Lange Zeit war es ruhig um Oliver Stone geworden. In den 80er und frühen 90er Jahren mischte der energiegeladene Regie-Berserker Hollywood mit seinen radikalen Ansichten und kontroversen Filmen (JFK, Nixon, The Doors) auf. Egal, ob sich Kritiker nun an seiner Eigenwilligkeit stießen oder nicht, so musste doch jeder Stones furiose Inszenierungen anerkennen. Elf Mal wurde der New Yorker als Autor, Produzent oder Regisseur für einen Academy Award nominiert, für Platoon und „Geboren am 4. Juli" heimste er den begehrten Regie-Oscar ein. Mit dem bildgewaltigen Historien-Epos „Alexander" setzt Stone nun alles auf eine Karte, um sein Comeback zu zelebrieren. Doch sein absolutes Wunschprojekt geriet zum spektakulären Desaster. Ausgerechnet in seinem größten Filmprojekt lässt Stone fast alle Tugenden vermissen, die seine Filme auszeichneten. Sein episch langer, (über)ambitionierter „Alexander" ist monumental langweilig und vermag es nicht, den Zuschauer zu fesseln. Die Inszenierung wirkt wenig homogen, die einzelnen Stücke wollen nicht so recht zusammenpassen.
Alexander der Große (Jessie Kamm, Connor Paolo, Colin Farrell), der wohl größte Eroberer der Weltgeschichte, wird schon in frühester Jugend geprägt. Sein makedonisches Elternhaus bietet ihm zwar den Schutz eines Königshauses, aber Vater Philip (Val Kilmer) und Mutter Olympias (Angelina Jolie) leben in einem permanenten Kleinkrieg gegeneinander. Der König ist ein gewiefter Kriegsherr und ein rauer, lauter Trunkenbold, der seine Frau verachtet. Das Verhältnis zu seinem Sohn ist gespalten. Alexander lehnt sich gegen seinen Vater auf, es kommt zum Streit. Als er 20 Jahre alt ist, wird sein Vater ermordet, und er als Thronfolger ausgerufen. Beginnend in Makedonien führt Alexander seine zahlenmäßig unterlegene Armee in einen nicht enden wollenden Feldzug. Er erobert ein Reich nach dem anderen und verliert nie einen Kampf. Er entreißt Westasien der persischen Kontrolle und stößt bis Indien und zum Hindukusch vor. Während die Männer sich mehr und mehr gegen seine unerbittliche Eroberungswut auflehnen, fühlt er sich zu seinem Heeresführer und besten Freund Hephaistion (Jared Leto) mehr hingezogen als zu seiner Frau Roxane (Rosario Dawson)...
Alexander der Große (356 – 323 vor Christi) war schon zu Lebzeiten ein Mythos. Er dehnte das makedonisch-griechische Reich bis an die Grenzen des Fernen Ostens aus und starb jung im Alter von nur 32 Jahren im Palast von Nebukadnezar II. in Babylon nach einem Schwächeanfall am Fieber. Die vielen Kriegsverletzungen und sein immenser Weinkonsum führten zu dieser Krankheit. Experten vermuten nach neuesten Erkenntnissen, dass die Behandlung mit Weißem Germer, der als Heilpflanze benutzt wurde, unbeabsichtigt eine Vergiftung hervorgerufen hat, die Alexanders Zustand weiter verschlechterte und schließlich zu seinem Tode führte. Die Theorie, dass der Eroberer am West-Nil-Virus erkrankte, gilt dagegen als überholt.
Seinen Platz in der Geschichte hatte sich der ehrgeizige und kompromisslose Anführer schon früh reserviert. Sein Volk und seine Männer bewunderten ihn für seine überragenden Kriegserfolge, aber im Laufe der Jahre entfernte sich Alexander von seinen makedonischen Landsleuten. Er versuchte, die Kulturen Persiens und Indiens mit der makedonisch-griechischen zu kreuzen, erntete aber nur Unverständnis und Ablehnung. Zudem waren die Männer nach den endlosen Kreuzzügen fern der Heimat müde und begehrten gegen ihn auf. Alexanders militärisches Genie war unbezweifelt, doch seine menschlichen Schwächen machten seine Person angreifbar. Er verfiel später der Trunksucht, nahm bei seinen Feldzügen keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung und tötete seinen Weggefährten Kleitos nur wegen eines Widerwortes. Auch seine Beteiligung an der Ermordung von Philip gilt als wahrscheinlich – während im Film Olympias dessen bezichtigt wird.
