, dass viele Zuschauer mit dem bei der Auflösung angeschlagenem Tempo nicht einverstanden sein werden. Hier hätte sich Spielberg mehr Zeit lassen können und auch sollen. Was dann allerdings gar nicht geht (und einen mehr als bitteren Nachgeschmack hinterlässt), ist die zuckersüße Schlusseinstellung. Nur so viel: Wenn die Familie Ferrier einen Hund gehabt hätte, wäre dieser auch noch unbeschadet zuhause angekommen. Hier sind einfach die Pferde mit Spielberg durchgegangen. Wenn irgendetwas nicht zum düsteren Grundton von „Krieg der Welten“ passt, dann das. Motto: Ätsch, ist doch gar nichts passiert!
Nun stellt sich natürlich zwangsläufig die Frage, was denn bei „Krieg der Welten“ genau schief gelaufen ist. Die Antwort hierauf ist wohl im enormen Zeitdruck bei der Produktion des Films zu suchen. Eigentlich war für „Krieg der Welten“ ein Starttermin irgendwann im Jahr 2007 geplant. Doch nachdem Tom Cruise wegen eines neuen Regisseurs sein geplantes Projekt „Mission: Impossible 3“ auf Eis legen musste und auch Steven Spielberg mit seinem Drama „Vengance“ nicht wie erhofft voran kam, hatte „Krieg der Welten“ im August 2004 auf einmal grünes Licht. Nur zehn Monate vor dem anvisierten Starttermin. Zwischen dem ersten Drehtag und dem Kinostart lagen gar nur sieben Monate. Das ist die Hälfte der sonst üblichen Zeit und eindeutig zu wenig! Zwar betonen sowohl Spielberg als auch Cruise, dass sie seit „Minority Report“ an „Krieg der Welten“ gearbeitet hätten, aber ein “Hey, wir sollten diesen Film machen“ ist keine angemessene Vorbereitung. Herausgekommen ist ein Film der Kompromisse. Das Drehbuch von David Koepp („Spider-Man“, „Das geheime Fenster“, „Panic Room“) und Josh Friedman („Außer Kontrolle“, „Die schwarze Dahlie“) ist schlicht unausgegoren. Der Ansatz, nur das Schicksal einer einzelnen Familie zu zeigen (mit der sich der Zuschauer identifizieren soll), ist zwar lobenswert, muss aber als gescheitert eingestuft werden. Dem Einzelschicksal mangelt es schlicht an Substanz. Das ständige Weglaufen und Verstecken der drei Ferriers beginnt mit der Zeit zu langweilen und der Zuschauer sehnt sich nach Abwechslung. Schlimmer noch: „Krieg der Welten“ ist ein süßlich-klebriges Hohelied auf die amerikanische Familie, das mit der Zeit tierisch auf die Nerven geht.
Auch bei den Spezial-Effekten gilt das oben erwähnte. Damit die Lucas’sche Effekt-Schmiede Idustrial Light & Magic (ILM) überhaupt mit ihrer Arbeit fertig werden konnte, musste Spielberg schon während den Dreharbeiten einzelne Szenen schneiden. Da die Jungs von ILM ihr Handwerk verstehen und das Budget mit 133 Millionen Dollar auch recht üppig ausgefallen ist, sind auch richtig viele Dinge richtig gut gelungen. Zwar verfügt „Krieg der Welten“ nur über rund 500 Special Effect Shots (zum Vergleich: „Star Wars: Episode III - Die Rache der Sith“ hatte über 2.300), aber die haben es größtenteils in sich. Immer wenn auf der Leinwand irgendwas kaputt gemacht wird, muss man einfach mit offenem Mund dasitzen und staunen. Das Design der monströsen Dreibeine ist ausgezeichnet gelungen. Ziemlich gothisch, ziemlich bizarr und doch schwer faszinierend. Weniger gelungen sind dagegen die Außerirdischen. Diese wirken wie eine recht plumpe Mischung aus E.T., der Spezies 8472 aus „Star Trek: Raumschiff Voyager“ und einem Gremlin. Ziemlich einfallslos. Und wenn dann eines dieser glubschäugigen Viecher (wie einst E.T.) die Vorzüge eines irdischen Fahrrades für sich entdeckt, geht bei einem herzhaften Lacher auch das letzte Fünkchen Spannung dahin.
