Gute Agentenfilme sind eine solide Grundlage für einen spannenden Popcorn-Abend vor der großen Leinwand. Wenn die Darstellerliste dann noch angeführt wird von Michael Douglas und Kiefer Sutherland, fließt dem Film ein ordentlicher Vertrauensvorschuss entgegen. Was Serien-Regisseur Clark Johnson daraus gemacht hat, trägt den Titel „The Sentinel“.
Der Filmtitel erinnert zwar deutlich an die gleichnamige TV-Serie mit dem fast schon übersinnlich agierenden Detektiv, ist aber weder von der Handlung her oder den Charakteren mit ihr verbunden. Stattdessen gibt es (politische) Intrigen satt: Agent Pete Garrison (Michael Douglas) ist erfahren wie kein Zweiter im Personenschutz um den US-Präsidenten. Inzwischen besteht seine Aufgabe darin, die Sicherheit der First Lady Sarah (Kim Basinger) zu gewährleisten. Zwischen ihm und seinem Schützling hat sich eine zarte Liebe entwickelt, die leider nicht mehr so geheim ist, wie Garrison das gern hätte. Ein Unbekannter schickt ihm Beweisfotos und droht, die Sache medienwirksam auffliegen zu lassen.
Damit nicht genug. Garrisons Freund und Kollege Merriweather (Clark Johnson) wird ermordet, kurz nachdem dieser ihm ankündigt, geheime Informationen über ein Komplott zu besitzen. Ermittler David Breckenridge (Kiefer Sutherland), der mit der Lösung des Mordes beauftragt wird, ist ebenfalls ein alter Bekannter. Allerdings beschuldigt er Garrison, eine Affäre mit seiner Frau gehabt zu haben und ist ihm insgesamt nicht besonders freundlich gesonnen. Mit Hilfe seiner neuen Assistentin Jill (Eva Longoria), einer ehemaligen Schülerin von Garrison, stellt Breckenridge eine Verbindung zwischen Mord und einem geplanten Attentat auf den Präsidenten (David Rasche) her. Verdächtig wird natürlich Garrison, der aus Sorge um das Auffliegen der Affäre nicht alle Informationen an die Ermittler liefern kann. Zwischen den ehemaligen Freunden entwickelt sich ein Katz- und Maus-Spiel, bei dem auch das Leben des Präsidenten auf dem Spiel steht.
Das Verhältnis der an der Handlung beteiligten Personen zueinander ähnelt eher einer Seifenoper als einem Thriller. Aber der erste Eindruck täuscht. Auch wenn bei Sicherheitsexperte Garrison alle Fäden zusammenlaufen und alle Personen etwas Privates mit ihm zu tun haben, konzentriert sich der Film auf ein spannendes politisches Komplott, in dem Garrison entweder Bauernopfer oder großer Intrigant ist. Auf jeden Fall ist immer etwas los auf der Leinwand. Das Tempo der Geschichte ist hervorragend getimt, der Zuschauer bekommt ebenso wie die Figuren kaum eine Verschnaufpause zwischen den Verwicklungen geboten. Immer neue Wendungen und Puzzleteile werden eingeführt, um das Publikum zum Mitraten zu motivieren. Leider werden einige Handlungsstränge am Ende nicht aufgelöst und hinterlassen ein paar Fragen, mit denen man sich aus dem Kinosaal verabschiedet. Aber an Actionmangel leidet „The Sentinel“ nicht: Verfolgungsjagden, Feuergefechte und natürlich am Ende ein über mehrere Szenen aufgelöstes Shootout zwischen Verbrechern und der Polizei verleihen dem Film eine ansehnliche Portion Sehspaß.
