Es gibt nichts Eindeutiges, keine letztendliche Lösung, keine vollkommen logische Erklärung, keine erleichternde, umfassende Zufriedenheit – schon gar nicht im Film, im Kino, und erst recht nicht bei François Ozon, der mit „8 Frauen“ (indem Ludivine Sagnier ebenfalls grandios auftrat) bereits mit dem Publikum spielte wie mit einem Tischtennisball. Ping-Pong zwischen dem, was wir so sauber auseinander halten: Wirklichkeit und Phantasie. Dabei liegen beide so eng beieinander, verschränken sich und lassen sich oft kaum voneinander trennen. Der analytische Verstand meint es zu können und katapultiert unsere Wahrnehmung, unser Empfinden und unser Denken in die öde Tristesse zerlegter Kategoriengebäude. Wirklichkeit kommt von „(be)wirken“ und „wirken“ im Sinne von produzieren. Phantasie heißt Vorstellungskraft.
Schein und Sein, „knallharte“ Realität und „Versponnenes“ und „Gesponnenes“ betten sich so dicht wie ein sich liebendes Paar, und zweifellos nicht nur bei der englischen Kriminalautorin Sarah Morton, Charlotte Rampling spielt sie mit einer selten zu sehenden Ausdruckskraft und Ausstrahlung. Sarah ist müde, abgespannt, ausgebrannt, vielleicht auch enttäuscht, trotz ihrer Erfolge als Schriftstellerin, leer, was das anbetrifft, was das Lebenswerte am Leben ausmacht. Sie wirkt fast englisch steif, aber schon dies ist eher ein Trugbild, denn die Rampling weiß sehr überzeugend zu vermitteln, dass diese Sarah von Sehnsüchten erfüllt ist, die sie „nur“ hinter einer Fassade aus Distanz zu anderen und mehr oder weniger deutlicher Verbitterung verbirgt. Kurzum, sie ist lustlos, ohne Lust, oder besser: Sie hat ihre Lust in sich versperrt, hält sie gefangen.
Da schickt sie ihr Verleger Bosload (Charles Dance) an die südfranzösische Küste, in sein Landhaus, in das mediterrane Klima, um sich zu erholen, um wieder schreiben zu können. Sarah packt aus, richtet sich ein, um sie herum Ruhe, Wärme, Licht. Sie setzt sich an ihren Laptop, schreibt, doch es mangelt ihr an Phantasie. Was ihr scheinbar überhaupt nicht fehlt, ist Julie (Ludivine Sagnier), die junge, gut aussehende Tochter Bosloads aus irgendeiner Beziehung zu einer Französin. Julie taucht wie aus dem Nichts auf, scheint zu stören, bringt das ganze Konzept Sarahs durcheinander, allein zur Ruhe zu finden. Julie scheint keine Grenzen zu kennen, was die Lust am Leben betrifft. Jeden Abend erscheint sie mit einem anderen Mann, mal jünger, mal älter. Sex am laufenden Band. Sarah stopft sich Stöpsel in die Ohren, aber sie schaut auch zu. Sie sieht in Julie Teile dessen, was ihr verloren gegangen ist. Eine junge Frau, die ihr Leben in vollen Zügen zu genießen scheint.
Der Swimming Pool vor dem Landhaus wird zum Zentrum von Lust und Unlust. Da liegt sie, wie in einer Werbebroschüre platziert, diese Julie, mal nackt, mal nicht. Das warme, anziehende Blau des Wassers wird zum vielleicht einzigen eindeutigen Symbol, das der Film kennt, zum einzigen Fingerzeig, der unumstößlich Wahres verkündet: Erfrischung, Lust, Sehnsucht, Tiefe. Julie lässt das Wasser ein, den Pool reinigen; ausgebreitet liegt er da, einladend. Sarah gelingt es nicht, Julie in Schranken zu verweisen. Warum auch? Immer mehr fasziniert sie dieses junge, unverschämte Ding, das auf ihren Vater nicht gut zu sprechen ist. Sie wird neugierig, schnüffelt in ihrem Zimmer herum, findet Julies Tagebuch und schreibt daraus etliches ab. Die beiden Frauen kommen sich näher. Sie gehen zusammen essen. Sie tasten sich mit den Augen ab, sie beobachten sich. Als Julie aus dem nahe gelegenen Ort den Kellner Franck (Jean-Marie Lamour) anschleppt – einen muskulös gebauten Burschen, allein stehend –, regen sich Phantasien in Sarah. Die drei verbringen einen Abend mit Alkohol, und ein bisschen Drogen. Sarah schmeckt das Leben plötzlich wieder, sie geht an den Kühlschrank, isst gierig in sich hinein. Franck jedoch lässt sie in Ruhe. Dann scheint sich das Blatt zu wenden. Sarah beobachtet, wie Julie Franck im Pool zu verführen sucht, unbändig. Sarah wirft etwas in den Pool, Franck merkt, dass sie beobachtet werden, weicht zurück, will gehen. Am nächsten Morgen ist er längst tot, liegt erschlagen im Gartenhaus ...
