Ich hab im vorraus Yann Martels Roman in einer Woche weggelesen. Das kommt bei mir seit der Panem – Triologie in Mode, Filme mit Blick auf ihre Bücher zu sehen. Das mir das leicht gefallen ist, liegt vielleicht damit zusammen, dass Martels Buch unheimlich spannend und berührend ist. Vor allem aber auch das Ang Lee's neustes Werk schon im Trailer einen unfassbaren Bildersog entwickelt hatte. Was er schafft, ist, auch in den gut gefüllten zwei Stunden, ein sagenhaftes Abenteuer über den Pazifik mit traumhaften Bildern und einer interessanten Neuinterpretation Gottes, das gut und gerne auch noch zwei Stunden weiterlaufen hätte können.
Die Problemstellungen, die sich der Buchverfilmung anmaßen sind vor allem zwei Dinge: Zum einen Pi's sagenhaft ausufernde Erzählungen, die das Buch zum absoluten Klassiker machten. Das geballte Wissen der Zoologie und die moralischen und metaphysischen Berichte seines Ich's über die Eintönigkeit und Einsamkeit an Bord lassen sich unmöglich auf die Leindwand extrahieren. Zum anderen hat Regisseur Ang Lee noch mit der eigenartig merwürdigen Glaubensfrage zu kämpfen, diese sowohl dem Publikum wirkungsvoll nahe zu bringen, als auch Buchkenner nicht zu verprellen und der Vorlage treu zu bleiben.
Somit ist es zurückblickend vor allem Ang Lee's meisterhafte Leistung, wie er die Vorlage umsetzt: Seine Exposition mag dem nichtlesenden Zuschauer vielleicht lang vorkommen, meines Erachtens trifft er genau den richtigen Ton zwischen Figureneinführung und Glaubensfindung. Seine zwei Erzählstränge sind wohlwollend abwechslungsreich und auch vor den Ozeanszenen tricktechnisch raffiniert. Allerdings lässt er sich zu einer beliebigen Liebesszenerie hinreißen, die zu kurz ist, als dass sie wirklich bewegen könnte.
An Bord beginnt dann das wahre Abenteuer: Seine Aufnahmen und Effekte sind eine völlig neue Erfahrung in der Kinowelt. Es sind wie Pi auch immer im Buch beschreibt, der Tiger, Himmel und Meer, seine drei Gefährten, die ihn immer wieder zum Handeln und zum Staunen bringen. Das Meer ist einmal ein fulminantes Lichtspiel, dann eine gefahrvolle Achterbahn, es ist ein Hortplatz für farbenfrohe Tiere aller Arten und dann wieder ein totenstiller Teppich. Eine grandiose Erfahrung für den Zuschauer und ein optischer Genuß des Fantastischen. Dagegen fällt der Tiger nicht ab. Während man bei der Einführung den Unterschied zwischen echt und unecht schnell raushatte, fällt das an Bord, explizit beim Tiger, nicht mehr auf, wahrscheinlich auch, weil man Richard Parker selbst schon als Schauspieler und Weggefähren des Films akzeptiert hat.
Doch Lee's wahre Leistung ist die Ruhe seiner Erzählung. Den trotz seines gemächlichen Erzähltons kommen keine Längen auf, was sogar Nichtbuchkenner zugeben mussten. Er hält die Spannung gleichbleibend hoch, stilisiert den Tiger zwar als Komparsen aber immer auch als todbringende Gefahr. Pi's Erzählungen und Erfahrungen werden dazu meistens noch ironisch aufgewertet, trotz allem bleibt seine Trauer und sein verzweifeltes Aufbäumen gegen Einsamkeit und Trostlosigkeit immer Hauptthema, das wie eine Wolke stets über kurzweiligen Geschehnissen wie dem Fischfangen schwebt.
Natürlich geht das ein oder andere schonmal verloren, aber das fällt kaum ins Gewicht. Die Episode im Nebel und Pi's Blindheit fällt vollkommen raus, was trotzdem nachvollziehbar ist, außerdem wertet die bunte Algeninsel alles verloren gegangene locker wieder auf. Das Ende ist, für meinen Teil, traurigerweise sehr gekürzt, die fulminante Kernaussage des Films jedoch steht unvermittelt stark dar und rüttelt den Zuschauer auf.
Fazit: Ang Lee's "Life of Pi" kommt nah, verdammt nah an die perfekte Romanverfilmung heran. Es ist erheiternd bunt und dabei sehr natürlich und fantastisch, es bereitet einem sowohl nachdenkliche Minuten wie auch Momente, die einem tatsächlich Mut, Zuversicht und Glauben schenken können. Es ist ein Abenteuer, an dem man sich nicht sattsieht, und eine wunderbare Fabel für wirklich jeden von uns. Ob man nun an etwas glaubt, oder nicht.