Gerade das Verhältnis von Garrison zu seinem Ermittler Breckenridge erinnert sehr stark an das zwischen Dr. Kimble und US-Marshal Gerard aus Auf der Flucht - angereichert um eine persönliche Fehde durch die mögliche Affäre zwischen Garrison und Breckenridges Frau. Auch sonst zieht sich das Motiv von „Auf der Flucht“ als leitendes Element durch diesen Agenten-Thriller und verwickelt die Protagonisten in einen Mix aus Vertrauen, Beweislast und Rachegefühl. Und ebenso wie in „Auf der Flucht“ wird die Handlung von den hochkarätigen Schauspielern getragen, die sich allesamt in ähnlichen Rollen schon profilieren konnten. Michael Douglas, durch zig bekannte Filme wie Traffic, The Game, Basic Instinct oder Sag kein Word einer der wandelbarsten Schauspieler in Hollywood, brilliert als verwirrter Agent, der immer noch versucht, seine eigenen Interessen zu schützen und in Cowboymanier den Fall zu lösen. Gleichzeitig haftet dieser Figur aber durch die separat gezeigte Ermittlungsarbeit von Breckenridge und Jill immer ein Verdachtsmoment an, welches er nie so recht entkräften kann. Sein Gegenpart Kiefer Sutherland („Flatliners“, Nicht auflegen! , Taking Lives) spielt eigentlich genau die Rolle, die ihn im Fernsehen unsterblich machte: Er ist die Kinoversion des aufrechten Agenten Jack Bauer aus „24“, allerdings ohne am Bildrand eingeblendete Uhrzeit. Und so wirkt Sutherland stets etwas unterfordert, wenn er als Breckenridge in Aktion tritt, er möchte etwas mehr bieten, als das, was die Leute schon aus „24“ kennen. Leider gibt ihm das Drehbuch dazu überhaupt keine Chance, und so verkommt der Charakter-Mime doch zu einer verwässerten Version seiner TV-Rolle.
Dem gleichen Schicksal fällt auch Eva Longoria zum Opfer, der neben ein paar intelligenten Aktionen vor allem durch ihr Sexappeal aus „Desperate Housewives“ anhaftet. Als Gabrielle verdrehte sie sämtlichen Männern den Kopf. Doch auch sie bekommt in „The Sentinel“ nicht die Chance, über diese Rolle hinauszuwachsen und etwas anderes zu probieren. In jeder Szene bekommt sie es mit den Reaktionen der Kollegen auf ihr Aussehen zu tun. Und viel zu oft bleibt es dabei. Die mit etwas weniger Leinwandzeit ausgestattete Kim Basinger (L.A. Confidential, 8 Mile) wirkt solide, aber glanzlos. Den Rest des Casts kennt der Genrefan aus anderen Thrillern - zumindest vom Gesicht her. Auf die Verpflichtung von bekannten Schauspielern aus ähnlichen Filmwerken wurde vom Team um Ex-Schauspieler und TV-Regisseur Clark Johnson, der selbst einen kurzen Auftritt als Merriweather hat, großer Wert gelegt, um eine authentische Atmosphäre zu erzeugen. Die Leistung der Darstellerriege lässt den Zuschauer dann auch einige kleine Anschlussfehler und faktische Irrtümer verzeihen, die sich in die Produktion eingeschlichen haben. Dafür gibt es viel Fachvokabular und große Genauigkeit in Sachen Secret-Service-Arbeit. Hier profitiert der Film von seiner Romanvorlage des Autors Gerald Petievich, die schon vor der Veröffentlichung als Filmvorlage verkauft wurde. Die Grundstimmung wirkt glaubhaft und bewirkt, dass man sich auf die Geschichte einlässt.
„The Sentinal“ überzeugt dennoch nicht vollkommen. Zu sehr bemüht er sich, seine Schauspieler in bekannte Rollen zu zwängen, die sie zum Teil schon überhaben. So kann wirklich nur Michael Douglas seine schauspielerischen Kräfte richtig entfalten, während sein nicht minder talentierter Gegenpart Kiefer Sutherland mit einem Reprise von Jack Bauer gnadenlos unterfordert ist. Eine spannende Schnitzeljagd zur Enthüllung einer Verschwörung gegen den Präsidenten wird aber trotzdem geboten.