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    A History of Violence
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    A History of Violence
    Von Jürgen Armbruster

    Es ist ruhig geworden um Regie-Extremist David Cronenberg. Kein Wunder, der Kanadier, Jahrgang 1943, ist deutlich in die Jahre gekommen. Galt früher noch die Devise kein Cronenberg ohne dazugehörigen Skandal, hat sich dies heute gänzlich geändert. Sein Gangster-Drama „A History Of Violence“ handelt weder von Mutationen, explodieren Köpfen oder selbst zerstörerischen Fetischen. Für einen Cronenberg ist der Film ungewöhnlich gewöhnlich und im Grunde nur ein (Achtung!) tiefgründiges Charakterdrama, das der Meister von einst konsequent zu Ende denkt.

    Wir befinden uns in einer Kleinstadt irgendwo in Indiana. Der Coffeeshop-Besitzer Tom Stall (Viggo Mortensen) führt ein eigentlich recht belangloses, aber doch perfektes Leben. Seine

    Frau Edie (Maria Bello), die einzige Anwältin im Ort, liebt ihn noch genau so sehr wie am Tag ihrer Hochzeit und auch die beiden Zöglinge Jack (Ashton Holmes) und Sarah (Heidi Hayes) gedeihen prächtig. Doch eines schönen Tages soll sich sein Leben grundlegend ändern. Zwei äußerst gewaltbereite Gangster von der richtig fiesen Sorte verschlägt es ausgerechnet in seinen Coffeeshop. Sie werden handgreiflich, ziehen ihre Kanonen. Die Situation droht zu eskalieren. Dann geschieht etwas, mit dem niemand gerechnet hat. Mit einigen schnellen Bewegungen überwältigt und tötet Tom die beiden Angreifer. Gerade so, als sei es das Natürlichste auf der Welt. Tom gibt sich zwar zurückhaltend, kann aber nicht vermeiden, dass er von heute auf morgen die Attraktion seines Heimatstädtchens ist und auch von der Presse als Held gefeiert wird.

    Doch dies ist nur der Prolog zu „A History Of Violence“. An diesem Punkt angekommen, geht es erst so richtig los. Kurze Zeit später steht ein von Narben entstellter Mann in Toms Coffeeshop. Er stellt sich selbst als Carl Fogarty (Ed Harris) vor und behauptet, Tom von früher zu kennen. Angeblich soll Tom in Wirklichkeit Joey Cusack heißen und einstmals in der Unterwelt von Philadelphia eine große Nummer gewesen sein. Zunächst schenkt Edie dem Sonderling keinerlei Beachtung. Doch allmählich beginnt sie sich selbst, immer wieder dieselben Fragen zu stellen. Wie ist es möglich, dass ihr Mann zwei von der Polizei als äußerst gefährlich eingestufte Kriminelle im Handumdrehen überwältigt? Verschweigt ihr Tom vielleicht irgendetwas? Nicht nur ihre Ehe wird auf eine harte Probe gestellt…

    Wie viele Filme heutzutage, basiert „A History Of Violence“ auf einem Comic. Wobei Comic dem Werk von John Wagner und Vince Locke eigentlich nicht gerecht wird. Zu gängig ist die Assoziation zu bunten Zeichnungen mit Sprechblasen zur Unterhaltung Jugendlicher. Wesentlich treffender wäre da schon die Bezeichnung Graphic Novel. Ausgehend von der Vorlage entwickelte Josh Olsen unter der Anleitung der Produzenten J.C. Spink (The Ring, Ring 2, Red Eye) und Chris Bender (American Pie, Final Destination, Butterfly Effect) das Drehbuch. David Cronenberg stieß 2003 zum Projekt hinzu. Der Rest war ein Selbstläufer. Cronenberg ist natürlich viel zu talentiert und ein viel zu guter Handwerker, als dass bei der Umsetzung dieses hervorragenden Stoffes irgendetwas hätte schief gehen können.

    Wer sich bereits ein wenig mit der Vita von David Cronenberg beschäftigt hat, ahnt natürlich, dass Tom Stall nicht nur ein einfacher Coffeeshop-Besitzer vom Lande ist. Das Spiel mit verschiedenen Identitäten sowie die fließenden Übergänge zwischen Realität und Fiktion waren schon immer die von ihm präferierten Hauptmotive. In sofern handelt es sich es sich bei „A History Of Violence“ eben doch um einen typischen Cronenberg. Auch die immer wieder bis zum Exzess getriebenen Eskalationen der Gewalt tragen deutlich seine Handschrift. Größtenteils wurde der Film (bewusst) äußerst behäbig inszeniert, nur um die Szenerie binnen weniger Sekunden komplett kippen zu lassen. Es werden Knochen gebrochen, Gesichter eingeschlagen und Gewebefetzen fliegen durch die Luft. Gerade diese Mischung aus trügerischem Vorstadt-Idyll und fast schon surrealer Brutalität macht den besonderen Reiz von „A History Of Violence“ aus. Wo andere Regisseure einen harten Schnitt anbringen würden, bleibt Cronenberg sich selbst treu und ist in dem, was er tut, ungleich konsequenter als viele seiner Kollegen.

    Auch schauspielerisch bewegt sich „A History Of Violence“ auf hohem Niveau. Nach der Rolle seines Lebens als Aragorn in Peter Jacksons famoser „Herr der Ringe“-Trilogie hat sich Viggo Mortensen rar gemacht. Es folgte nur das zwar kurzweilige, aber im Grunde belanglose Wüsten-Abenteuer Hidalgo. Nun beweist er, dass er auch die ruhigeren Töne beherrscht. Ihm gelingt es, die innere Zerrissenheit seines Charakters glaubhaft zu machen und nie zu viel preiszugeben. Die physischen Komponenten seiner Rolle meistert er ohnehin mit links. Maria Bello (The Cooler, Das geheime Fenster) hat wieder einmal eine Rolle angenommen, die ihr alles abverlangt. Die lange Zeit unterschätze Darstellerin schreckt vor nichts zurück. Das Liebesspiel zwischen ihr und dem zwischen Vergangenheit und Gegenwart ringenden Filmgatten grenzt beispielsweise fast schon an Vergewaltigung. Cronenberg schont seine Hauptdarstellerin nie, bleibt mit der Kamera voll auf dem Geschehen drauf. Im prüden Amerika ist dies nicht immer gern gesehen. In Nebenrollen überzeugen Ed Harris (Die Truman Show, A Beautiful Mind, Apollo 13, The Hours) als auf Rache sinnender und doch charismatischer Fiesling und William Hurt (The Village, A.I. - Künstliche Intelligenz) mit einem kleinen, aber feinen Part beim großen Finale.

    Konsequenz. Das ist das Schlagwort, das „A History Of Violence“ von seinen Genre-Kollege unterscheidet. Im Grunde bietet Cronenberg dem Zuschauer nichts wirklich Neues. Aber gerade da, wo andere vorm letzten Schritt zurückschrecken, macht er zwei. Bei den Filmfestspielen von Cannes musste sich Cronenberg zwar den Brüdern Dardenne mit der belgisch-französischen Co-Produktion „L’Enfant“ geschlagen geben, doch dies ist nicht mehr als eine Randnotiz. Wer sehen möchte, was ein pfiffiger Regisseur aus einer simplen Grundidee alles herausholen kann, dem sei der Exzess „A History Of Violence“ wärmstens ans Herz gelegt.

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