Oliver Stone (An jedem verdammten Sonntag, Wall Street, U-Turn) stützt sich bei seiner Version weitgehend auf die 1972 erschienene „Alexander"-Biographie von Robin Lane Fox, der auch als Berater des Films engagiert wurde. Fox' Deutung der Geschichte gilt als sehr modern und stellt die These auf, dass Alexander homosexuell oder zumindest bisexuell war, was in der damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches gewesen sei. Dabei tappt Stone das erste Mal in die Falle der Geschichte. Er richtet sich zwar nach Fox, lässt aber jegliche Konsequenz vermissen. Zwar nimmt Stone diese Thematik an, zeigt die Beziehung von Alexander zu Hephaistion allerdings als die von besten Kumpeln, die sich zueinander hingezogen fühlen, aber nicht zusammen ins Bett steigen. Wobei Fox in seinem Buch schreibt, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass die beiden auch Sex gehabt hätten. Ironischerweise trieb die Einflechtung dieses Aspekts die Griechen zur Weißglut. Der Anwalt Jannis Varnakos und 24 Berufskollegen drohten dem Warner Studio und Regisseur Oliver Stone – ohne den Film gesehen zu haben - mit einer Klage, sollte ihr Nationalheld als Homosexueller dargestellt werden. Da Stone letztendlich gekniffen hat, erübrigt sich die Sache... Klagen könnten sie höchstens gegen das Outfit von Hephaistion-Darsteller Jared Leto (Fight Club), der – wie Kritikerpapst Roger Ebert so schön sagte – aussieht wie eine Draq Queen, die mehr Eyeliner aufträgt als Elisabeth Taylor in „Cleopatra".
Bei der Auswahl der Darsteller hatte Stone diesmal kein allzu glückliches Händchen. Im Vorfeld war um die Besetzung von Colin Farrell (Nicht auflegen!, Der Einsatz, Minority Report, Ein Zuhause am Ende der Welt) eh schon eine Kontroverse entbrannt. Der Ire, dessen merkwürdige Fönfrisur teilweise stark an die lächerlichen Popheroen der 80er Jahre erinnert, ist als Alexander keine generelle Fehlbesetzung, aber mehr als Mittelmaß hat er leider nicht zu bieten. Farrell, der ansonsten wahrlich talentiert und charismatisch ist, mangelt es in „Alexander" an Größe, Kraft und Ausstrahlung. Das Larger-Than-Life-Element kann er nicht transportieren. Die zwischenmenschlichen Schwächen und den Hang zu seinem besten Freund kann er glaubhaft machen, aber die absolute Präsenz stellt sich nicht ein. Der unterschwellige Wahnsinn wie ihn zum Beispiel Klaus Kinski in Fitzcarraldo oder Aguirre – Der Zorn Gottes zelebrierte, spricht nicht aus seinen Augen. Verglichen mit seinen Co-Stars gibt es an Farrell aber noch am wenigstens auszusetzen.
Oscarpreisträgerin Angelina Jolie („Lara Croft: Tomb Raider 1+2", Taking Lives) und Val Kilmer (Heat, Mindhunters) üben sich im gepflegten Overacting. Jolie, wie immer eine Augenweide, gibt Alexanders Mutter Olympias als kuriose Schlangenbeschwörerin, die ständig von dem wuselnden Getier umschlängelt wird. Das wirkt auf die Dauer recht lachhaft. Viel wichtiger wäre es gewesen zu beleuchten, warum es zwischen ihr und Alexander zum Bruch kam, aber das wird nie richtig deutlich. Val Kilmer spielt seinen König Philip wie eine Weiterführung des Lizard King Jim Morrison, den er in Oliver Stones „The Doors" so brillant verkörperte. Auch Kilmer agiert wenig nuanciert und wirkt überdreht. Das Dilemma: Keine einzige Schauspielleistung bleibt positiv im Gedächtnis haften. Rosario Dawson enttäuscht als Alexanders erste Frau Roxane, darf nur ihre enorme Oberweite freilegen, bleibt aber ansonsten blass. Jared Leto hat den undankbarsten Part als Alexanders bester Freund und Verehrer Hephaistion. Das ahnte auch Brad Pitt und stieg aus dem Projekt aus. Ursprünglich sollte er den Hephaistion spielen, fürchtete aber zudem, einen Imageschaden davonzutragen. Vom schrägen Look abgesehen, bleibt nicht viel mehr hängen als gutes Zureden und Treue zu seinem Herrscher.
