Grelle Farben. Rom, Via Veneto. Sommer. Das Sonnenlicht lässt alles warm, wohlig erstrahlen. Das Meer ist blauer als sonst. Der Himmel ebenso. Doch rasch wird dieses Bild gebrochen. Ein reicher Nichtsnutz und ein skrupelloser Taugenichts sitzen hier in einem Lokal in einer der schönsten Straßen Roms und vertreiben sich die Zeit mit: nichts. Sie halten einen Blinden an, geben ihm 10.000 Lire – damals noch viel Geld – und kaufen ihm den Stock ab, der für den Mann die einzige Hilfe zur Orientierung ist. Einer von beiden spielt Blinder, um das Mitleid einer vorbeikommenden Frau zu erheischen, die beide schnell wieder irgendwo zurücklassen.
Philippe Greenleaf (Maurice Ronet) ist der reiche Taugenichts, ein Amerikaner, den sein Vater nach San Francisco zurückholen will. Dazu hat er Philippes alten Freund Tom Ripley (Alain Delon) engagiert und ihm 5.000 Dollar versprochen, wenn Tom es schafft. Tom Ripley ist ein armer Schlucker, der sich von Jugendbeinen an an die Fersen von Philippe geheftet hat – immer in der Hoffnung, irgendwie Kapital für sich selbst daraus zu schlagen. Allerdings kann man das Verhältnis beider kaum als Freundschaft bezeichnen. Während Tom in der Hoffnung lebt, in die besseren Kreise aufzusteigen, behandelt Philippe Tom wie alle anderen Menschen, die unter seiner Würde leben: wie einen Bediensteten, ein Versuchskaninchen für seine sadistischen Gelüste. Philippe ist ein Sadist, ein Egozentriker, der seine Umgebung instrumentalisiert, selbst seine Verlobte Marge Duval (Marie Laforét), die Philippe liebt, mit seinen Extravaganzen aber nicht klar kommt, und vor allem nicht damit, wie er Tom behandelt.
René Clément inszenierte „Plein soleil” nach einem sehr bekannten Roman Patricia Highsmiths. Und er fängt die skrupellose Atmosphäre, die sich im Folgenden der Geschichte entwickelt in einer Weise ein, die den Film zu einem der bis dahin besten Thriller machen sollte. Die knalligen Farben eines sommerlichen Italiens, eines Ferienparadieses, einer berückenden und entzückenden Hauptstadt kontrastieren mit der Kälte der Handlung, die sich nun entspinnt.
Besonders krass wird dieser Eindruck schon anfangs entwickelt, als Tom im Jacket Philippes vor dem Spiegel des Hotelzimmers steht und dessen Stimme imitiert. Er erklärt als Philippe Marge seine Liebe. Als Philippe ihn sieht, aber nicht hört, was Tom sagt, wird er barsch. Er kann es nicht ertragen, dass Tom seine Hose und sein Jacket trägt. Auch auf der nachfolgenden Segelpartie Richtung Taormina lässt Philippe Tom spüren, dass er ihn für einen Menschen hält, der weit unter ihm steht. Als Tom ein riskantes Wendemanöver unternimmt, weil er Philippe zu Marge hat sagen hören, Tom sei ein Idiot und er wolle ihn an Land bringen, um mit Marge allein zu sein, verfrachtet Philippe Tom in das Beiboot am Ende der Yacht, um ihn erneut zu erniedrigen. Doch Philippe unterschätzt Tom. Er spürt instinktiv, dass Tom ihn hassen müsse, doch Philippe hält alles, auch seine Beziehung zu Tom, für eine Art Spiel, bei dem letztendlich nur er Sieger sein könne – ein Spiel, bei dem Philippe herausbekommen will, wie weit er Tom erniedrigen kann.
Ein fataler Irrtum. Denn die Fäden hat Tom in der Hand. Durch einen Trick (er versteckt ein Schmuckstück in der Jacke Toms, das Marge finden und eifersüchtig machen soll) erreicht Tom, dass Philippe und Marge sich erneut streiten und Marge die Segelyacht verlässt, nachdem Philippe etliche ihrer Aufzeichnungen über Bord geschmissen hat. Nun sind beide Männer allein. Und als Philippe Tom erneut bei einer Wette provozieren will, sticht Tom gnadenlos zu, wickelt die Leiche Philippes in einSegeltuch und schmeißt sie über Bord. Kein Zeuge.
Toms folgende Handlungen sind schon lange geplant – bis in alle Einzelheiten –, und auch Unwägbarkeiten hat er einkalkuliert. Sein Plan: Er will an Philippes Geld und er will Marge. Er gibt sich an Orten, wo niemand Philippe kennt, als Philippe aus, um den Eindruck zu erwecken, er würde noch leben. Er führt nicht nur Marge, sondern auch die Polizei an der Nase herum, als er schließlich einen ihm gefährlich werdenden Bekannten Philippes Freddy Miles (Billy Kearns) ermordet und verschwinden lässt und Spuren legt, die Philippe als Täter erscheinen lassen. Alles läuft für Tom nach Plan, und schließlich glaubt er sich am Ziel seiner Wünsche: das Geld Philippes und Marge. Doch so perfekt sein Plan auch scheint. Ein eigener Fehler wird Tom zum Verhängnis ...
