Warum gibt es überhaupt Remakes? Codename: Nina ist ein eindrucksvolles Argument für ihre Überflüssigkeit. Doch davon muss an dieser Stelle nicht die Rede sein. Vielmehr soll das vorzügliche Original „Nikita“ in nachfolgender Besprechung etwas näher beleuchtet werden. Denn dieser Film ist um Lichtjahre besser als die Neuverfilmung, trotz eines nahezu identischen Drehbuchs (lediglich und fatalerweise das Ende wurde abgeändert) und eines Gabriel Byrne und Harvey Keitel, die ihren Rollenvorbildern aus dem Original in nichts nachstehen. Das aber ist ein Verdienst der jeweiligen Schauspieler und nicht des Remakes, welches unter Beweis stellt, wie banal ein und dieselbe Story wirken kann, die mit „Nikita“ noch einen grandiosen Eindruck gemacht hat - und zum Glück immer noch macht.
Sie nennt sich Nikita (Anne Parillaud) und hat unter Drogen kaltblütig einen Polizisten erschossen. Dafür bekommt sie lebenslänglich Haft. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihrem unter der Hand feststehenden Tod zu entgehen: Sie muss im Auftrag der Regierung tödliche Jobs erfüllen. Zwangsläufig nimmt Nikita an und wird von dem undurchsichtigen Bob (Tchécky Karyo) ausgebildet. Als sie als Undercover-Agentin ins Leben „entlassen“ wird, verliebt sie sich in den Kassierer Marco (Jean-Hugues Anglade). Doch ihr Doppelleben steht einer harmonischen Beziehung im Weg-
Wie diverse moderne Klassiker, Meisterwerke und Kultfilme auch stieß „Nikita“ zu Beginn auf nicht sehr große Resonanz. Es war zuerst einmal das Publikum in Frankreich (3,8 Millionen Besucher), welches den Film liebte. Kritiker konnten mit „Nikita“ nicht viel anfangen, was Luc Besson auch dazu veranlasste, in jenen Tagen leidenschaftlich und nicht ganz ohne Unrecht über sie herzuziehen. Die Cinema schrieb in der Ausgabe 7/90: Luc Besson verliert manchmal völlig den Überblick. Im schöpferischen Taumel jagt er ohne Rücksicht auf Verluste ausgefallenen Bildern und wilden Perspektiven hinterher. Das mit den ausgefallenen Bildern und wilden Perspektiven mag stimmen, den Rest wird so heutzutage kaum mehr einer unterschreiben wollen. Mittlerweile ist jedermann das ästhetisierte Bloodshed-Kino aus Hongkong ein Begriff und „Nikita“ kommt im Vergleich zu modernen Werken nach Maßgaben der MTV-Clip-Optik visuell fast zurückhaltend daher. Tatsächlich profitiert „Nikita“ von einer exzellenten, stilistischen Bilderflut und erinnert handwerklich an Werke wie Hollywoods Highlander oder Hongkongs A Better Tomorrow, die seinerzeit inszenatorisch neue Wege gegangen sind. Ob bewusst oder unbewusst, für „Nikita“ dürften sie Pate gestanden haben.
Kameramann Thierry Arbogast ("Léon - Der Profi", Das fünfte Element) bezeichnet „Nikita“ als Wendepunkt in seiner Karriere. Seine beeindruckenden, teils kalten, aber stets bezaubernden Bilder machen auch einen großen Teil der Faszination aus. Eric Serra (ebenfalls „Léon - Der Profi“, „Das fünfte Element“) komponierte die Synthesizermusik, die sich voll der Stimmung anpasst und diese desgleichen fördert. Mit seinem exzellenten Soundtrack schafft es Serra sowohl die emotionalen Seiten, als auch die actionbetonten, spannenden Facetten des Films stimmig in musikalische Form zu bannen. Die engagierte Regie von Luc Besson muss nicht weiter besprochen oder in Einzelteile zerlegt werden, denn er sieht den Wald vor lauter Bäumen sehr wohl (Cinema 7/90 zu „Nikita“: Es gibt Filme, in denen sieht der Regisseur vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr). „Nikita“ funktioniert und gilt nunmehr als das, was er wirklich ist: eine inszenatorische Meisterleistung. Die atmosphärische Dichte ist immens; die Mischung aus Neo-Noir und Heroic Bloodshed macht aus „Nikita“ eine bemerkenswerte Action-Ballade.
Was „Nikita“ aber in erster Linie zu sein scheint und als solches zugegebenermaßen auch ein wenig (positiv) überrascht hat: ein Drama. Dank des exzellenten Zusammen- und Einzelspiels von Anne Paillaud als Antiheldin Nikita, Tchéky Karyo als ihr zwielichtiger, aber in sie verliebter Ausbilder Bob und Jean-Hugues Anglade als Nikitas naiver, liebenswerter Freund hinterlässt der Actioner einen sehr starken, emotionalen Eindruck. Nikita ist der unbestrittene Mittelpunkt des Films, erstklassig von Anne Paillaud dargestellt, die dafür den César als beste Hauptdarstellerin gewann (französisches Pedant zu den Oscars). Nichtsdestotrotz agieren die drei gleichberechtigt nebeneinander. Bob und Marco gewinnen während der Geschichte an Profil und können so auch die Sympathien des Betrachters gewinnen. Karyo und Anglade leisten in ihren Nebenrollen Hervorragendes und sind der Hauptdarstellerin absolut ebenbürtig, welche mit „Nikita“ den Höhepunkt ihrer Karriere feierte. So der Zuschauer will, kann er gar sozial- und gesellschaftskritische Ansätze in der Story entdecken. Das bleibt aber Interpretationssache. Tatsache ist allerdings, dass „Nikita“ als große Tragödie in beispielloser Art und Weise funktioniert. Eine beachtliche Leistung von Regisseur und Drehbuchautor Luc Besson, denn trotz der reißerischen, effektvollen Actionszenen, kann der Film beileibe nicht auf einen einfachen Action-Thriller reduziert werden. Darüber hinaus überzeugt die dargebotene, in feinen Details stimmig dargestellte Liebesgeschichte zwischen Nikita und Marco, die im Zuschauer einiges an Emotionen wecken kann.
Als Ende war ursprünglich ein Rachefeldzug von Nikita vorgesehen. Der Actionfan hätte das gerne gesehen, doch Besson wählte ein wesentlich unspektakulärerer Abschluss. Eine goldrichtige Entscheidung; die sanfte, aber Optimismus eher ausklammernde und damit desillusionierende Tonart der Schlusspointe darf schlicht und ergreifend als genial gelten. Genial auch der Auftritt von Jean Réno als Cleaner Victor. Sein Entree in den Film ist schon fast legendär, sein Abgang dagegen erstaunlich angenehm unspektakulär und seine Präsenz gewaltig. Kein Wunder, dass Regisseur Besson auf Grund dieser Rolle Réno den eigens für ihn geschriebenen Hauptpart im Glanzstück „Léon - Der Profi“ offerierte.
Nunmehr ist „Nikita“ zum modernen Klassiker avanciert. Kaum einer sinniert mehr über die vermeintliche Unglaubwürdigkeit einer ausgefallenen Story. Das ist auch unnötig, denn als Film funktioniert „Nikita“, reißt insbesondere emotional mit, unterhält sehr spannend und wirkt gerade innerhalb seines eigenen filmischen Universums glaubhaft. Mehr braucht von einem Action-Drama nicht verlangt werden. Auf die Unglaubwürdigkeit von „Nikita“ angesprochen, antwortete Besson sinngemäß: „Halten Sie „Peter Pan“ für glaubwürdig? Ich tue es.“