Damit wären wir dann bei den Schauspielern angelangt. Newcomer Justin Chatwin („Taking Lives“) ist die arme Sau des Films. Der 22-jährige Kanadier müht sich nach Kräften, aber gegen das schwache Drehbuch hat er keine Chance. Sein Charakter Robbie ist eine einzige Zumutung. Die Welt geht unter, aber dem Jungen ist seine Familie scheißegal. Er möchte sich lieber der Armee anschließen und an der Front zu Kanonenfutter verarbeitet werden. Dieser übertriebene Amerikanismus ist eine absolute Peinlichkeit. Da kann Justin Chatwin als talentierter Jung-Mime machen, was er möchte. Robbie ist eine Rolle, bei der er nur verlieren kann. Bei Tom Cruise („Last Samurai“, „Minority Report“) ist die Sache recht ähnlich. Eigentlich sollte Ray Ferrier der Held von „Krieg der Welten“ sein. Aber wie soll sich das Publikum mit jemanden identifizieren, der von der ersten Minute an unsympathisch ist. Statt seinen hungrigen Kindern etwas Nahrhaftes zu besorgen, haut sich Ray erst einmal eine Runde aufs Ohr. Warum ist es Spielberg nicht in den Sinn gekommen ist, dass sich das Mitleid des Publikums mit einem solchen Kerl eher in Grenzen halten wird? Das Spiel von Tom Cruise ist zwar solide, aber richtig packend kann auch er nicht sein. Ins Zeug gelegt hat er sich dagegen bei den Vertragsverhandlungen. Neben seiner Gage hat er sich zehn Prozent des weltweiten Umsatzes von „Krieg der Welten“ gesichert. Gratulation! Aus der Besetzung kann allenfalls Dakota Fanning („Mann unter Feuer“, „Hide And Seek“) überzeugen. Für eine Elfjährige besitzt sie eine erstaunliche schauspielerische Reife. Wenn sie mit weit aufgerissenen Augen ängstlich in die Kamera blickt, gelingt es ihr tatsächlich, zum Publikum durchzudringen. Teils lässt sie die Kollegen Cruise und Chatwin richtig alt aussehen. Der Form halber sollten noch die kleinen Gastauftritte von Ann Robinson und Gene Barry, den Stars aus der ersten Verfilmung von „Krieg der Welten“, erwähnt werden.
Wie bewertet man nun einen Film wie „Krieg der Welten“? Goethe würde jetzt wieder himmelhoch jauchzen und wäre zeitgleich zu Tode betrübt. Der Film beginnt extrem stark, lässt dann aber auch umso mehr nach. H.G. Wells’ satirischer Geniestreich war ein Meilenstein der Weltliteratur. Orson Welles’ legendäres Hörspiel löste 1938 gar Panik unter den Zuhörern aus. Die erste Kinofassung von Byron Haskin aus dem Jahr 1952 war für die damalige Zeit stilprägend und insbesondere technisch eine kleine Revolution. Die TV-Serie aus den 80er Jahren setzte erst 35 Jahre nach dem Angriff der Aliens an und ging dadurch einen eigenen Weg. Und Steven Spielbergs Kinofassung? Der Film ist im Grunde das teuerste C-Movie aller Zeiten. Nicht mehr und nicht weniger als ein Stück belangloses Mainstream-Kino fernab jedweden Anspruchs. Spielberg und Cruise zogen aus, um den schwächelnden Kino-Sommer zu retten. Ein kommerzieller Erfolg ist dank der Starpower Cruise/Spielberg und der penetranten PR-Maschinerie auch wahrscheinlich. Aber aus künstlerischer Sicht ist das Unternehmen „Krieg der Welten“ kläglich gescheitert. Tipp der Filmstarts-Redaktion: Amazon verscherbelt das Kult-Buch, die 52er-Verfilmung und Welles’ meisterhaftes Hörspiel für jeweils schlappe zehn Euro. Hier lohnt sich zugreifen wirklich. Und wenn es unbedingt eine Spielberg/Cruise-Produktion sein soll: „Minority Report“ gibt es um den selben Preis...