Clément inszenierte mit „Plein Soleil” nicht nur einen der spannendsten psychologischen Thriller. Er zeigt die enge Welt zweier Männer, deren Verhalten im wahrsten Sinn des Wortes aufeinander bezogen, angewiesen, gegenseitig bedingt ist. Tom ist eine durchaus vielschichtige Person, ein Mann, den man sicherlich ohne Einschränkungen als Psychopathen bezeichnen muss. Doch das Krankhafte in seiner Person ist vermittelt durch eine durch die äußeren Umstände vielleicht oft verdeckten, aber nichtsdestotrotz fest gefügten sozialen Struktur, deren Hierarchie ausschließlich durch Geld und Einfluss und deren Kehrseiten Neid und Habgier definiert zu sein scheint. Tom ist ebenso wie Philippe das Produkt dieser Struktur. Er will – sozusagen klammheimlich – in dieser Hierarchie ganz oben ankommen: durch einen ausgeklügelten Plan, der seine Kenntnis dieser Welt in fast jeder Hinsicht offenbar werden lässt.
Während Philippe mit den Möglichkeiten eines andere erniedrigenden Bonvivants spielt und über dieses Spiel nicht hinauszuschauen vermag, nutzt Tom – exzellent verkörpert von Alain Delon – die Funktionsweise der sozialen Hierarchie, um künftig – wenn auch vielleicht nicht in Rom – ganz oben anzukommen. Die Geschicktheit, mit der er bei der Durchführung seines Plans sich selbst in jeder Situation aus der Schusslinie irgendeines Verdachts nimmt, deutet auf die Möglichkeit des Erfolgs. Am Schluss wäre er mit Marge zusammen und reich. Was hätte dies ansonsten geändert? Nichts. Die Struktur wäre aufrechterhalten, nur eine Person hätte im Schachspiel von Reichtum und Einfluss gewechselt. Noch dazu eine Person, die viel intelligenter spielen kann als der ermordete Philippe. Tom wäre mit anderen Worten ein personeller Gewinn für die Aufrechterhaltung der Struktur.
Aber Clément zeigt im Scheitern Toms auch die Kehrseite der Medaille. Tom kann sich ausschließlich auf sich selbst verlassen. Er hat keine Helfer, kein Geld, er ist nur auf sich angewiesen. Das Kräftemessen innerhalb der Hierarchie über ökonomische Mittel, wirtschaftliche Konkurrenz, politischen Einfluss usw. zeitigt immer die gleichen Ergebnisse: Es gibt Gewinner und Verlierer, aber nie nur Gewinner oder nur Verlierer. Das System bleibt erhalten – und zwar ganz legal und legitimiert.
Für Tom ist dieser Weg versperrt – bzw. er versperrt ihn sich selbst. Er ist auf andere Mittel angewiesen, die innerhalb des Spiels verpönt sind, jedenfalls in aller Regel: Mord, Betrug (er fälscht die Unterschrift Philippes, um Geld abheben zu können), Identitätswechsel, Versteckspiel usw. Er kann auch Subsysteme des herrschenden Systems nicht nutzen – wie etwa mafiöse Strukturen. Er ist allein. Letztendlich bricht ihm dies das Genick. Die Art und Weise, wie Tom, indem er sich die Schwächen der herrschenden Hierarchie zunutze macht (aber auch z.B. die von Marge), gleichzeitig aber völlig auf sich gestellt sein Ziel verfolgt, verdeutlichen die generelle Unmöglichkeit, seine Vergangenheit hinter sich zu lassen, so, als wenn man sie ohne Not abstreifen können wie eine Schlange ihre Haut. Tom ist als Individualist aufgewachsen und kann seine dementsprechende Handlungsweise nicht ändern.
Auch Toms Mittel sind die eines Individualisten, aber nicht irgendeines, sondern die eines armen Schluckers, eines Habenichts, der es nicht schaffen kann – selbst wenn es nur um ihn selbst geht, um sein Fortkommen –, ein ganzes System zu besiegen. Der talentierte Mr. Ripley ist nicht talentiert genug, um dies zu bewerkstelligen.
Zu erwähnen ist noch Henri Decaës Kameraführung, die zum Kontrast zwischen einer hellen, sommerlichen, warmen Umgebung und der Kälte der Handlung enorm viel beiträgt. Dabei wechselt er zwischen Großaufnahmen der Landschaft, Roms, der Fischer im Hafen usw. und Nahaufnahmen der Personen, vor allem Toms, die diesen Kontrast verdeutlichen.