Die Kamera beginnt das Spiel der beiden Frauen. Langsam fährt sie an Julies Körper entlang, vor ihr steht Franck und ist erregt. Später zeigt sie uns das gleiche mit Sarah; vor ihr steht ein alter Mann, der den Pool gereinigt hat und ebenso geil auf Sarah ist wie Franck auf Julie. Dann wird ein Mord vertuscht, und es scheint, dass dieser Mord den Wendepunkt im Film darstellt. Aber dem ist nicht so. Es gibt keine Wendepunkte bzw. nur vorgetäuschte. Was einzig zu zählen scheint, ist die Rückkehr Sarahs zur Lebenslust, zur Gier, und das Verständnis zweier so scheinbar unterschiedlicher Frauen – und was an dieser Geschichte phantasiert ist oder „tatsächlich“ passiert, bleibt wiederum der Phantasie des Publikums überlassen.
Der Film beginnt als Komödie, setzt sich fort als Drama und Krimi und endet als Mysterium mit nicht nur einer Überraschung. Doch Überraschung ist vielleicht das falsche Wort. Denn der Schluss lässt jegliche Sicherheit vermissen, zwingt dazu, den Film noch einmal Revue passieren zu lassen. Man könnte „Swimming Pool“ – psychologisch gesehen – als eine Art Katharsis sehen, einen „Durchmarsch“ beider Frauen zurück zur Lebenslust. Auch Julie scheint nämlich nur als lebenslustig. Sie gesteht Sarah beim Essen, dass sie nur einmal wirklich verliebt war, der junge Mann jedoch Angst vor ihrer Liebe hatte. Sex ist bei Julie eher eine Art Surrogat für Lust, denn Lust selbst. Aber auch dieser Sicht der Dinge mangelt es an der Unmöglichkeit – das macht wiederum der Schluss des Films deutlich –, was denn nun tatsächlich passiert ist. Und hier wäre eine Sicht des Films verkehrt, geradezu entstellt und „verrückt“, die nicht berücksichtigen würde, dass man im Kino sitzt und Ozon eben nicht nur Regisseur ist, sondern auch weiß, was Film ist. Wir schauen in Spiegel, in Augen, auf Körper, auf Handlungen, auf Gesten. Das voyeuristische Element ist das spielerische, mit dem Ozon immer wieder arbeitet. Im Film ist alles möglich. Der Regisseur konstruiert, führt uns an der Nase herum, und treibt damit dennoch „nur“ das Spiel, was wir im Alltag selbst betreiben. Was steht in Julies Tagebuch, welchen Roman schreibt Sarah (sicher keinen ihrer üblichen Krimis), warum muss Franck sterben, oder stirbt er nur in der Phantasie einer Schriftstellerin? Wer ist Julie? Lebt ihre Mutter an der französischen Riviera? Oder ist sie – wie Sarah irgendwann gesagt bekommt – bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen?
Alles scheint sich im Kreis zu drehen. Anfang und Ende sind nicht auszumachen. Die Logik hat und macht seltsame Sprünge. Erklärungen scheitern, weil jede von ihnen holprig erscheint, unausgegoren. In einigen Kritiken zum Film war die Unzufriedenheit, der leichte Zorn, die Enttäuschung herauszulesen, dass die Geschichte – wie es dann immer so schön heißt – „unrealistisch“ sei (was sich vor allem auf das Ende bezieht, über das ich hier natürlich nichts verrate), wobei derlei Äußerungen deren Urheber als Menschen ausweisen, die wüssten, was „real“ ist. „Swimming Pool“ ist in gewisser Hinsicht ein anti-aufklärerischer Film. Er zweifelt an einem entscheidenden Punkt an der Aufklärung: an der Illusion über die Kraft des analytischen Verstandes, der vorgibt, „die Wahrheit“ erkennen zu können, Letztendliches und Endgültiges zu postulieren. Dagegen hält Ozon – ja, man könnte fast sagen: das weibliche Prinzip, das Sondieren nach der Lebenslust, die sich nicht analytisch erschließt, die nicht in logischen Kategorien denkt, die nicht rational fassbar ist, weil sie dann, wenn sie das alles wäre, dem Tode gleichen würde. Ozon, so scheint mir, hält an der Unwägbarkeit des Lebens fest, das nicht planbar, voraussehbar ist. Er führt uns dies vor – und führt uns vor. Liebe, Hass, Eifersucht, Wut sind Dinge, die kommen und gehen, planen kann man sie nicht. Vielleicht, möglicherweise, eventuell schreibt Sarah darüber einen Roman. Vielleicht.