Weiteres Nervpotenzial besitzt Anthony Hopkins (Der menschliche Makel, Hannibal, Das Schweigen der Lämmer) als Ptolemaios. Als alter Mann berichtet er seinen Schülern von der Geschichte Alexanders und fungiert als Erzähler des Films. Zunächst einmal ist sein Voice-Over viel zu pathetisch und wirkt losgelöst von der Optik. Er spricht in höchsten Tönen von Alexander, während die Bilder teilweise eine ganz andere Sprache sprechen. Dazu wird diese Technik genutzt, um Lücken in der Geschichte zu stopfen. Wird ein Teil nicht auf der Leinwand gezeigt, dienen die Worte Ptolemaios' als Lückenfüller. Allerdings bekommt der Film so nie Rhythmus, da immer wieder einzelne Puzzlestücke aneinander gesetzt werden.
Wenigstens optisch erfüllt Stones 160 Millionen Dollar schwere Großproduktion, deren Geld zum Großteil aus Deutschland kam, die Erwartungen. Die Kämpfe sind exzellent choreographiert, die Massenszenen wirken überzeugend und packend, auch wenn die Handkamera das ein oder andere Mal zu lange zu nah am Geschehen ist. Die opulenten Landschaftstableaus entstanden in Marokko und Thailand, während die Innenaufnahmen in London gedreht wurden. Dazu dienten Malta und der Himalaya als später einkopierte Hintergründe. Die Idee, jeden Abschnitt des Films in eine differenzierte farbliche Optik zu packen, ist einerseits gelungen, trägt aber auf der anderen Seite sicherlich nicht zur Homogenität bei.
Was „Alexander" schließlich das Genick bricht, ist das Fehlen von Identifikationsfiguren. Dem Zuschauer wird wenig geboten, um mitzufiebern. Farrell bleibt in letzter Konsequenz zu blass und dazu mangelt es ihm an einem adäquaten Gegenspieler. Im Vergleich zu Wolfgang Petersens wahrlich auch nicht perfektem Troja geht „Alexander" als eindeutiger Verlierer vom Platz. Troja hatte eine klar definierte Struktur, die durch die starken Schauspielleistungen unterstützt wurde. Aber vor allem hatte Brad Pitt als Achilles mit dem überragenden Eric Bana als Hector einen Gegenpol. Die beiden Charaktere konnten sich aneinander aufreiben. Farrells Alexander kämpft gegen eine gesichtslose Masse und später gegen ein paar meuternde Krieger aus den eigenen Reihen. Aber dem Charakter Alexander wird kein generelles Gegengewicht zugeordnet.
Oliver Stone ist zweifelsohne der Mut zu dieser Mammutaufgabe zuzusprechen, aber seine Umsetzung ist schlicht enttäuschend. Seine gewollte Ausrichtung auf die psychologischen Aspekte der Handlung funktioniert nicht. Es wird viel geredet, aber die Figur des Alexander bekommt dadurch nicht das Maß an Tiefenschärfe, das sich Stone gewünscht hätte. Vielmehr langweilt „Alexander" mit der Zeit, weil der Zuschauer keine Anknüpfungspunkte findet und das Interesse verliert. Die drei Stunden Spielzeit hätten sich locker auf zwei oder zweieinhalb Stunden straffen lassen. Das hätte zwar nicht alle Mängel beseitigt, aber wenigstens wäre aus „Alexander" kein Langweiler geworden.